Die Trauben hängen jetzt noch höher. Volksbegehren sind an der Saar nur erlaubt, wenn sie im Erfolgsfall keinen einzigen Euro Mehrkosten verursachen: Nach diesem jetzt vom saarländischen Verfassungsgerichtshof verkündeten Urteil sind bei Referenden die Hürden kaum noch zu überspringen. Schon bislang war die Messlatte wegen der extrem hoch angesetzten Stimmenzahlen, die für einen Sieg bei einer Volksabstimmung erforderlich sind, nur schwer zu nehmen: Für die Beantragung einer solchen Initiative sind 5.000 Unterschriften nötig, in einem zweiten Schritt müssen sich 120.000 Bürger für die Ansetzung eines Referendums aussprechen und bei der Abstimmung selbst muss die Hälfte der Wahlberechtigten mit Ja votieren.
Auslöser der Grundsatzentscheidung der obersten juristischen Instanz war ein Volksbegehren gegen das vom Kabinett des Ministerpräsidenten Peter Müller verfügte Aus von 80 der 270 saarländischen Grundschulen - ein in diesem Ausmaß bundesweit einmaliger Einschnitt, der heiße politische Konflikte provozierte. Abgewiesen wurden vom Richterkollegium unter Präsident Roland Rixecker die Landeselternvertretung (LEV) dieses Schulzweigs und die Vereinigung "Rettet die Grundschulen", die gegen die Nichtzulassung dieses Referendums durch Innenministerin Annegret Kramp-Karrenbauer geklagt hatten. Die CDU-Politikerin hatte den von mehr als 30.000 Unterschriften gestützten plebiszitären Vorstoß mit dem Argument abgewiesen, diese Initiative würde sich im Etat im Vergleich zu dem mit der Schließung der 80 Schulen angestrebten Sparpaket von 17,5 Millionen Euro finanziell negativ auswirken.
Das Verfassungsgericht hielt sich strikt an den Wortlaut der Saar-Verfassung, nach der ein Volksbegehren nicht "finanzwirksam" sein darf. Dabei komme es, wie es in der Urteilsbegründung heißt, auf die Höhe der Mehrkosten oder auf deren prozentualen Anteil am Haushalt nicht an. Sprich: Ein Euro ist ein Euro zu viel. Rixecker betonte, dass nur das Parlament über Einnahmen und Ausgaben des Landes befinden könne. Das Saarbrücker Urteil dürfte zweifelsohne auch auf andere Bundesländer ausstrahlen.
LEV-Sprecher Jörg Dammann zeigte sich enttäuscht über den Ausgang des Prozesses. Die Elterngruppen hatten nicht mit einer derart restriktiven Auslegung der Verfassung gerechnet. Die Kläger hatten gehofft, Rixeckers Runde werde sich ein Beispiel nehmen an Urteilen in anderen Bundesländern, nach denen bei erfolgreichen Referenden Mehrausgaben in Höhe von rund 0,25 Prozent des Etats statthaft sind. Die Gegner der Schließung von 80 Grundschulen hatten angesichts des Schülerrückgangs den Erhalt auch kleinerer Standorte in Verbindung mit der Schaffung jahrgangsübergreifender Kombiklassen verlangt: Nach den Kalkulationen der Elterngruppen wäre bei ihrem Alternativmodell im Vergleich zum Konzept der Regierung das Sparvolumen um nur etwa 2,5 Millionen Euro geringer ausgefallen - was rund 0,05 Prozent des Etats ausmache.
Von "keinem guten Tag für eine lebendige Demokratie" sprach nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts SPD-Oppositionsführer Heiko Maas. Die Hürden lägen "zu hoch, um direkte Demokratie zu ermöglichen". Der grüne Fraktionsvorsitzende Hubert Ulrich ortet an der Saar gar einen "vordemokratischen Standard". FDP-Chef Christoph Hartmann sagte, er habe ein "solches Urteil befürchtet". Gemeinsam fordert die Opposition nun eine Reform der Verfassung, um Plebiszite zu erleichtern. Geht es nach den Grünen, sollen Referenden den Etat bis zu einem Umfang von 0,5 Prozent seines Volumens belasten dürfen. Für eine Verfassungsänderung ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament erforderlich. Die CDU winkt jedoch ab und warnt angesichts der Haushaltsnotlage vor einer Herabsetzung der Hürden. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Helma Kuhn-Theis mahnt, es dürfe nicht zu einer "Inflation von Volksbegehren" kommen.
Offenbar sah sich das Verfassungsgericht genötigt, dem Eindruck entgegenzutreten, nach seiner Entscheidung seien Plebiszite praktisch gar nicht mehr machbar. So wies denn Rixeckers Kollegium darauf hin, dass sich die Bürger bei einem Referendum beispielsweise gege eine Beschneidung von Freiheitsrechten wenden könnten, so diese vom Parlament beschlossen werden sollte.