Vormittags Probe im Orchestergraben, nachmittags Unterricht an der Akademie und abends wieder Probe: So kann ein Tag von Carl Gustav Settelmeier vor einem großen Symphoniekonzert aussehen. Dass der 53-Jährige in solchen Zeiten nur sporadisch zu Hause erscheint, gehört für seine sechsköpfige Familie zum Alltag.
Settelmeier ist seit 24 Jahren Vorspieler der Celli am Wiesbadener Staatsorchester und seit vier Jahren Dozent für Cello und Kammermusik an der Wiesbadener Musikakademie. Nebenbei unterrichtet er Celloschüler zu Hause, unter anderem seinen eigenen Sohn. Eine solche Vielzahl an Jobs sei längst nicht für jeden Orchestermusiker selbstverständlich, erzählt er. "Jeder sollte neben der Tätigkeit in seinem eigenen Orchester künstlerisch noch etwas anderes machen - als Kammermusiker, als Lehrer oder in einem anderen Ensemble", findet der Cellist allerdings. "Das erweitert den Horizont." Settelmeier verhehlt jedoch nicht, dass es durchaus auch finanzielle Gründe für seine zahlreichen Tätigkeiten gibt. So reicht das Salär als Orchestermusiker zwar aus, um das alltägliche Leben der Familie zu finanzieren. Extras wie der Musik,- Gesangs- und Tanzunterricht für seine vier Kinder oder der gemeinsame Urlaub mit Wohnwagen und Zelt aber müssen aus anderen Töpfen bezahlt werden.
Dabei darf sich der gebürtige Dortmunder, der erst mit 16 Jahren begonnen hat, Cello zu spielen, durchaus zur Spitze unter Deutschlands Orchestermusikern zählen. Das Wiesbadener Staatsorchester gehört zu den so genannten A-Orchestern - zur "Bundesliga", wie Settelmeier es formuliert. Der ehemalige Schüler von André Navarra ist ungewöhnlich vielseitig, hat Erfahrungen als Kammermusiker im Duo mit Klavier, im Streichquartett und im Barocktrio gesammelt und kann auf Fernsehauftritte, Rundfunkaufnahmen und Konzertreisen in Europa, Asien und Südamerika aus der Zeit vor seiner Festanstellung in Wiesbaden verweisen.
"So ein Leben", sagt er im Rückblick, "ist unheimlich schön." Fünf bis sechs Stunden am Tag, manchmal neun habe er als Student geübt - freiwillig. "Ich war der Verrückte an der Hochschule." Erst mit Ende 20 - Settelmeier war zu diesem Zeitpunkt bereits selbst Dozent für Violoncello an der Musikhochschule in Dortmund - entschloss er sich auf Anraten seines Dekans, eine feste Stelle zu suchen. Dem Wiesbadener Staatsorchester ist er seitdem treu geblieben. Er habe sein Studium seinerzeit "mit Gottvertrauen auf das eigene Können" angetreten und in der Überzeugung, dass man die Dinge so nehmen muss, wie sie kommen, eine Lebenseinstellung, die sich der musikalische Nachwuchs heute kaum noch leisten kann.
80 bis 100 junge Musiker bewerben sich nach Settelmeiers Schätzung auf eine Stelle in einem guten Orchester. Der Druck ist enorm und eine Zusage noch lange keine Lebensversicherung. Das haben er und seine Kollegen am eigenen Leib erfahren, als das Staatsorchester im Zuge drastischer Sparmaßnahmen der hessischen Landesregierung vier Mitglieder einsparen sollte. Das 13. Monatsgehalt wurde auf 25 Prozent abgesenkt. Musiker wie Beamte zu behandeln hält Settelmeier für eine völlig verfehlte Politik, die sich nach seiner Auffassung langfristig negativ auf die Qualität auswirken wird. Diese Entwicklung beobachtet der Virtuose mit Sorge, auf wenn sie letztlich weniger ihn selbst als vielmehr die jüngere Generation treffen wird.
Nach 24 Jahren im Symphonieorchester hilft Routine so manche Stresssituation zu meistern. Mittlerweile, sagt der Musiker, finde er das Unterrichten interessanter als den eigenen Auftritt. Sich mit einem Schüler und dessen musikalischer Entwicklung identifizieren zu können, bedeutet für ihn ein "ganz anderes Erfolgserlebnis". Seinen eingeschlagenen Berufsweg hat Settelmeier nie bereut.
Als Alternative käme für ihn höchstens der Geigenbau in Frage, auch wenn er ein guter Matheschüler war - "das hat aber schon mein Bruder studiert" - und er, seit er gemeinsam mit zwei anderen Musikern ein Weingut im ungarischen Tokaj aufgebaut hat, auch seine Managementfähigkeiten unter Beweis stellen kann. Was rät der Cellist dem künstlerischen Nachwuchs, zum Beispiel seiner 18-jährigen Tochter, für die ein Musikstudium durchaus in Frage käme? "Wenn es möglich ist, mehrgleisig fahren". Aber der erfahrene Berufsmusiker weiß auch: Wer die Musik zu seiner Profession machen möchte, ist im Grunde nicht aufzuhalten: "Wer diesen Drang hat, der soll darum kämpfen."