Der multiethnische Balkan war schon immer schwer zusammen zu halten. Der Tod Titos und dann später der Zerfall der Sowjetunion und damit der kommunistischen Planwirtschaft brachten das sorgfältig gehaltene Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen langsam ins Wanken. Nachdem in Kroatien sowie in Bosnien und Herzegowina der grausame Bürgerkrieg überstanden schien, spitzte sich 1998/99 die Lage im Kosovo zu.
Im Februar 1998 massakrieren serbische Soldaten die Jashari-Familie, deren Oberhaupt Gründer der kosovo-albanischen Untergrundorganisation UCK war. Die Folge: landesweit beginnen erbitterte Kämpfe zwischen den serbischen Streitkräften und UCK-Kämpfern.
Nachdem sich abzeichnet, dass die Vertreibung der albanischen Bevölkerung organisierte Gestalt annimmt, greift am 23. März 1999 die NATO ein. Zweieinhalb Monate später akzeptiert Milosevic die Rückzugsforderungen. Das Ziel der NATO-Operation ist erreicht: Die Vertreibung von rund 850.000 Kosovo-Albanern ist gestoppt.
Um nach Beendigung des militärischen Einsatzes eine Deeskalation des Konflikts zu vermeiden, entscheiden sich die externen Staaten für die damals wohl einzig mögliche Lösung. Keine der beiden Parteien erhält das umstrittene Gebiet, die Fragen nach dem Status wird erst einmal vertagt und das Kosovo komplett unter internationale Verwaltung gestellt. Der Abzug der Serben hinterlässt im Kosovo ein Macht- und Kompetenzvakuum, das es zu füllen gilt. Es gibt keine eigenständigen Strukturen, keine Sicherheit, kaum noch funktionierende Infrastruktur. Mit der Resolution 1244 startet die UNO ihre bis dato größte Mission. Die UN-Übergangsregierung UNMIK und die Kosovo-NATO-Truppe KFOR werden geschaffen und stehen einem heillosen Chaos gegenüber.
UNMIK und KFOR arbeiteten in diesen Monaten besonders eng zusammen. Der ehemalige General Klaus Reinhardt, 1999 Kommandeur der KFOR-Truppe, und Bernhard Kouchner, Leiter der UNMIK, trafen sich täglich, um sich abzustimmen und gemeinsam zu planen. "Uns war schnell klar: Wir können nur mit einer Stimme sprechen!", erinnert sich der pensionierte General Reinhardt. Auch die Zusammenarbeit mit der OSZE, dem UN-Flüchtlingskommissar (UNHCR) und den Hilfsorganisationen klappte. In der Praxis im Einsatz meist besser als in der Theorie in Deutschland. Alle vor Ort sahen den Bedarf. Es galt damals eine völlig traumatisierte Bevölkerung zu stabilisieren. Wichtige Stellen mussten besetzt werden, um das Nötigste wieder in Betrieb nehmen zu können. Dabei zeigte sich bald ein kosovarisches Problem: die Führungspositionen - egal in welchem Bereich - waren zuvor mit Serben besetzt. Unter den Kosovo-Albanern gab es daher kaum ausgebildetes Fachpersonal für die Managementfunktionen. Diese mussten also erst einmal von den Internationalen übernommen werden. Gab es unter den UN-Mitarbeitern keinen passenden Spezialisten, konnte die NATO einen stellen. So übernahmen beispielsweise italienische Einsenbahnpioniere die Organisation der Bahn und bildeten nebenher den kosovarischen Nachwuchs aus.
Politisch fand nach und nach ein Transfer der Zuständigkeiten auf die provisorischen Institutionen statt. Es gab erste Wahlen und Gespräche mit Belgrad. Langsam begann alles zu funktionieren.
Auf diese Weise entstand Schritt für Schritt das neue Kosovo, bis die internationale Gemeinschaft an ihre 1999 mit der Resolution 1244 selbst geschaffene Grenze stößt: die offen gelassene Statusfrage.
Die Nachkriegszeit ist vorbei. Es geht jetzt um die Zukunft und nicht mehr ums nackte Überleben. Der ungeklärte Status zieht dabei eine Reihe von Problemen nach sich. Am gravierendsten ist wohl das der Arbeitslosigkeit. Lag diese 1999 bei etwa 40 Prozent, ist sie inzwischen auf rund 75 Prozent gestiegen. Aus den Universitäten kommen die ersten Studenten mit abgeschlossenem Studium und finden sich auf einem nahezu aussichtslosen Arbeitsmarkt wieder. Wohlstand scheint nur auf kriminellen Wegen möglich - die Schattenwirtschaft blüht.
Das Kosovo verfügt über ein wertvolles Kapital, das es zu nutzen gilt: junge, leistungswillige, gut ausgebildete Männer und Frauen, die etwas bewegen wollen. Gleichzeitig ist es jedoch genau dieses Kapital, das Unruhe in das Kosovo bringt. Man fühlt sich allein gelassen. Afghanistan, Irak und andere Einsatzgebiete stehen nun im Mittelpunkt. Das Kosovo ist vergessen, denken viele, und die Internationale Gemeinschaft ist nicht in der Lage, zu helfen und ihre Versprechen zu halten. Immer wieder wechselndes Personal entbindet den einzelnen von seiner Verantwortung, sich nachhaltig zu bemühen. Hinzu kommen die unterschiedlichen nationalen Standards. Viel Energie fließt in die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner der einzelnen Nationen. Die Kosovaren fühlen sich daher - vielleicht zu Recht - als Versuchskaninchen. Die Folge: Sie nehmen ihr Schick-sal selbst in die Hand. Auch mit Gewalt. Die Unruhen im letzten Jahr machten dies deutlich. Man schlug gegen die Serben und meinte eigentlich auch UNMIK.
In Windeseile wurde damals das KFOR-Kontingent von allen Seite aufgestockt. Doch damit behandelte man nur die Symptome. "Die Probleme im Kosovo sind nicht mit Militär zu lösen", erklärt Reinhardt. Es herrsche eine ökonomische Unzufriedenheit, die wirtschaftliche Lage müsse verbessert werden. "Den Menschen fehlt die Perspektive wie es weitergehen soll", kritisiert Reinhardt. Die dafür dringend benötigten ausländischen Investoren bleiben allerdings aus. Sie sind von der ungeklärten Lage verunsichert. Industrieanlagen stehen seit einem halben Jahrzehnt still und verrotten. Werden sie nicht bald wieder in Betrieb genommen, können sie nur noch abgerissen werden. Doch wer investiert in eine Fabrik, deren Besitzer nicht sicher feststeht?
Nach rund fünf Jahren der internationalen Präsenz hat sich viel verändert. Es gibt ein gutes Schul- und Universitätssystem. Unzählige Häuser, Kindergärten und öffentliche Einrichtungen wurden aufgebaut. Es fanden bereits mehrfach demokratische Wahlen statt. Die Ämter sind multiethnisch besetzt. Das Gesundheitssystem funktioniert. Der Kosovo Police Service (KPS) konnte bereits fünf der sechs regionalen Hauptquartiere der UNMIK-Polizei übernehmen. Die ehemaligen UCK-Kämpfer haben in einer Art Technischem Hilfswerk, dem so genannten Kosovo Protection Corp (KPC), eine neue Aufgabe gefunden und sich inzwischen schon mehrfach im Rahmen von Katastropheneinsätzen bewährt.
Und doch wächst stetig die Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Denn das inzwischen Wichtigste fehlt: eine klare Entscheidung, was aus der Provinz werden soll. Status quo ist: Das Kosovo ist statuslos. Es hängt in der Luft und mit ihm seine Einwohner.
Es ist nun an der Zeit eine Lösung zu finden. Nicholas Burns, Staatssekretär im US-Außenministerium, zeigte in einer Anhörung vor dem US-Kongress am 19. Mai, dass auch Georg W. Bush eine Klärung der Situation im Kosovo will. Das Ziel der USA ist klar, sie wollen ihre Truppen abziehen.
Doch ganz so schnell geht das nicht. Im April 2002 nannte der damalige UNMIK-Leiter Michael Steiner acht zu erfüllende Standards als Voraussetzung für die Aufnahme von Statusverhandlungen. Gefordert werden funktionierende staatliche Institutionen, Rechtsstaatlichkeit, Bewegungsfreiheit, Rückkehr von Vertriebenen, Marktwirtschaft, Klärung der Eigentumsverhältnisse, Dialog zwischen der autonomen Regierung in Pristina und der Regierung in Belgrad sowie die Reduzierung des KPC.
Der norwegische UN-Sonderbeauftragte für die Evaluierung des Implementierungsprozesses der Standards im Kosovo, Kai Eide, prüft momentan die Umsetzung der geforderten Standards und wird seinen Bericht voraussichtlich in diesem Monat Kofi Annan vorlegen.
Es ist zu erwarten, dass die Standards großzügig betrachtet werden und die Statusfrage endlich auf den Tisch kommt. Einig sind sich die Internationalen schon jetzt, dass das Kosovo weder an Serbien zurück-fallen noch in einer geteilten Form mit Albanien oder anderen albanisch-dominierten Gebieten vereint werden soll. Es wird darum gehen einen Weg zu finden, zwischen der von den Kosovo-Albanern geforderten völligen Unabhängigkeit und der serbischen Position eines Kosovo mit mehr Autonomie, aber weiterhin zu Serbien gehörend.
Serbien hat noch immer völkerrechtlichen Anspruch auf das Kosovo. In den letzten Wochen lassen serbische Politiker vermehrt verlauten, dass sie nicht dazu bereit seien, die Provinz aufzugeben. Allerdings ist man sich in Belgrad durchaus des wirtschaftlichen und politischen Ballastes der unbeständigen Region bewusst. Und Serbien drängt politisch wie militärisch in die Europäische Union. Die Frage ist also: Wie kann das Kosovo selbstständig werden, ohne dass Serbien sein Gesicht verliert?
Am Ende wartet man vielleicht auch noch. Denn sind erst einmal alle in der EU, werden Grenzfragen zweitrangig.
Ariane von Großmann arbeitet als freie Journalistin,
Bonn.