Die 1953 in einem Dorf im Nildelta geborene Ägypterin, die heute in Amsterdam als Dolmetscherin und Journalistin arbeitet, hatte nach mehr als zwei Jahrzehnten im Westen das Bedürfnis, selbst den Koran zu studieren. Sie wollte begreifen, "woher all das Leid der muslimischen Frauen herrührt, und warum manche Korantexte so parteiisch sind".
Dass es um die Frauenrechte in Ägypten schon einmal hoffnungsvoller stand, beschreibt sie anschaulich in der Einleitung: Als junges Mädchen erlebte sie, wie sich nach der Niederlage im Sechstagekrieg 1967 binnen eines Jahres das Straßenbild in der Hauptstadt Kairo grundlegend veränderte. Waren Frauen mit Minirock zuvor durchaus üblich gewesen, so bedeckten dieselben Frauen plötzlich sittsam ihre Arme und Beine; selbst in den liberalsten Familien tauchte das Kopftuch auf.
Nach 1967 sei in Ägypten in wenigen Jahren alles niedergerissen worden, was in über 150 Jahren im Bereich Säkularisierung aufgebaut worden war. Warum? Weil die vielen "Turbanträger" und "strohdummen Scheichs", so Selim, in den Moscheen gepredigt hätten, 1967 sei Ausdruck von Gottes Zorn gewesen, die Menschen müssten zum Islam zurückkehren.
Schnell wird deutlich, dass die Autorin nicht im trockenen Duktus wissenschaftlicher Abhandlungen schreibt. Vielmehr möchte sie mitreißen und Frauen dazu ermutigen, ihre eigenen Standpunkte zu entwickeln. Sie selbst macht es vor, indem sie (ohne jede theologische Ausbildung) jene Koranverse heraussucht und analysiert, die das Leben und die Sexualität von Frauen im Besonderen betreffen.
Dabei kommt sie zu interessanten Feststellungen und Einsichten. So lässt sich im ersten der insgesamt drei Hauptteile zum Beispiel nachlesen, dass - im Gegensatz zur Bibel - im Koran nicht steht, Eva sei aus der Rippe Adams entstanden. Vielmehr heißt es in den entsprechenden Versen, Gott habe alle Menschen aus einer einzigen Seele erschaffen (4. Sure). Ausführlich geht sie auch auf das Thema ,Schleier' ein und erläutert den breiten Interpretationsspielraum, den allein die unterschiedlichen Übersetzungen derselben koranischen Verse bieten.
Sie unterschlägt aber auch jene Stellen nicht, die Frauen eindeutig als nicht gleichgestellt mit den Männern darstellen, sondern wirbt für ein Koranverständnis, das die historischen Hintergründe berücksichtigt. Ähnlich wie die prominente Fatima Mernissi und eine ganze Reihe weiterer liberaler und westlicher Autorinnen und Autoren legt sie dar, dass die Offenbarungen im Koran historisch gesehen auf eine eindeutige Verbesserung der Stellung der Frau abzielten, die in vorislamischer Zeit rechtlich den Status von Sklaven gehabt hatten. Die Lösung sieht sie darin, sich auf "die tiefe Weisheit" der Verse zu konzentrieren und sich nicht ständig daran zu stören, dass der Koran ein Bild der Frau spiegelt, das heute "überholt" sei.
Im zweiten Teil des Buches finden sich Porträts von Frauen, vor allem der Frauen des Propheten Mohammed - ein Abschnitt der in amüsant-unterhaltsamer Weise nahelegt, dass diese alles andere als angepasste Wesen waren, wodurch sie sich als Rollenvorbilder für die Gegenwart empfehlen.
Abschließend geht Selim auf aktuelle gesellschaftliche Fragen ein wie den "Ehrenmord", Homosexualität und die Möglichkeiten, die das Internet muslimischen Frauen bietet. Mit Blick auf die Situation von Mädchen und Frauen erteilt sie dabei allen kulturrelativistischen Positionen eine klare Absage und fordert von den westlichen Gesellschaften, sich eindeutig auf die Seite der weiblichen Opfer zu stellen, egal aus welchen Familien sie stammen.
Selims Stil ist eine Mischung von textimmanenter Analyse und subjektiv gefärbten Erfahrungsberichten, wobei sie sowohl ihre eigenen Erlebnisse als auch die anderer Frauen einfließen lässt. Ihr ist es wichtig, auf diesem Weg zu illustrieren, welche teils grotesken und unmenschlichen Auswirkungen die starre buchstabenfixierte Auslegung religiöser Schriften im Alltag haben kann und welche Möglichkeiten sich auf der anderen Seite bieten, wenn Frauen es endlich wagen, Gestalterinnen ihres eigenen Lebens zu werden. Die Autorin wird nicht müde, darauf hinzuweisen, dass es an den Frauen selbst liegt, sich ihre eigene Sicht der Dinge zu erarbeiten.
Nahed Selim hat damit ein sehr offenes, persönliches und ausgesprochen couragiertes Buch zum Thema "Frauen im Islam" geschrieben. Auch wenn sich der Mord an Theo van Gogh in den Niederlanden erst nach dessen Erscheinen ereignet hatte, so bewies die Autorin dennoch ein großes Maß an Unerschrockenheit und Mut, solche für traditionelle Muslime provokanten Inhalte unter eigenem Namen zu veröffentlichen.
Inwieweit die Autorin mit ihrer direkten (und bewusst persönlich gehaltenen) Sprache, die an die westliche Frauenbewegung in den 70er- und 80er-Jahren erinnert, auch jene Glaubensschwestern erreichen kann, die dem Westen gegenüber kritisch eingestellt sind, bleibt allerdings abzuwarten. Jedenfalls vermittelt sie ein optimistisches Bild, was die Möglichkeiten sowie die Bereitschaft vieler Musliminnen angeht, eigene Wege zu gehen.
Bei allen Angriffsflächen, die das Buch aus Sicht orthodoxer Muslime zuhauf bietet, macht die Autorin keinesfalls grundsätzlich Front gegen die Männer. Der reißerische Titel der deutschen Ausgabe (die niederländische Originalausgabe heißt "Die Frauen des Propheten") vermittelt leider den irrigen Eindruck, man halte eine Kampfschrift in den Händen und nicht ein Buch, das weniger die Konfrontation als das Mutmachen zum Ziel hat.
Nahed Selim: Nehmt den Männern den Koran! Für eine weibliche Interpretation des Islam. Mit einer Zusammenfassung in türkischer Sprache. Piper Verlag, München 2006; 336 S., 19,90 Euro
Helena Sabbagh ist Islamwissenschaftlerin. Sie arbeitet als freie Journalistin in Bonn.