Das Parlament: Smudo, Du hast einmal gesagt, dass man einem Musiker, wenn er eine politische Aussage macht, mehr Glauben schenkt als einem Politiker. Ist das wirklich so - und wenn ja warum?
Smudo: Der Politiker hat ein schlechtes Image. Er hat mit dem Verdacht zu leben, unehrlich zu sein, Versprechen nicht einzuhalten und durch wirtschaftliche Erwägungen manipulierbar zu sein. Künstlern nimmt man eine Aussage eher ab, weil man ihnen einen gewissen Idealismus unterstellt.
Das Parlament: Wenn Bob Geldof und Bono sich für einen Schuldenerlass für Afrika einsetzen, folgen ihnen nicht nur Millionen Jugendliche. Auch Tony Blair, Jacques Chirac oder Thabo Mbeki reden mit ihnen über Entwicklungshilfe und Aids-Bekämpfung. Geht das nicht ein bisschen weit?
Smudo: Wenn ich jetzt Bob Geldof wäre, fände ich die Frage eine Beleidigung - nach dem Motto "Jetzt lassen sich also Politiker herab und reden mit so einem dahergelaufenen zotteligen Popstar!" Warum sollte ein Musiker nicht in manchen Sachfragen kompetenter sein als ein Politiker? Es ist doch dem jahrzehntelangen Wirken von Bob Geldof und seinen Helfern zu verdanken, dass das Thema Armut populär geworden ist. Jetzt kommt auch der Politiker nicht mehr drumrum. Die Reihenfolge ist entscheidend: Es gab eine Initiative außerhalb der Politik, die dazu geführt hat, dass die Politik sich das Thema zu eigen gemacht hat.
Das Parlament: Die öffentliche Meinung ist angesichts von Hartz, Haushaltsloch und fünf Millionen Arbeitslosen deutlich gegen die SPD gekippt. Wie siehst Du das?
Smudo: Ich rechne es der Regierung hoch an, dass sie den Wähler ohne Rücksicht auf die Gefährdung seiner Wiederwahl aufrüttelt und klarstellt, dass Wachstum nicht immer wächst. Die Bevölkerung geht zurück; der Osten ist offen; wir leben nicht mehr so stark auf Kosten der Entwicklungsländer. Kurz: Die Zeit, in der man auf Kredit leben und immer einfach so weitermachen konnte, ist vorbei. Dazu kommt noch, dass die ganze Welt vom globalen Terror, der Globalisierung und der Internet-Investment-Hysterie rechts überholt wird. Auf derart komplexe Sachverhalte gibt es keine einfachen Antworten.
Das Parlament: Eine neue rot-grüne Koalition wird es aller Voraussicht nach nicht geben. Was ist, wenn die SPD Juniorpartner in einer Großen Koalition wird?
Smudo: Wenn man das politische Geschehen wie ein Drama oder einen Kinofilm konsumiert, generiert der Begriff "Große Koalition" Hoffnung auf Frieden, Einigkeit und nach Gemeinsamkeit - nach einem Happy-End. Die Wirklichkeit kennt keine Drehbuch-Regeln und pfeift auf die Sehnsucht des Menschen. Ich glaube, dass eine Große Koalition durch ihre Breite zu politischer Lähmung führen und rechts- wie linksextremen Parteien enormen Zulauf bescheren würde.
Das Parlament: Wenn man eure Texte hört, sind die nicht ausnehmend politisch. Dennoch tretet ihr auf Festivals wie "berlin05" auf, deren erklärtes Ziel es ist, Jugendlichen Politik nahe zu bringen. Warum?
Smudo: Wir machen keine politischen Songs, sind aber alle vier politische Menschen. Unserer Texte stellen das Individuum in den Mittelpunkt und rufen gelegentlich zu Eigenständigkeit und zur Übernahme von Verantwortung auf. In weiterem Sinne ist auch das ein Appell, politisch aktiv zu werden.
Das Parlament: Immer wieder ist von der Politikverdrossenheit der Jugend zu hören. Erlebt Ihr Eure Fans so?
Smudo: In einer erlebnisgesteuerten Konsumwelt ist es schwer zu vermitteln, dass eine Gesellschaft komplex ist und niemals ohne Probleme existieren wird. Man steht nicht im Stau - man ist der Stau. Und so eine Gesellschaft verwaltet sich nicht von selbst, sondern muss aus sich selbst heraus verwaltet werden.
Das Parlament: ...und das ist für junge Leute nicht spannend?
Smudo: Auf den ersten Blick sieht die Jugend politikverdrossen aus. Andererseits sehe ich aber bei Veranstaltungen wie "berlin 05" mit großer Freude, wie viele Kids eben doch politisches Interesse haben.
Das Parlament: Gesetzt den Fall, dass das politische Interesse erst mal fehlt - gibt es einen Weg, es zu wecken?
Smudo: Ein markiger Spruch reicht nicht. Ich glaube, man muss immer wieder vermitteln, dass eine Gesellschaft eine komplizierte Sache ist und wie wichtig Toleranz ist, auch wenn sie nicht immer einfach ist. Aber wer Kinder erzieht - und das sind nicht nur Eltern - sollte jede Gelegenheit nutzen darzustellen, dass es sehr befriedigend sein kann, sich für etwas zu engagieren. Regelrecht "politisches Interesse" wird sich daraus vielleicht entwickeln.
Das Parlament: Hast Du einen Eindruck, wie attraktiv die Linkspartei für Jugendliche ist? Immerhin kommt da eine neue Gruppe, die verspricht, alles anders zu machen...
Smudo: "Jetzt ist Schluss", "Wir machen alles anders" und ähnliches sind Rattenfängerargumente, die auf kurzsichtige Wähler sicher großen Eindruck machen. Und dass Jugendliche zuweilen auf einfache Parolen hereinfallen, weiß jeder, der mal jung war - aber muss man das wirklich beklagen? Wer genauer hinsieht, wird schnell erkennen, dass Leute wie Gregor Gysi oder Oskar Lafontaine vor allem in einem gut sind: darin, ihre als Kampfgeist getarnten Machtinteressen durchzusetzen. Der Vergleich mit den Grünen hinkt außerdem: Die standen neben ihrem rebellischen Äußeren für Umweltbewusstsein und Friedenspolitik und waren politisch klar einzuordnen.
Das Interview führte Jeannette Goddar