Die Schere ist vor wenigen Tagen zerbrochen, die Instrumente sind stumpf und das restliche Operationsbesteck setzt zunehmend Rost an. Die Bedingungen, unter denen Dr. Peter Hellmold operiert, sind katastrophal. Ein deutsches Krankenhaus könnte unter diesen Umständen nicht einen Tag länger betrieben werden, doch was dem Besucher aus Deutschland schier unfassbar erscheint, ist Alltag in Tanga, etwa 300 Kilometer nördlich von Tansanias Metropole Daressalam gelegen. Die Zustände im Bombo-Krankenhaus sind dabei noch nicht einmal symptomatisch für das ostafrikanische Land - in vielen Regionen sieht es noch viel schlimmer aus.
Der deutsche Chirurg Peter Hellmold hält durch, nicht wegen seines zweijährigen Vertrages, sondern weil er hier eine Aufgabe hat. Eine Aufgabe, die ihn Tag für Tag, Nacht für Nacht vor größte Herausforderungen stellt. Aber Hellmold hat sichtbare und greifbare Erfolge, trotz des unvorstellbaren Elends, der haarsträubenden hygienischen Bedingungen und der Not, die ihm tagtäglich begegnet. Seine Patienten haben oft mehrere Tage der Anreise hinter sich, sie kommen voller Hoffnung und Vertrauen in die Kunst der Ärzte im Bombo-Hospital. Es sind Ärzte, die zum Teil selbstständig, zum Teil auch unter Anleitung des deutschen "Daktari" tätig sind.
Wenn tropischer Regen fällt, dann dringt das Wasser durch die Decke in den OP-Raum. Es tropft in die Lampen, auf deren Licht der Chirurg angewiesen ist, es rinnt auf die Instrumente und durchnässt die Patienten. Das tropische Klima hat Decken und Wände feucht und schimmelig werden lassen, der Operations-tisch widersetzt sich allen Versuchen, nach oben oder unten gefahren zu werden - er ist endgültig blockiert, so dass die Chirurgen in immer gleicher Position ihre schweirige Arbeit verrichten müssen.
Die Bettenzimmer - schmucklose Räume - sind nur mit dem Allernotwendigsten ausgestattet. Immerhin liegt jeder Patient in seinem eigenen Bett, nicht so wie in manchen Hospitälern Afrikas, wo sich bis zu drei Kranke ein Bett teilen müssen und die Mahlzeiten auf dem Boden eingenommen werden. Verwandte der Patienten, die für das Essen sorgen - die Hospitalküche ist vor einiger Zeit geschlossen worden -, sitzen auf den Betten. Das Essen besteht oft aus eintönigem, nährstoffarmem Maisbrei, dem so genannten "Ugali".
Die gesamte Region Tanga mit über einer Million Einwohnern gehört zum Einzugsgebiet des Kranken-hauses, das leider nicht die breite Palette von Gesundheitsdienstleistungen anbietet, die es anbieten sollte. Mitarbeiter sprechen respektvoll vom "deutschen Krankenhaus", und in der Tat war es das erste von der deutschen Kolonialverwaltung vor rund 110 Jahren errichtete Hospital in Afrika. Dieses später "Cliff Block" genannte Gebäude wurde noch bis vor wenigen Jahren genutzt.
Ob das baufällige Gebäude restauriert wird, ist vor allem eine Kostenfrage, und Mitarbeiter, denen in erster Linie das Wohl der Patienten am Herzen liegt, fragen sich, ob die für die eine gründliche Sanierung des Gebäudes erforderlichen Mittel in Millionenhöhe nicht sinnvoller ausgegeben werden sollten. Zumal nicht geklärt ist, wer für die Erhaltung des Gebäudes nach einer Restaurierung aufkommen würde.
Allerdings steht die Renovierung, so sie denn kom-men wird, nicht im Zusammenhang mit dem kürzlich gestarteten Rehabilitationsprogramm für das Bombo Hospital sowie Gesundheitszentren und kleinere Hospitäler in den sechs Distrikten der Region, die von der in Frankfurt ansässigen Kreditanstalt für Wiederaufbau finanziert wird. Das Programm umfasst insgesamt einen Betrag von 5 Millionen Euro, davon geht eine Million an das Bombo-Hospital.
Hellmold, über die Organisation CIM (Centrum für Internationale Migration und Entwicklung) nach Tanga entsandt, operiert, bildet aber auch seine tansanischen Kollegen aus und ist darum bemüht, effizientere Arbeitsabläufe im Krankenhaus einzuführen. Die HIV/Aids-Epidemie, die bereits sieben Prozent der 36 Millionen Tansanier erfasst hat, stellt das Team von Hellmold in jüngster Zeit vor wachsende Herausforderungen. Es sind ja nicht nur immer mehr aidskranke Patienten, die versorgt werden müssen, sondern zunehmend auch das erkrankte Personal. Dabei ist es ein Segen, dass die Stadt Tanga über eine intakte Wasserversorgung und vor allem sauberes Trinkwasser verfügt. Denn auf dem Land lassen sich Kranke um so schlechter versorgen, je unzureichender die sanitären Verhältnisse sind.
1999 wurden in Tansania 670.000 Kinder gezählt, die durch Aids zu Waisen wurden. Nuru ist einer von ihnen. Der 18-Jährige lebt mit seinen beiden jüngeren Geschwistern bei seiner Großmutter. Er hat das Leiden seiner Eltern miterlebt und weiß, was diese Krankheit bedeutet. Daher ist es wichtig, dass sich die Menschen einem HIV-Test unterziehen. Dieser Meinung ist auch Naghenjwa. Sie hat sich bei ihrem Mann angesteckt. "Er wollte nicht glauben, dass er diese Krankheit hatte. Meine Schwiegereltern sind bis heute der Meinung, dass ich meinen Ehemann verflucht und seinen Tod verursacht habe", stellt sie traurig fest. Ihr fiel ein Stein vom Herzen, als sie erfuhr, dass ihre beiden Kinder HIV-negativ sind. Trotzdem treibt sie die Sorge um, wer für ihre Kinder sorgen wird, wenn sie nicht mehr da sein wird.
So katastrophal Aids für Tansania, seine Menschen und seine wirtschaftliche Prosperität auch ist, so schieben sich andere Krankheiten wieder in den Vordergrund; zum Beispiel die überwunden geglaubte Tuberkulose. Und gerade bei den Armen in ihren Hütten ist die Malaria eine der größten Gefahren, werden die Menschen doch nachts oft mehrere hundert Male gestochen, wodurch die Wahrscheinlichkeit, krank zu werden, viel höher ist als bei jenen, die in festen Häusern wohnen und Moskitonetze besitzen.
Durch die Globalisierung sei das sozio-ökonomische Gefälle auch in Tansania deutlich größer geworden, diagnostiziert der deutsche Arzt: "Die marginalisierten Bevölkerungsgruppen leiden im Grunde immer noch an den Krankheiten, an denen sie schon immer gelitten haben", unterstreicht Hellmold. Die Gesamtlast der Krankheiten der armen Bevölkerungsteile sei ver-mutlich nicht gesunken. Prävention allein werde die Probleme nicht lösen, daher sei es falsch, wenn Heil-behandlungen und der rehabilitative Bereich des Ge-sundheitssektors als zu teuer angesehen würden. Hellmolds Fazit: "Wir sollten nicht von den Entwicklungsländern verlangen, was wir im Westen nicht in der Lage sind, zu erreichen."