Das Parlament: Was haben Sie bei den Studiengebühren von Science Po verändert?
Richard Descoings: Früher bezahlten alle Studenten 1.050 Euro pro Studienjahr. Wer ein staatliches Stipendium erhielt, bezahlte keine Studiengebühren - daran hat sich nichts geändert. Neu ist, dass Sciences Po das staatliche Stipendium bezuschusst und es dadurch um 50 Prozent erhöht. Studenten, die kein Stipendium erhalten, bezahlen heute zwischen 500 und 5.000 Euro, gestaffelt nach dem Einkommen der Eltern. Wer 5.000 Euro zahlt, kommt aus einer Familie, die über 145.000 Euro Jahreseinkommen hat. Dies betrifft zwei Prozent der Studenten in ganz Frankreich und 17 Prozent unserer Studenten an Science Po.
Das Parlament: Wie reagierten die französischen Hochschulen auf Ihre kleine Revolution?
Richard Descoings: Die Frage der Studiengebühren ist bei uns ein Tabu genauso wie in Deutschland. Sobald sie erhöht werden, gehen die Studenten auf die Straße. Unser System ist aber gut angekommen, weil ein Viertel der Studenten gar keine Gebühren bezahlt.
Das Parlament: Ihnen wurde vorgeworfen, einen amerikanischen Touch in das Hochschulsystem einzuführen.
Richard Descoings: Das stimmt überhaupt nicht. Sobald Sie in Frankreich etwas Neues machen, wird Ihnen vorgeworfen, Sie wären durch die USA inspiriert. In einer ähnlichen Universität wie Science Po müssen Studenten in den USA zwischen 35.000 und 45.000 Euro bezahlen.
Das Parlament: Wie viel Geld bringt das neue System zusätzlich?
Richard Descoings: Früher erhielten wir jährlich 4,5 Millionen Euro Gebühren. Heute sind es 9,5 Millionen Euro bei einem Gesamtbudget von 70 Millionen Euro.
Das Parlament: Was haben Sie mit dem Geld vor?
Richard Descoings: Wir werden ein neues Studentenheim im Zentrum von Paris bauen. Wir finanzieren die Erhöhung der Stipendien. Wir haben die Lehrräume umgebaut und nächstes Jahr wollen wir die Räume der Bibliothek renovieren.
Das Parlament: Es hat etwas von Robin Hood: den Reichen nehmen, um den Armen zu geben - richtig?
Richard Descoings: Wir wollen, dass Schüler, die wenig Geld haben, auch studieren können. Unsere Motivation ist sozial, aber auch finanzieller Natur. Eine arme Universität hat weniger Sitzplätze und weniger Bücher in der Bibliothek, die kostenlos auszuleihen sind. Um gute Studienbedingungen zu finanzieren, ist ein solidarisches System notwendig. Sonst werden die Reicheren privilegiert: Sie können zu Hause lernen, sich die Bücher kaufen und sie verfügen über bessere Computer.
Das Parlament: Für die Jugendlichen aus benachteiligten Banlieues haben Sie 2001 eine spezielle Aufnahmeprüfung eingeführt. Wie verläuft sie?
Richard Descoings: Lehrer aus den Gymnasien dieser Banlieues suchen für uns begabte Abiturienten. Ihre Aufnahmeprüfung besteht aus einem einstündigen Gespräch vor einer fünfköpfigen Jury - darunter gibt es zwei Professoren und einen Personalchef. Die anderen Studenten müssen eine schriftliche Prüfung bestehen und die Finessen der französischen Dissertation beherrschen. Das können sie viel besser, weil sie Eltern haben, die studiert haben und in der Innenstadt wohnen. Wenn man aus Drancy, Aulnay-sous-Bois oder Bondy kommt, ist es viel schwieriger. Dieses Jahr haben wir 57 Jugendliche aus den Banlieues unter den insgesamt 500 Studenten aufgenommen. Wir haben keine feste Quote.
Das Parlament: Wie begegnen sich die bürgerlichen Studenten und die Jugendlichen aus den Banlieues?
Richard Descoings: Am Anfang erwarteten die einen wilden Jugendlichen mit umgedrehter Mütze und einem Joint im Mund. Mit lauter Studenten im Anzug rechneten die anderen. Es stellte sich aber heraus, dass die Kleider kein Erkennungsmerkmal sind. An ihrem Temperament fallen vielleicht die Jugendlichen aus den Banlieues auf. Gerade deswegen sind sie erfolgreich. Nehmen Sie das Beispiel einer 18-jährigen Frau, die ihre Geschwister miterziehen musste, Arbeitslosigkeit, Armut und Unsicherheit in der Familie erlebte. Sie hat eine Riesenlust, Erfolg zu haben. Studenten, die überlegen, ob sie ihren nächsten Urlaub in Asien oder in den USA verbringen, geht es anders.