Der größte Zankapfel Hamburgs misst überirdisch 26.000 Quadratmeter, ist aus Glas und Stahl, soll Stadtbücherei, Bürgerschaftsbüros und Wohnungen bergen - und existiert bislang doch nur auf dem Papier. Trotzdem ist das Erregungspotenzial, das von dem "gläsernen Solitär" ausgeht, der auf dem Domplatz in der Innenstadt entstehen soll, schon jetzt beispiellos. Der moderne Entwurf des Stuttgarter Architekten Fritz Auer (Büro Auer+Weber), der mit dem Kubus als Sieger aus einem Wettbewerb hervorgegangen war, beschäftigt Stadtentwicklungsexperten, Politiker, Bürger und Journalisten. Und er hat den AltBundeskanzler, früheren Hamburger Innensenator sowie jetzigen "Zeit"-Herausgeber Helmut Schmidt aus der Reserve gelockt, dessen Büro im Zeitungshaus am Speersort in direkter Nachbarschaft zum Domplatz liegt. Spätestens seit Schmidt sich in einem stark beachteten Beitrag der "Zeit" zum Vorkämpfer gegen das Bauvorhaben aufschwang, ist aus der Architekturdebatte eine heftige Politschlacht geworden, von deren Brisanz selbst Bürgermeister Ole von Beust und Stadtentwicklungssenator Michael Freytag (beide CDU) überrascht wurden.
Der Altkanzler, der auch Ehrenbürger Hamburgs ist, hatte dem Senat vorgeworfen, er wolle die Innenstadt "verschandeln". Der ausgewählte Entwurf, der sich gegen 25 Konkurrenten durchgesetzt hatte, nehme "weder auf Geschichte Rücksicht noch auf Tradition, noch auf das städtebauliche Umfeld". Es handele sich vielmehr um einen "krampfhaften-schiefen, glasverkleideten Stahlskelettbau". Der Hauptvorwurf des architekturinteressierten Altkanzlers: An diesem historischen Ort - am Domplatz stand einst Hamburgs Keimzelle, die Hammaburg - bedeute das Projekt einen "krassen Bruch mit der Geschichte": Das neue Gebäude stehe im Widerspruch zu den einzigartigen Back-steinbauten des benachbarten Kontorhausviertels. Damit traf Schmidt den Nerv vieler Hamburger, die die von Fritz Schumacher geprägten Backsteinbauten lieben.
Das "Hamburger Abendblatt", das Schmidts Kritik vorab gedruckt hatte, erreichte eine Flut an zustimmenden Leserbriefen, die nicht nur die Ablehnungen des Siegerentwurfs, sondern auch das noch immer starke Gewicht der Stimme Helmut Schmidts in der Stadt klar zum Ausdruck brachten. Nicht nur die moderne Optik des Gebäudes, sondern auch dessen Größe auf einem vergleichsweise kleinen Platz sowie das konfuse Nutzungskonzept gerieten in den Fokus der immer lauter werdenden Kritik, die bis heute nicht abgeebbt ist. Das Problem für den CDU-geführten Senat: Nach Schmidts Vorstoß und der Welle der Zustimmung in der Stadt sprangen den Christdemokraten auch SPD und GAL (Grün-Alternative Liste) als Unterstützer der "Operation Domplatz" ab. Die in der Hansestadt seit Jahren in Umfragen schwächelnden Sozialdemokraten hatten die Entscheidung für den Entwurf zunächst genauso mitgetragen wie die Grünen, weil am Domplatz die Möglichkeit genutzt werden sollte, unweit des Rathauses zusätzliche Büros für die Bürgerschaftsfraktionen zu schaffen, die gerade von der SPD dringend benötigt werden. Doch die Chance, sich an die Spitze des von Schmidt angefachten Protests zu setzen, wollten sich der Parteivorsitzende Mathias Petersen und der Fraktionschef Michael Neumann nicht nehmen lassen. Sie plädieren gemeinsam mit der GAL-Fraktionsvorsitzenden Christa Goetsch dafür, das Projekt zu stoppen und neu auszuschreiben.
Die Christdemokraten werfen der Opposition im Gegenzug vor, sie habe den Domplatz in den Jahrzehnten ihrer Regierungszeit verkommen lassen. Michael Freytag: "Die SPD hat uns dort einen Parkplatz mit vorgeschalteter Würstchenbude hinterlassen. Wir lehnen es ab, dort mit den Planungen wieder ganz von vorne anzufangen." Tatsächlich wird seit 1955 über die Bebauung des Platzes gestritten, passiert war seitdem nichts.
In der Hansestadt will die CDU architektonisch Neues riskieren, dabei auch harte Brüche mit dem Herbgebrachten in Kauf nehmen. Ole von Beust ist der Überzeugung: "Gerade der Bruch ist es, der den Reiz ausmacht." Solche Diskussionen müssten ausgehalten werden. Wenn die Gebäude erst mal stünden, würden sie von den Menschen auch akzeptiert.
Doch der anhaltende Gegenwind zwang den Senat bereits zu Korrekturen: Nach einem Krisengipfel beim Bürgermeister wurde jetzt beschlossen, die Baumasse des ungeliebten Kubus um rund 15 Prozent zu verkleinern, und zwar zu Lasten der Bürgerschaftsräume und des geplanten Wohnbereichs. Ob das aber reicht, um den Widerstand zu befrieden, ist zu bezweifeln. Ganz zurück, wie von der Opposition weiter gefordert wird, können Beust und Freytag ohne Gesichtsverlust jetzt nur noch schwer, zumal der Kubus der einzige beim Wettbewerb eingereichte Entwurf war, der sich im Rahmen der angestrebten Public-Private-Partnership, also der Finanzierung durch Investoren, überhaupt realisieren lassen könnte, weil auch alternative Nutzungsformen zu den bisher geplanten möglich sind. Das strikte Festhalten an dem Solitär ist somit auch ein Zeichen für die Schwierigkeiten, die dem Senat dadurch entstanden sind, dass er für ein Gebäude auf öffentlichem Grund mit gemeinnützigem Nutzungskonzept keinen Cent ausgeben will. Der Solitär soll sich rechnen - um jeden Preis.