Die SPD gibt sich in Berlin, wo am 17. September ein neues Abgeordnetenhaus gewählt wird, siegessicher: Großflächig plakatiert sie in diesen Tagen ihren Spitzenkandidaten Klaus Wowereit (51) ohne Namen, nur mit dem SPD-Logo. Immerhin haben Umfragen ergeben, dass mehr als 90 Prozent den Regierenden Bürgermeister kennen, der 2001 die aus CDU und SPD bestehende Große Koalition und damit den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) stürzte. Für wenige Monate stand er einer rot-grünen Koalition und nach der Wahl dem sich seitdem recht pragmatisch gebenden rot-roten Senat vor.
Die Umfragen sehen auch diesmal die SPD ("Konsequent Berlin") mit 30 Prozent der Stimmen (2001: 29,7 Prozent) weit vor der CDU ("Berlin kann mehr") mit ihrem neuen Spitzenkandidaten Friedbert Pflüger (52), die nach den Umfragen mit 23 bis 25 Prozent der Stimmen (2001: 23,8 Prozent) rechnen kann. Inzwischen hat Pflüger erklärt, dass er auch im Fall einer Wahlniederlage auf sein Bundestagsmandat und sein Amt als Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesverteidigungsminister verzichten wird. Er wird dann sowohl Partei- als auch den Fraktionsvorsitz der CDU übernehmen, um dann 2011 erneut als Spitzenkandidat anzutreten. Wowereit hat durchblicken lassen, dass er sich nach dem Berliner Urnengang mehr um die Bundespolitik kümmern will. Konkret ist er daran interessiert, stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD zu werden.
Wählen die Berliner etwa so, wie die Umfragen prophezeien, wäre Wowereit in der komfortablen Lage sein, sich zwischen der Fortsetzung der rot-roten Koalition oder einer Neuauflage der rot-grünen Koalition zu entscheiden. Allerdings dürfte die Linkspartei.PDS nicht mehr so gut abschneiden wie 2001, als sie noch unter der Führung von Gregor Gysi 22,6 Prozent der Stimmen erzielte. Gegenwärtig werden ihr rund 16 Prozent zugebilligt. Sie wird Stimmen an die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) abgeben, diese wird jedoch große Schwierigkeiten haben, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen. Der Landesverband Berlin der WASG lehnt (wie der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern) ein Zusammengehen mit der PDS ab und kandidiert deshalb gegen die Linkspartei.PDS. Die Folge: Der WASG-Bundesvorstand verweigert den beiden Landesverbänden jede Wahlkampfunterstützung. Die Berliner WASG-Spitzenkandidatin Lucy Redler will mit der "neoliberalen PDS" nichts zu tun haben.
Die FDP, die vor fünf Jahren 9,9 Prozent der Stimmen holte, rechnet sich für den 17. September mit ihrem Spitzenkandidaten Martin Lindner ein ähnlich gutes Ergebnis aus. Sollte die CDU - die wie die FDP vor allem im Ostteil der Stadt einen schweren Stand hat - besser und die SPD schlechter als erwartet abschneiden, könnte sich auch eine Mehrheit für eine Ampel-Koalition ergeben.
Die Grünen, die 2001 9,1 Prozent der Stimmen errangen und mit 14 Mandaten gegenwärtig die kleinste Fraktion im Abgeordnetenhaus stellen, treten mit der früheren Bundestagsabgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig als Spitzenkandidatin an. Es ist kein Geheimnis, dass sie am liebsten mit den Sozialdemokraten koalieren würde. Immerhin werden den Grünen in den Umfragen zehn und mehr Prozent der Stimmen zugetraut. Wichtig ist nicht zuletzt die Wahlbeteiligung. Keine Chancen werden der NPD eingeräumt. Sie wird wahrscheinlich ebenso wie alle anderen weiteren mehr als 20 Parteien ohne Chancen auf einen Sitz im Abgeordnetenhaus bleiben.
Von den amtierenden Senatoren haben sich in den zurückliegenden Jahren bei der SPD vor allem der für das Finanzressort zuständige Thilo Sarrazin und der für das Innenressort verantwortliche Erhart Körting einen Namen gemacht. Sarrazin wegen seiner konsequenten Sparpolitik - dennoch hat Berlin einen Schuldenberg von 60 Milliarden Euro angehäuft - respektiert, hat sich kürzlich wegen eines Vergleichs mit dem Jahr 1947 sogar einen ordentlichen Rüffel von Klaus Wowereit im Abgeordnetenhaus zugezogen. Dabei hatte Sarrazin nicht den baulichen Zustand Berlins im Jahr 1947 gemeint, sondern den Vergleich lediglich auf die Finanzen bezogen. Trotz seiner Sparerfolge kann sich Sarrazin seines Amts nach der Wahl nicht sicher sein.
Gleiches gilt für Bildungssenator Klaus Böger, der im Kampf um ein Wahlpflichtfach Religion unterlegen war und die Einführung eines Pflichtfachs Lebenskunde hinnehmen musste. Auch sonst hat er mit einer viel zu geringen finanziellen Ausstattung der Schulen zu kämpfen. Anerkennung über die Parteigrenzen hinweg hat sich Innensenator Erhart Körting erworben. Beliebt ist auch Justizsenatorin Karin Schubert, obwohl in ihrer Amtszeit einigen Häftlingen die Flucht gelang. Hohes Ansehen genießt auch die Senatorin für Stadtentwicklung, Ingeborg Junge-Reyer, deren Entscheidungsfreude allenthalben anerkannt wird. Die Linkspartei.PDS setzt nicht nur auf ihren Partei- und Fraktionschef Stefan Liebich, sondern auch auf ihre Senatoren Harald Wolf (Wirtschaft), Heidi Knacke-Werner (Gesundheit) und Thomas Flierl (Wissenschaft und Kultur).
CDU-Herausforderer Friedbert Pflüger hat ein Schattenkabinett aufgestellt, um gegen die in der Öffentlichkeit bekannteren Senatoren zu punkten. Zu seinem Schattenkabinett gehören unter anderem Rainer Eppelmann (Arbeit und Soziales), Michael Braun (Justiz), Detlef Stronk (Wirtschaft), Alexander Kaczmarek (Finanzen) sowie Monika Grütters (Kultur) und Mario Czaja (Verkehr und Umwelt).
Und was sind die Themen in diesem Landtagswahlkampf? Union und FDP wollen nicht zuletzt dem Religionsunterricht eine Chance geben. Themen aller Parteien sind die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Haushaltssanierung, die Ansiedlung von neuen Wirtschaftsunternehmen, die Verzahnung von Wissenschaft und Wirtschaft sowie eine Stärkung der bundespolitischen Präsenz der Hauptstadt.
Im 3,4 Millionen Einwohner zählenden Berlin dürfen erstmals in den zwölf Stadtbezirken - den Kommunen des Landes - die 16-Jährigen ihre Stimme für die Bezirksverordnetenversammlung abgeben. Dem Landeswahlleiter Andreas Schmidt von Puskas stehen in den 2.501 Wahllokalen und 467 Briefwahlbezirken rund 22.000 Wahlhelfer zur Seite.