Die Opposition sieht dabei neue Chancen, den beinharten Spar- und Reformkurs der Regierung Stoiber zu stoppen. Dem teils drastischen Vorgehen geben viele auch in der CSU die Schuld am schlechten Abschneiden der Partei bei der Bundestagswahl (49,3 Prozent, fast zehn Prozentpunkte weniger als 2002). In einer von der SPD im Landtag beantragten Aktuellen Stunde zur Sozialpolitik verlangten die Sozialdemokraten, ebenso wie die Grünen, eine Korrektur der Kürzungspolitik.
Wasser auf die Mühlen der Opposition waren dabei Äußerungen des bisher knallharten Reformministers Huber, der eine Lockerung des Sparkurses in Aussicht stellte und schon für die nächsten Jahre eine Milliardenspritze für die Bereiche Bildung und Kinderbetreuung ankündigte. Finanziert werden solle dies nicht nur aus einem durch Reformen und Stelleneinsparungen sanierten Haushalt, sondern auch aus weiteren Privatisierungserlösen.
Der Schwenk hin zu mehr Ausgaben wurde dabei weithin als ein Teil von Hubers Charme-Offensive beim Kampf um die Stoiber-Nachfolge verstanden. Postwendend schickte Finanzminister Kurt Faltlhauser, der für 2006 erstmals einen Staatshaushalt ohne neue Schulden vorlegen will, Sperrfeuer. Huber kenne die Haushaltslage ganz genau und wisse, dass Privatisierungserlöse für einen grundlegenden Kurswechsel in der Haushaltspolitik in keinem Fall ausreichten, erklärte er. Ohne zusätzliche Neuverschuldung ginge das nicht. Da war kurz Feuer auf dem Dach, Huber intervenierte. Und keine drei Stunden später gab es ein neues, erheblich milder formuliertes Fax, das "völlige" Einigkeit zwischen beiden Ministern darüber bekundete, dass erst "auf Grundlage des ausgeglichenen Etats" frei werdende Haushaltsmittel und Privatisierungserlöse "selbstverständlich" auch für Zukunftsinvestitionen - vor allem bei Bildung und Familie - eingesetzt würden.
Die Opposition will aber bereits jetzt Einschnitte vor allem im sozialen Bereich korrigieren. In einer Aktuellen Stunde führte der SPD-Sozialexperte Jochen Wahnschaffe als Kronzeugen Landtagspräsident Alois Glück und Vizepräsidentin Barbara Stamm an (beide CSU), die im jüngsten Wahlkampf die "richtige Balance zwischen ökonomischer Kompetenz und sozialer Sensibilität" vermissten - zu Lasten des Sozialen.
Scharf kritisierte Wahnschaffe die Kürzungen in den einzelnen Bereichen wie Psychiatrieplan, Krankenhausfinanzierung, Familienprogramm und Landesaltenplan und sprach sich gegen Privatisierungen von Einrichtungen der Daseinsvorsorge aus. Ein neuer Ministerpräsident mit einem erneuerten Kabinett, so der SPD-Politiker, sollte den Mut haben, auch die Sozialpolitik auf den Prüfstand zu stellen und die "unsinnige, zukunftsfeindliche Kürzungspolitik zu korrigieren". Die Grüne Renate Ackermann schleuderte der Staatsregierung entgegen, ihre radikale Sparpolitik sei von "Geiz" geprägt, habe viele Menschen geschädigt und Organisationen in den Ruin getrieben. Derzeit sei Bayern Spitze, was soziale Kälte anbelange.
Dem widersprach entschieden Sozialministerin Christa Stewens. Sie stellte klar, dass es weitere Einschnitte in ihrem Etat nicht geben werde, der in diesem Jahr gegenüber 2004 noch um 0,6 Prozent höher ausfalle - "nur, vom Sparkurs kommen wir nicht runter". Angesichts riesiger Haushaltslöcher bei Bund, Ländern und Kommunen zu sagen, es könne wieder mehr Geld ausgegeben werden, wäre unreell. Die Ministerin verwies auf das im Freistaat neu initiierte "Forum Soziales Bayern", in dem Vertreter von Parteien, Gewerkschaften, Wirtschaft und Wohlfahrtsverbänden "einen neuen, spannenden Weg" gingen, um notwendige Strukturveränderungen herbeizuführen. Stewens sprach von einem "neuen Demokratisierungs-Prozess". Daneben berichtete sie von ihren Begegnungen mit Sozialministern aus A- wie B-Ländern: "Die träumen alle vom Sozialstaat Bayern." Und sie zog das Fazit, dass das "soziale Antlitz Bayerns" bewahrt geblieben sei.
Seine soziale und menschenfreundliche Seite versucht unterdessen auch Erwin Huber zu präsentieren. Er hatte im Machtkampf um die Stoiber-Nachfolge zunächst die eindeutig schlechteren Karten gegenüber Günther Beckstein: Als "Reform-Rambo" tituliert, der ohne viel Beteiligung der Betroffenen in Rekordtempo zum Ziel kommen wollte, von dem sich die CSU-Fraktion (die ja letztlich über die Nachfolge entscheidet) immer wieder übergangen fühlte und der an einer unzufriedenen Basis als unsensibler und rabiater Vollstrecker von Stoibers Politik angesehen wurde - für diesen Anwärter hätte zunächst nur eine Minderheit die Hand gehoben. Dies umso mehr, als 2008 Kommunal- und Landtagswahlen anstehen und immer wieder Befürchtungen in der CSU laut werden, der Wähler könne ihr diesen Kurs heimzahlen. Unvergessen ist des Reformers salopper Ausspruch geblieben: "Wer einen Teich trockenlegen will, darf die Frösche nicht fragen."
Huber bereut das jetzt öffentlich und sagt, dies sei nicht der "wahre Huber", bei dem stünden die Frösche unter Naturschutz. Er räumt ein, dass er manches Mal mit dem Kopf "durch die Wand wollte" und die Wand mitunter stärker gewesen sei. Fast schon zerknirscht verspricht er bei Redaktionsbesuchen, künftig zuzuhören und bei Entscheidungen die Fraktion noch besser einzubinden. Als positiv wird bei ihm vermerkt, dass er als durchsetzungsstarker und vielseitig erprobter Politik-Manager vom nötigen Reformkurs nicht abweichen werde.
Das hat auch Beckstein nicht vor. Der bundesweit als kompetenter Gegenpart von Bundesinnenminister Otto Schily bekannt gewordene Franke war praktisch der einzige im Kabinett, der sich eine Reform der Polizei nicht von Hubers Staatskanzlei diktieren ließ, sondern schließlich die eigenen Vorstellungen durchsetzte. Weil er diese auch noch mit den Betroffenen in einem aufwendigen Prozess beraten und abgestimmt hatte, verschaffte er sich höchsten Respekt. Gleichzeitig werden ihm eher landesväterliche Eigenschaften zugetraut, mit denen er verlorene Sympathien und Vertrauen an der Basis zurückgewinnen könnte.
Hinter den Kulissen laufen die Drähte heiß. Beide Kandidaten ordnen ihre Heerscharen und versuchen, die noch Unentschlossenen hinter sich zu bringen. Stoiber hat nach außen hin noch nicht Partei ergriffen, doch gestreut wird, dass er seinen engsten Vertrauten Huber favorisiere. Andererseits ist er aber auch seinem alten und treuen Weggenossen Beckstein sehr verbunden, den er als Innenminister nach Berlin mitnehmen wollte (dann aber wegen CDU-Ansprüchen nicht durchsetzen konnte). Die Partie schien durch Hubers Charme-Offensive zuletzt ziemlich ausgeglichen, wobei leichter Vorteil für Beckstein signalisiert wurde. Der Münchner Merkur sah ihn Mitte vergangener Woche nach kühner Recherchier- und Rechenarbeit mit 60 zu 52 der 124 CSU-Abgeordnetenstimmen (bei zwölf Unentschlossenen) vorn.
Eine wochenlange, zermürbende Hängepartie steht bevor, denn Parteichef Stoiber will an seinem in der Fraktion häufig kritisierten Zeitplan festhalten: Die Nachfolgeentscheidung soll erst fallen, wenn die Große Koalition und damit der Wechsel Stoibers nach Berlin endgültig beschlossene Sache ist. Also voraussichtlich Mitte November. Ein Krisengipfel mit dem CSU-Vorsitzenden, Landtagsfraktionschef Joachim Herrmann sowie den Bewerbern Beckstein und Huber bestätigte diese Vorgehensweise. Die Fraktion billigte den Zeitplan in einer Sondersitzung bei nur vier Enthaltungen, doch zum Teil mit sehr gemischten Gefühlen: Nicht wenige murren über die Kräfte verschleißende Taktiererei Stoibers.