Für 320 Millionen Fluggäste, die jedes Jahr zwischen den USA und Europa hin und her fliegen, ändert sich zunächst einmal gar nichts. Denn der EuGH hat dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 30. September eingeräumt, um das Abkommen auf eine korrekte juristische Grundlage zu stellen. Selbst wenn bis dahin keine Lösung gefunden sein sollte, würden die europäischen Airlines das lukrative Geschäft im Interkontinentalverkehr nicht verlieren. Sie würden vielmehr zu dem Verfahren zurückkehren, das sie bis Mai 2004, als das Abkommen in Kraft trat, auch prak-tiziert hatten: Jeder Fluggast musste schriftlich sein Einverständnis erklären, dass Daten wie Essgewohnheiten, Kreditkartennummer, Anschrift in den USA und zuhause dem US-Ministerium für Heimatschutz zur Verfügung gestellt werden durften.
Gegen die Speicherung derart intimer Details wie Speisewünsche, die Rückschlüsse auf Krankheiten oder religiöse Orientierung des Fluggastes zulassen, hatten Datenschützer und fast alle Fraktionen des Europaparlamentes Bedenken angemeldet. Deshalb hatte die Mehrheit des EP beschlossen, gegen das Abkommen zu klagen. Entsprechend befriedigt äußerten sich viele Abgeordnete letzte Woche darüber, dass der EuGH den Vertrag gekippt hat. Allerdings teilt das Gericht die datenschutzrechtlichen Bedenken der Kläger nicht. In der Urteilsbegründung wird lediglich festgestellt, die EU-Kommission habe das Abkommen als Binnenmarkt-Regel deklariert, damit Etikettenschwindel betrieben und so ihre Kompetenzen überschritten.
Im Gegensatz zum Gericht, das den Datenschutzaspekt gar nicht mehr prüfte, nachdem es die Rechtsgrundlage für das Abkommen verworfen hatte, äußerte sich Generalanwalt Philippe Léger im November ausführlich zu der Frage. Dabei kam er zu dem Schluss, dass eine Reihe von Bestimmungen und Garantien in der Verpflichtungserklärung einen etwaigen Missbrauch verhindern können. "Daraus ist zu schließen, dass der Eingriff in das Privatleben der Fluggäste, gemessen an dem legitimen Ziel, das von der Regelung verfolgt wird, verhältnismäßig ist."
Die Fraktionen des Europaparlaments reagierten mit gemischten Gefühlen auf das Urteil. Während der liberale Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff in seiner Presseerklärung schrieb: "Europaparlament schützt Persönlichkeitsrechte der EU-Bürger", konstatierte die konservative Abgeordnete Ewa Klamt lakonisch, mit der Klage habe sich das EP "ins eigene Knie" geschossen. Damit habe man nur erreicht, "dass wir über künftige solche Abkommen nicht mehr mitentscheiden dürfen". Der europäische Datenschutzbeauftragte Peter Hustinx sagte: "Das Urteil scheint eine Lücke im Datenschutz für europäische Bürger geschaffen zu haben, wenn die Daten dazu genutzt werden, Kriminalität zu bekämpfen. Nun ist es noch wichtiger, unverzüglich ein Gesetz zu schaffen, mit dem der Datenschutz für die Politikbereiche, die nicht vergemeinschaftet sind, gewährleistet wird." Ein derartiges Gesetz hat EU-Innenkommissar Franco Frattini dem EU-Parlament in Aussicht gestellt - als Gegenleistung dafür, dass die Abgeordneten die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung im Plenum passieren ließen.
Die EU-Kommission ist nun in einer schwierigen Lage. Sie muss das Abkommen über den Austausch von Passagierdaten so formulieren, dass es den Datenschutzanforderungen aller Mitgliedstaaten gerecht wird. Gleichzeitig ist klar, dass die USA keine weiteren Zugeständnisse an europäische Bürgerrechtsstandards mehr machen werden. Mittelfristiges Ziel der EU-Kommission ist es, den ganzen Politikbereich Kriminalitätsbekämpfung ins Gemeinschaftsrecht zu überführen. Dann wären einheitliche Standards und die Mitentscheidungsrechte des Parlaments gewährleistet. Finnland hat bereits angekündigt, dieses Thema zu einem Schwerpunkt seiner Präsidentschaft vom ersten Juli an zu machen. Doch viele Mitgliedstaaten sträuben sich dagegen, Souveränitätsrechte in der Verbrechensbekämpfung an die EU abzugeben - allen voran Deutschland.