Zunächst fragt man sich: Muss das sein? Entführt zu werden und nach der Befreiung fast noch durch "Freunde" zu Tode kommen, um dann flugs den eigenen Marktwert ausnutzen, um "groß rauszukommen"? Im Falle von Giuliana Sgrena, die "mit distanzierter Analyse, kühlem Bericht und mitfühlender Reportage über Krieg und Krisen" in Nahost und Afrika berichtet, wie es in der Begründung des jüngst verliehenen Stuttgarter Friedenspreises zu Recht heißt, darf es sein. Denn sie, die tapfere Kämpferin der italienischen Linken, Mitarbeiterin von "Il manifesto" und "Die Zeit", hat wirklich etwas zu sagen.
Kurz vor ihrer Entführung war die irisch-stämmige Irakerin Margaret Hassan, Leiterin eines internationalen Hilfswerks, entführt und getötet worden. Dass es dann ausgerechnet die 57-jährige Sgrena traf, die sich eindeutig für die Iraker engagierte, zeigt die Umkehr von legitimem Widerstand in banale Kriminalität einer neuartigen Kidnapping-Branche. Dass sich bei ihrer Freilassung am 4. März 2005 der Geheimdienstagent Nicola Calipari heldenhaft für sie einsetzte und dabei erschossen wurde, ist eine seltene Tragödie, die sie über ihre Freilassung lebenslänglich nicht glücklich werden lässt.
Die entscheidende Frage indes - warum US-Soldaten auf den Wagen der befreiten Geisel schossen - bleibt unbeantwortet. Dass Journalisten im Irak heute für beide Seiten, Besatzer wie auch Mafia-Terroristen, unwillkommene Zeitgenossen sind, macht ihre Beseitigung nicht zwingend. Washingtons Darstellung als tragischer Unfall ausgerechnet durch einen Italo-Amerikaner, gegen den die Staatsanwaltschaft in Rom inzwischen ermittelt, bleibt gewiss unbefriedigend. Wenn der Wagen zu schnell fuhr und vor der Straßensperre nicht anhielt, warum wurde dann offenbar gleich auf die Insassen und nicht auf die Reifen geschossen? So lautet eine der simplen Fragen.
Dass dahinter jedoch Arroganz der Macht oder gar zynisches Kalkül gestanden haben könnte, wie Sgrena andeutet, ist auch nicht zwingend. Wenn es stimmt, dass der offenbar in ständiger Furcht lebende, gewöhnlich gleich im Helikopter ausgeflogene US-Botschafter Negroponte Minuten zuvor durch genau diese Straßen gefahren war, könnte das - möglicherweise noch nicht über seine Ankunft informierte - US-Militär in erhöhter Alarmbereitschaft tatsächlich in eine Kurzschluss- oder Panikreaktion verfallen sein. Es könnte auch ein bloßer, absurder Zufall gewesen sein: ein nervöser, überdrehter GI schießt erst einmal, bevor er Fragen stellt.
Giuliana Sgrena und Italien fordern volle Aufklärung über den die bilateralen Beziehungen belastenden Todesfall. Das ist ihr gutes Recht. "Liberatela" - "Lasst sie frei" stand auf Transparenten tausender in Rom, und das weder Kriegs- noch Berlusconi-begeisterte Italien erlebte eine erstaunliche nationale Einheit wie schon im Falle der entführten und wieder freigelassenen humanitären Helferinnen, der beiden Simonas, zuvor. Ähnlich war es in Frankreich im Falle der Journalistin Aubenas gewesen. Italiens Ministerpräsident, wahrlich alles andere als ein Mann von Sgrenas politischer Couleur, kommt daher fair weg:
Sgrenas Lebensgefährten Pier sagt Berlusconi bei der kurzen Begegnung im Palazzo Chigi unmittelbar vor der völlig unsicheren Freilassung und dem geplanten Flug nach Bagdad auf die Frage, welche Sprachregelung man gegenüber den Medien walten lassen solle, trocken, aber bestimmt: "Die ganze Wahrheit". Dies ehrt beide.
In Deutschland war dies im Falle von Susanne Osthoff, offenbar einer Außenseiterin, die sich nicht zu massenhaftem Mitgefühl "eignet", etwas anders - was nun auch wieder viel über dieses Land aussagt.
Giuliana Sgrena: Friendly Fire. Als Geisel zwischen den Fronten. Ullstein Verlag, Berlin 2006; 205 S., 16,- Euro
Konrad Watrin arbeitet als Lehrer in Bergedorf bei Hamburg. Sein im vergangenen Jahr erschienenes Buch thematisiert den Nahost-Konflikt.