Der Minister ist "not amused". Josef Hecken (CDU) empört sich über eine "Flut übelster, mich persönlich beleidigender und polemischer Schreiben". Diese Attacken zeugten nicht von "hohem Berufsethos", klagt der Chef des Justiz- und Gesundheitsressorts im Saarland. Die Kritik des Politikers richtet sich gegen Anwürfe aus Kreisen der Apotheker, die gegen die von ihm verfügte Genehmigung einer Saarbrücker Filiale des holländischen Arzneiversandhandels DocMorris mit seinen Niedrigpreisen Sturm laufen. Der heftige Streit um diese kleine Pharmazie markiert über die Saar hinaus den Auftakt für weitreichende Umwälzungen in der deutschen Apothekenlandschaft: Auf der Kippe steht das Fremd- und Mehrbesitzverbot.
Hecken und die wachsende Schar der Befürworter einer Liberalisierung erhoffen sich mehr Wettbewerb auf dem Medikamentenmarkt mit Milliardeneinsparungen für die Krankenkassen zur Entlastung der Beitragszahler. Versandhändler wie etwa DocMorris, der von den Niederlanden aus bereits mehrere hunderttausend deutsche Kunden beliefert, gewähren bei rezeptfreien Arzneien Rabatte bis zu 30 Prozent und erlassen bei verschreibungspflichtigen Medikamenten die Hälfte der Zuzahlung. Die Holländer praktizieren dies auch in ihrer Saarbrücker Dependance, die als Basis für den Aufbau eines von deutschem Boden aus betriebenen Versandhandels mit rund 300 Beschäftigten dienen soll. Die Apothekerverbände fürchten, dass nach einem Dammbruch an der Saar unter dem Preisdruck durch den Versandhandel und durch die Entstehung von Pharmazieketten viele der mehr als 21.000 eigenständigen Apotheken mit ihrem professionellen Beratungsangebot aufgeben müssen: Als Konsequenz drohe eine Verschlechterung der Versorgung vor allem auf dem Land.
Die Entscheidung über die Revolution im Gesundheitswesen liegt zunächst in Justitias Händen. Eine einstweilige Verfügung gegen die Zulassung der DocMorris-Filiale wurde vom Landgericht Saarbrücken verworfen. Das ist freilich nur ein Etappensieg für Hecken. Über die Rechtmäßigkeit der Betriebserlaubnis für den DocMorris-Laden befindet demnächst das Verwaltungsgericht Saarlouis, das von der Saar-Apothekerkammer, dem Apothekerverband auf Bundesebene sowie mehreren Apothekern angerufen wurde.
Zwar sieht Hecken diesem Spruch "gelassen" entgegen. Doch der juristische Boden ist schwankend. Immerhin verstößt der Minister mit der Genehmigung für DocMorris bewusst gegen nationales Recht: Danach kann nur ein ausgebildeter Apotheker eine Pharmazie besitzen und betreiben, zudem darf er nicht mehr als drei Filialen sein eigen nennen. Für Justiz-Staatssekretär Wolfgang Schild das "Ergebnis hervorragender Lobbyarbeit".
Hecken argumentiert, das Europarecht mit seiner Garantie der Niederlassungsfreiheit breche deutsches Recht. Demnach könnte auch eine Kapitalgesellschaft wie DocMorris in der Bundesrepublik Apotheken eröffnen. Allerdings schreibt keine EU-Vorschrift zwingend vor, dass auf nationaler Ebene nicht von Brüsseler Vorgaben abgewichen darf, unter bestimmten Bedingungen ist das durchaus möglich. Vor allem auf diesen Sachverhalt stützen die Apotheker ihre Klage.
Kontra gibt Hecken die Stuttgarter CDU-Sozialministerin Monika Stolz, die einen Verdrängungswettbewerb zu Lasten ländlicher Regionen fürchtet, bei einer Liberalisierung würden sich die Unternehmen auf Ballungsräume konzentrieren. Helga Kühn-Mengel, Patientenbeauftragte der Bundesregierung, begrüßt hingegen die an der Saar angestoßene Entwicklung: Mehr Wettbewerb ermögliche es Versicherten und besonders chronisch Kranken, Geld zu sparen. Der AOK-Bundesverband erhofft sich eine Senkung der Arzneimittelausgaben. Der grüne Parteivorsitzende Reinhard Bütikofer sagt, die "Apothekerprivilegien" kosteten die Patienten jährlich bis zu zwei Milliarden Euro.
Aus Heckens Sicht können die Kunden auch von angestellten Apothekern gut beraten werden. Wie der Saar-Minister appelliert die Gewerkschaft Verdi an die Branche, sich offensiv einem Qualitätswettbewerb zu stellen. Falle das Mehrbesitzverbot, so führe dies nicht zwangsläufig zu weniger Arbeitsplätzen in diesem Sektor, sagt Jan Jurczyk, Sprecher beim Verdi-Bundesverband. Würden die Apotheken die Beratung ihrer Kunden spürbar verbessern, hätten sie gute Chancen, sich gegen die neue Konkurrenz zu behaupten. In Kleinstädten stellt sich manche Pharmazie bereits mit mehr Service auf die neue Zeit ein: Da wird schon mal eine Arznei nach Hause geliefert und dabei beim Bäcker noch schnell eine Besorgung für die Patienten und Kunden erledigt.
Der Versandhandel mit Medikamenten hat in Deutschland bislang einen Marktanteil von etwa einem Prozent, nach Schätzungen dürfte diese Quote auf acht bis zehn Prozent steigen. DocMorris selbst will über Saarbrücken hinaus keine Filialkette aufziehen. Gerd Glaeske, Mitglied im Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen, rechnet jedoch damit, dass "Kettenapotheken in Zukunft zum Alltag gehören".