Selten war die fraktionsübergreifende Einigkeit größer: Deutschland ist Weltmeister - in Sachen Bürokratie und Reglungsdichte. Nur wie dieser Geißel des Bürgers und der Unternehmen Einhalt geboten werden kann, sind sich nicht alle Parlamentarier einig. Die Große Koaltion setzt in Zukunft beim Kampf gegen zuviel Bürokratie auf einen Nationalen Normenkontrollrat. Gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verabschiedete die Koalition aus CDU/CSU und SPD am 1. Juni die Einsetzung des "Anti-Bürokratie-TÜVs". Die FDP-Fraktion enthielt sich der Stimme.
Der beim Bundeskanzleramt angesiedelte achtköpfige Normenkontrollrat wird in Zukunft darüber wachen, dass durch Gesetze verursachte Bürokratiekosten gesenkt werden - allerdings nur bei Gesetzentwürfen der Bundesregierung. Was aber sind eigentlich Bürokratiekosten? Ausgaben für Formulare und Anträge oder Mittel für Büroklammern und Schnellhefter? Der Gesetzgeber definiert sie als Kosten, die Unternehmen, Bürger oder Verwaltungen durch Informations- oder Dokumentationspflichten entstehen. Gemessen werden sie mit Hilfe des so genannten "Standardkostenmodells". Damit wird beispielsweise errechnet und vergleichbar gemacht, wieviel Zeit ein Sachbearbeiter für das Ausfüllen eines Formulars benötigt und wieviel "Bürokratiekosten dadurch entstehen.
In den Niederlanden wird das Modell bereits erfolgreich angewandt. Hier wurde errechnet, dass staatlich verordnete Bürokratie pro Jahr 3,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) verschlingt. Nach Meinung von Experten bei einer Anhörung im Deutschen Bundestag könnten auch in Deutschland auf diese Weise 20 Milliarden Euro eingespart werden. "Man sollte sich ruhig in Europa umschauen und das, was gut funktioniert, hemmungslos abkupfern", sagte Laurenz Meyer (CDU) zum Auftakt der Debatte. Seiner Meinung nach sollten bald auch europäische Richtlinien im Entwurfsstadium stärker unter die bürokratische Lupe genommen werden. Die Tatsache, dass nur Gesetze der Bundesregierung vom Normenkontrollrat begutachtet werden sollen, wird von der Opposition kritisiert. Für die FDP erklärte Martin Zeil, dass ein solches Gremium nicht beim Kanzleramt, sondern beim Bundestag angesiedelt sein müsse. Dementsprechend sollten nicht nur Entwürfe der Bundesregierung, sondern auch Entwürfe aus den Reihen des Parlaments und des Bundesrates begutachtet werden. "Der Wachhund Normenkontrollrat droht zur ausgestopfen Attrappe zu werden, noch bevor er mit der Arbeit beginnt", so Zeil.
Die Linksfraktion sieht in dem neuen Gremium eine andere Gefahr: Sabine Zimmermann äußerte die Befürchtung, dass "Bürokratieabbau im Interesse der Wirtschaft und nicht der Menschen" betrieben werde. Ihre Fraktion plädierte dafür statt des Rates eine interministerielle Arbeitsgruppe für rationale Verwaltung einzusetzen. Bündnis 90/die Grünen geht das Gesetz nicht weit genug. Gesetzesentwürfe des Parlaments müssten miteinbezogen werden, erklärte Matthias Berninger und forderte die Einsetzung eines Ausschusses für Bürokratie. Für die SPD-Fraktion verteidigte Rainer Wend den Normenkontrollrat. Es müsse vermieden werden, so Wend, "dass über ein Trojanisches Pferd namens Bürokratieabbau in Wirklichkeit materielle Gesetzesänderungen durchgesetzt werden". Bei der Ausweitung auf Gesetzentwürfe des Parlaments sieht Wend außerdem verfassungsrechtliche Bedenken: Denn bei der Ausweitung würde ein von der Exekutive besetztes Gremium im Vorfeld die Legislative kontrollieren. Wirtschaftsstaatsekretär Hartmut Schauerte (CDU), wies den Vorwurf zurück, ein Normenkontrollrat erzeuge nur noch mehr Bürokratie. Sein Rezept gegen ausufernde Reglungswut lautet: "Gegen Bürokratie helfen nur Bürokraten...".