Wenn die Zuversicht eines italienischen Regierungschefs, wie mitunter behauptet, an der Zahl seiner Minister und Staatssekretäre festzumachen ist, dann dürfte es um die Stabilität der Regierung Prodi nicht allzu gut bestellt sein. Mit 25 Ministern und 73 Staatssekretären und Vizeministern übertraf Romano Prodi sogar den Rekord seines Vorgängers. Jeder fünfte Parlamentarier der Achtparteienkoalition wurde so in die Regierung eingebunden, und zahlreiche andere können sich wenigstens über ein Amt als Vizepräsident in einer der Kammern, als Ausschussvorsitzender oder als Fraktionssprecher freuen. Diese Ämterinflation ist offenbar der Preis, den Italien für die Wiedereinführung des Verhältniswahlrechts und die daraus resultierende überaus knappe Parlamentsmehrheit zahlen muss.
Mit seiner langwierigen Regierungsbildung scheint Romano Prodi am Ende aber doch alle zufriedengestellt zu haben, denn bei den Vertrauensabstimmungen in den Kammern erzielte sein Kabinett die volle Punktzahl oder sogar noch ein oder zwei Stimmen mehr als erwartet. Eine stabile Mehrheit wird Prodi auch im Weiteren brauchen, um die kommenden schweren Aufgaben zu bewältigen. An erster Stelle ist hier die Wirtschafts- und Finanzpolitik zu nennen. Der Kassensturz des neuen Wirtschafts- und Finanzminis-ters Tommaso Padoa Schioppa, der als unabhängiger Fachmann vom Europäischen Zentralbankrat nach Rom wechselte, brachte eine Finanzierungslücke von über 10 Milliarden Euro an den Tag, die sein fintenreicher Vorgänger Giulio Tremonti bis zu den Wahlen geschickt verborgen hatte.
Statt von einer mühsamen Einhaltung des Stabilitätspakts geht man in Brüssel und Rom inzwischen von einem Haushaltsdefizit von viereinhalb bis fünf Prozent im Jahr 2006 aus, zusätzlich erschwert durch den generellen Stillstand der Produktivität. Prodis Wirtschaftskabinett, zu dem außerdem noch Industrieminister Pierluigi Bersani, Arbeitsminister Cesare Damiani, Sozialminister Paolo Ferrero, Agrarminister Paolo De Castro, Transportminister Alessandro Bianchi, Infrastrukturminister Antonio Di Pietro und die Außenhandelsministerin Emma Bonino gehören, steht daher vor der schwierigen Aufgabe, gleichzeitig die Staatsfinanzen zu sanieren und die Wirtschaft anzukurbeln.
Auch in der Außenpolitik gibt es manche Fehlentwicklung zu richten. So hat Prodi bei seinem ersten Besuch in Brüssel die sofortige Wiederaufnahme der "großen Europapolitik Italiens" angekündigt. Erste Bewährungsprobe für Außenminister Massimo D'Alema und Verteidigungsminister Arturo Parisi wird nun der Abzug der italienischen Truppen aus dem Irak, der nach den Plänen der Regierung bis zum Oktober abgeschlossen sein soll.
In fast allen Politikbereichen sind außerdem die schlimmsten Fehlentwicklungen bei den von der Vorgängerregierung auf den Weg gebrachten Reformen zu korrigieren, die nicht selten allein an den persönlichen Interessen Silvio Berlusconis und seiner Unternehmen ausgerichtet waren. In besonderem Maße gilt dies im Rechtswesen, wo Justizminister Clemente Mastella die Reform des Richterstands für ein Jahr aussetzte, und in der Medienpolitik, wo der zuständige Kommunikationsminister Paolo Gentiloni bereits wichtige Initiativen zur Wettbewerbsförderung angekündigt hat. Schließlich heißt es nach den ersten Dringlichkeitsmaßnahmen, auch eine Verständigung mit der Opposition über die unabdingbare Wahlrechts- und Verfassungsreform herbeizuführen, wobei allerdings zunächst noch der Ausgang eines Referendums Ende Juni über die von der Mitte-Rechts-Koalition vergangenes Jahr im Alleingang verabschiedete Verfassungsrevision abzuwarten bleibt.
Oppositionsführer Berlusconi hat bisher jede Zusammenarbeit mit der neuen Mehrheit strikt abgelehnt und für den Fall, dass auch nur eine "seiner" Reformen angetastet werde, mit schweren Konsequenzen, massiven Protesten und sogar einem Steuerstreik gedroht. Einen ersten kräftigen Fußtritt gegen die neue Regierung hatte er sich von den Kommunalwahlen Ende Mai erhofft. Zu seinem Bedauern musste der Regierungssturz aber noch verschoben werden, da Berlusconis Wähler den Urnen mehrheitlich fern blieben und so die Linke begünstigten, die in vielen Städten und Provinzen kräftig zulegen konnte, während die Mitte-Rechts-Koalition nur mit Mühe ihre Hochburgen in Sizilien und der Lombardei behauptete.
Das "Haus der Freiheiten" scheint damit spätestens nach dem Verfassungsreferendum auf eine Zerreißprobe zuzusteuern. Die Zeichen stehen auf Sturm, zumal Berlusconi unangenehme Fragen und Widerspruch noch nie ertragen konnte. Wie empfindlich er in diesem Fall reagiert, stellte er Anfang Mai erneut unter Beweis, als er ein Publikationsverbot für Italiens angesehensten Journalisten Enzo Biagi forderte, den er bereits 2002 aus dem Staatsfernsehen RAI verbannen ließ, indem er ihm "kriminösen" Missbrauch seiner Sendezeit vorwarf. Als der 85-jährige Biagi sich jetzt nach langer Krankheit wieder mit einem Leitartikel im "Corriere della Sera" zurückmeldete, forderte der bald 70-jährige Ex-Premier barsch den Rauswurf des "rachsüchtigen Alten".
Durch den persönlichen Erfolg bei den Parlamentswahlen fühlt Berlusconi sich heute in seiner Ausnahmestellung eher noch bestätigt: Fehler hätten allenfalls die Koalitionspartner begangen, während er alles richtig machte. Selbstkritik bleibt da ein Fremdwort. Silvio Berlusconi, soviel scheint festzustehen, gibt so bald nicht locker, wie auch sein Rundschreiben an die europäischen Regierungschefs erkennen ließ, in dem der gestürzte Premier sich über den angeblichen Wahlbetrug der Linken mokierte und seine baldige Rückkehr ins Regierungsamt ankündigte. Die angeschriebenen Kollegen überlegen wohl noch, was sie für die Gelegenheit am besten kalt stellen lassen: italienischen Sekt oder einen Magenbitter?