Der "Schnee auf dem Kilimandscharo", bei Ernest Hemingway noch gut für den Titel einer Kurzgeschichte, wird realistischen Prognosen zufolge in 15 bis 20 Jahren Schnee von gestern sein. Schrumpfungsrekorde der arktischen Eisdecke, Hitzerekorde und anhaltende Dürreperioden im südlichen Afrika, Rekordhurrikane in den USA: Die Alarmsignale rund um den Globus sind unübersehbar.
Jenseits apokalyptisch-reißerischer Weltuntergangsprophezeiungen berichtet Elisabeth Kolbert, Reporterin beim US-Magazin "The New Yorker", von Schauplätzen, auf denen der Klimawandel bereits jetzt gravierende Folgen zeigt. Sie besuchte Inuits in Alaska, die wegen der schmelzenden Eisdecke und Sturmfluten ins Landesinnere umgesiedelt werden. Sie reiste mit einem Permafrostforscher, der den Rückgang des Dauerfrostbodens und die Freisetzung gewaltiger darin gespeicherter Mengen Kohlendioxids dokumentiert. Sie sprach mit Gletscherbeobachtern auf Island und Grönland, die einen einmaligen Abschmelzprozess messen, der zum Kippen der europäischen Wärmepumpe, des Golfstroms, führen könnte.
In leicht verständlichen Exkursen erklärt das Buch Klimaprozesse in einem trügerisch trägen System, in dem Störgrößen wie die menschgemachten Treibhausgase eine unaufhaltbare Eigendynamik entwickeln. Durch die Kohlendioxidemission der Industriestaaten erreicht die globale Temperatur fast ihren höchsten Stand seit 325.000 Jahren, Tendenz steigend.
Im zweiten Teil des Buches bewertet die Autorin sachlich kritisch die Reaktionen von Wirtschaft und politischen Entscheidungsträgern. Erhellend dabei ist der Egoismus, mit dem Verantwortliche in den USA, Hauptverursacher von Treibhausgasen, die im Kioto-Prozess festgeschriebenen Gegenmaßnahmen torpedieren. Weltwirtschaftliche Vormachtstellung heute geht vor künftige Klimakatastrophen. Elisabeth Kolbert zeigt: Die Zeiger an der Klimafront stehen sprichwörtlichen auf "Fünf vor Zwölf".
Elisabeth Kolbert: Vor uns die Sintflut. Depeschen von der Klimafront. Berlin Verlag, Berlin 2006; 224 S., 18,- Euro