Der Countdown läuft. Schon bald könnten auf dem früheren kanadischen Militär-Airport Lahr Touristen aus Großbritannien, den Beneluxländern und Osteuropa landen - und damit fast vor der Haustür des Europaparks Rust, einem gigantischen Freizeitzentrum am Oberrhein. Nach einer im Verkehrsausschuss des Landtags anberaumten Debatte über dieses heiße politische Thema mit CDU-Innenminister Heribert Rech und dem für die Genehmigung zuständigen südbadischen Regierungspräsidenten Sven von Ungern-Sternberg zeigte sich jedenfalls Walter Caroli als Vorsitzender der Parlamentskommission überzeugt, "dass die Sache in Richtung eingeschränkter Passagierfluglizenz gelaufen ist". Diese Botschaft des örtlichen SPD-Abgeordneten dürfte der Lahrer SPD-Rathauschef Werner Müller ebenso mit Freude vernehmen wie Roland Mack, in dessen florierendem Europapark die baden-württembergische CDU schon mal Parteitage abzuhalten pflegt. Eine Entscheidung will Ungern-Sternberg Mitte Juni fällen.
Von niemandem wird dementiert, dass sich ein Ja für Lahr abzeichnet, wo bisher nur Frachtmaschinen starten und landen können. Mit dem "Sonderflughafen" erblickt republikweit eine Neuerung das Licht: Die australische Gesellschaft Babcock&Brown, die den Airport betreibt, darf dann im Prinzip nur Zubringerdienste für Rust erbringen. Das Konstrukt der eingeschränkten Lizenz soll der Regierung helfen, die landesplanerischen Vorgaben zu umgehen, wonach es im Südwesten angesichts der vorhandenen Pisten eigentlich keine weiteren Landesplätze geben soll. Doch der Druck der Investmentfirma Babcock&Brown, die anfangs pro Jahr 250.000 Touristen und bis 2011 immerhin 1,2 Millionen Besucher zum Europapark befördern will, sowie der südbadischen Interessenvertreter, war stark.
Mit der Ausrufung eines "Sonderflughafens" endet ein die Landespolitik aufwühlender Konflikt nur vorläufig. Denn die Kritiker etwa bei der Lobby des nordbadischen Airports Söllingen fürchten die Konkurrenz nur 60 Kilometer südwärts und argwöhnen, dass sich die begrenzte Erlaubis für Lahr als Einstieg in eine allgemeine Passagierlizenz erweisen könnte.
Baden-Württemberg ist bereits bestens mit Flughäfen bestückt. In Söllingen zwischen Karlsruhe und Baden-Baden starten und landen jährlich rund 650.000 Personen. Nebenan in Frankreich registriert Straßburg zwei Millionen Reisende pro Jahr, von denen an die 200.000 aus Deutschland stammen. Am Rheinknie rechnet der schweizerisch-französische Airport Basel-Mülhausen für 2006 mit vier Millionen Gästen, fast ein Drittel kommt aus Südbaden. Den größten Flughafen hat Stuttgart mit rund neun Millionen Passagieren. Außerdem existiert in Friedrichshafen am Bodensee eine Piste. Nicht ausgeschlossen, dass Stuttgart und Friedrichshafen ostwärts eine wenn auch kleinere Konkurrenz erwächst: Im bayerischen Allgäu wird der ehemalige Militär-Airport Memmingen ausgebaut.
Ausgelastet ist bislang keiner der Flughäfen im Südwesten. Gleichwohl legten sich OB Müller sowie die regionalen Größen von CDU und SPD mächtig ins Zeug für eine Lizenz in Lahr. Ein glattes Nein war der Regierung kaum möglich, wollte sie nicht in den Ruf geraten, angesichts eigener Interessen unerwünschte Wettbewerber auszubooten: Das Land ist am Flughafen Stuttgart beteiligt, der wiederum einen Anteil von zwei Drittel in Söllingen besitzt.
Mit Unterstützung auch nordbadischer SPD-Politiker wehrt sich Karlsruhes CDU-Rathauschef Heinz Fenrich gegen die Sonderlizenz für Lahr ("landesplanerische Bankrotterklärung"), weil so eine für Söllingen gefährliche Konkurrenz zu erwachsen drohe: Der Flugverkehr von und nach Rust könne über bestehende Landeplätze abgewickelt werden. Eine Erlaubnis für Lahr hält auch Georg Fundel, Geschäftsführer des Stuttgarter Airports, für überflüssig. Weil Flugzeuge der "Klimakiller Nummer eins" seien, sagt der Bund für Umwelt und Naturschutz Nein: "Ein weiterer Passagierflughafen hat in der Region keinen Platz", kritisiert Verkehrsreferent Klaus-Peter Gussfeld.
Die Grünen sprechen sich ebenfalls gegen zusätzliche Airports aus. Fraktionschef Winfried Kretschmann kann auch einem überraschenden Vorstoß von CDU-Ministerpräsident Günther Oettinger nichts abgewinnen: Das Land könne doch jenseits, aber nahe der Landesgrenzen beim Flughafen Basel-Mülhausen einsteigen. Anders als Kretschmann begrüßt wiederum Freiburgs grüner OB Dieter Salomon diese Initiative Oettingers.
Die Schlachtordnung ist also unübersichtlich. Der Streit im Südwesten beleuchtet ein bundesweites Problem: In Deutschland gibt es mit 39 Regional-Airports einfach zu viele dieser Pisten, die vielfach gegeneinander konkurrieren, finanziell meist auf keinen grünen Zweig kommen und oft nur mit Hilfe öffentlicher Zuschüsse zu überleben vermögen. Nach einer Studie der Deutschen Bank erreichen lediglich fünf der 39 Flughäfen Passagierzahlen, die annähernd kostendeckend sind.
Hinter dem Kannibalismus im Luftraum steckt das hehre Motiv, über gute Flugverbindungen die Wirtschaft anzukurbeln und Arbeitsplätze zu schaffen. Indes mündet eine solche Politik eben häufig in eine ruinöse Konkurrenz. Bernd Kortschak, Professor für Verkehrswissenschaften in Erfurt: "Regional unausgelastete Flughäfen, die sich nur gegenseitig Passagiere abjagen, agieren nicht anders als Blutegel, die sich gegenseitig aussaugen." Wirtschaftlich hätten viele dieser Landeplätze eigentlich keine Existenzberechtigung.
Der Kern des Problems: Es existiert keine republikweite Flughafenplanung. Der Konflikt in Baden-Württemberg verdeutlicht, dass es selbst auf Landesebene an einer abgestimmten Politik fehlen kann. Georg Fundel vom Stuttgarter Airport verlangt ein landesweites Luftverkehrskonzept. In dieses Horn bläst auch die oppositionelle SPD. Vor allem wegen des Klimaschutzes fordert der Bund für Umwelt und Naturschutz von der Landesregierung eine schlüssige Strategie, "sonst droht eine umweltpolitische Bruchlandung".