Erstmals seit dem Regierungswechsel in der Slowakei gehen die politischen Spitzen in Bratislava und Ungarn wieder aufeinander zu. Das Verhältnis beider Länder war mit der Aufnahme der Slowakischen Nationalpartei (SNS) von Ján Slota in die Regierung des seit Anfang Juli amtierenden sozialdemokratischen Premiers Robert Fico auf eine harte Probe gestellt worden. Dabei sind die Beziehungen wegen der jahrhundertelangen Herrschaft der Ungarn auf dem Gebiet der heutigen Slowakei ohnehin historisch belastet. Im August ist die Situation eskaliert: Sowohl in der Slowakei als auch in Ungarn kam es zu heftigen, teilweise tätlichen Attacken gegen die jeweils andere Seite. Slota hat nie ein Hehl gemacht aus seiner Abneigung gegen alles Ungarische, vor allem gegen die ungarische Minderheit in der Slowakei, die zehn Prozent der Bevölkerung stellt. Eine fragwürdige Bekanntheit über die Slowakei hinaus erlangte er wegen seiner Drohung, "Panzer nach Budapest" zu schicken, um auf dem Weg dorthin alles Ungarische schlichtweg platt zu machen.
Schon seit Juli hatten Slota-Gegner in Ungarn immer wieder lautstark ihrer Verärgerung über die Zusammensetzung der neuen slowakischen Regierung Luft gemacht, mitunter auf sehr brachiale Art und Weise. Plakate mit Slotas Porträt wurden öffentlich verbrannt, Fußballfans forderten die "Versklavung" von Slowaken. In der Slowakei wiederum wurden im August Ungarn tätlich angegriffen. So wurde eine Studentin in der Universitätsstadt Nitra wegen des Gebrauchs ihrer ungarischen Muttersprache krankenhausreif geschlagen, zudem wurde ihr T-Shirt mit anti-ungarischen Hetzparolen versehen.
Der slowakische Ministerpräsident Fico hatte nach dem Vorfall in Nitra nichts von heftigen Ermahnungen aus Budapest wissen wollen. Das, was passiert sei, könne überall vorkommen; im Übrigen sei die Slowakei ein souveräner Staat, dem man nichts vorzuschreiben habe. Fico hatte wegen der Regierungskonstellation in Bratislava aus seiner Smer-SD, der SNS und der L´S-HZDS des wegen seines autokratischen Regierungsstils berüchtigten Ex-Premiers Vladimír Meciar vor allem im Ausland immer wieder heftige Kritik einstecken müssen. Er eckte mit seiner Position aber nicht nur in der eigenen Partei, sondern auch beim Koalitionspartner L´S-HZDS an. Vladimír Meciar, der früher selbst mit populistischen Äußerungen gegen die ungarische Minderheit gewettert hatte, bezeichnete Slota und seine Haltung als "ernstes Problem" für die Regierung.
Das slowakische Parlament verabschiedete in der Vorwoche eine Erklärung gegen Extremismus und jedwede Form von Intoleranz. Diese war von Parlamentspräsident Pavol Paška als verbesserte Fassung eines Vorschlags der oppositionellen Ungarnpartei SMK vorgelegt worden. Dem Entwurf der SMK zufolge sollten zunächst nur Attacken gegen die ungarische Minderheit in der Slowakei verurteilt werden. Paškas Version wurde zwar von der SMK mitgetragen, stieß aber auf heftige Kritik der beiden anderen Oppositionsparteien, der SDKÚ-DS des früheren Ministerpräsidenten Mikuláš Dzurinda und der zuvor ebenfalls an der Regierung beteiligten christdemokratischen KDH. Ihnen zufolge würden damit die unbestreitbaren Erfolge der früheren Regierung in der Annäherung zwischen Bratislava und Budapest unnötig in Abrede gestellt. Ficos Partei agiert in dem Konflikt nicht geschlossen. Boris Zala, Vizechef der Smer-SD, kritisierte die ungarische Minderheit öffentlich wegen ihrer vermeintlichen Illoyalität gegenüber der Slowakischen Republik. Von anderer Seite wurden die Spitzenvertreter der SMK für ihre "täglichen Besuche" in Budapest kritisiert.
Der ungarische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány, der Fico nach dem Vorfall von Nitra scharf kritisiert und energische Schritte gegen die Täter gefordert hatte, sprach sich inzwischen für Gespräche zwischen Ungarn und Slowaken auf höchster Ebene aus. Es müsse möglich sein, den Konflikt auf eine Art und Weise zu lösen, die der historischen Aussöhnung Deutschlands und Frankreichs nach dem Zweiten Weltkrieg ähnle.
Im Europäischen Parlament lieferten sich ungarische und slowakische Abgeordnete in der Vorwoche eine heftige Auseinandersetzung. Die Ungarn griffen die slowakische Staatsführung wegen der jüngsten Vorkommnisse ungewohnt scharf an. Die slowakischen Abgeordneten Monika Benová und Vladimír Manka, beide Smer-SD, verteilten im Anschluss daran eine Erklärung an sämtliche Kollegen, in der sie sich für die Attacken gegen Ungarn auf dem Gebiet der Slowakei entschuldigten. Benová nannte das Auftreten der Ungarn aber "übertrieben dramatisch". Damit ist es wohl unumgänglich, die Geschehnisse zum Gegenstand einer gesonderten Parlamentsdebatte zu machen. Dafür hatte sich zuvor der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei Hans-Gert Pöttering eingesetzt.
Trotz der jüngsten Spannungen scheinen sich die meisten Slowaken und Ungarn doch bewusst zu sein, dass die Aggressionen vor allem von einzelnen Radikalen geschürt werden. Immerhin befürworten nach einer Umfrage des führenden Meinungsforschungsinstituts gut 30 Prozent aller Slowaken eine internationale Beobachtung der Situation. In Ungarn wiederum wird vor unzutreffenden Pauschalisierungen wie der gewarnt, dass die Menschen im Nachbarland schlechthin feindlich gesonnen seien.
Der Soziologe Tamás Pál wies vor kurzem in der Zeitung "Magyar Hírlap" darauf hin, dass ein wachsender Extremismus in der Slowakei zu verzeichnen sei, der aus einem gerade erst erwachenden Nationalbewusstsein resultiere. Dieser sei in erster Linie nicht gegen die ungarische Minderheit, sondern gegen die Roma-Minorität gerichtet. Hier müsse Fico achtgeben und für dauerhaft tragfähige Lösungen sorgen, wenn er auch in den kommenden Jahren noch das Land regieren wolle.