Und ausgerechnet jetzt soll Stuttgart ein neues Regierungsviertel erhalten? Kein Geringerer als der Kabinettschef treibt diese Idee voran, mit Nachdruck unterstützt von der FDP. Bis Ende des Jahres ist eine Entscheidung avisiert. Ob das ambitionierte Projekt tatsächlich gestartet wird, ist angesichts der finanziellen Unwägbarkeiten offen, auch wenn die Rede von Spareffekten ist.
Bislang verteilen sich die zehn Ministerien weiträumig auf die City der Hauptstadt. Schon vor 20 Jahren hatte der damalige Stuttgarter Regierungspräsident Manfred Bulling ein "Haus der Landesregierung" ins Spiel gebracht, in dem verschiedene Ministerien untergebracht sind und ihre Arbeit besser koordinieren können. Ernsthaft aufgegriffen wurde dieser Vorstoß nie. Jetzt jedoch freut sich Wolfgang Schuster, "dass der Ministerpräsident die Initiative zu einer Neuordnung der Ministerien ergriffen hat". Der Stuttgarter CDU-Rathauschef: "Mit einem Regierungszentrum würde auch sichtbar gemacht, dass es in der Landeshauptstadt eine Landesregierung gibt."
Stuttgart erführe ohne Zweifel eine Aufwertung. Der städtische Etat bliebe verschont - das hat natürlich seinen Charme. So findet denn die Idee eines Regierungsviertels bei Kommunalpolitikern allenthalben Zustimmung. Das Rathaus könnte mehrere Flächen in der City als Standort offerien. Schuster denkt an ein anspruchsvolles Konzept für das neue Zentrum: In den oberen Etagen arbeiten die Ministerialen verschiedener Ressorts, und im Parterre sorgen Geschäfte und Gastronomie für Leben. Im Gespräch ist auch, das Regierungsviertel eventuell auf dem Areal des umstrittenen Projekts "Stuttgart 21" hochzuziehen: Zusammen mit der Errichtung einer neuen Schnellzugverbindung zwischen Stuttgart und Ulm soll der Hauptbahnhof unterirdisch verlagert werden, so dass oben Baugelände frei würde. Gegen diese Variante laufen die Grünen Sturm, weil sie in einem Umzug der Regierung an diese Stelle eine Subvention für das finanziell auf wackligen Beinen stehende Milliarden-Vorhaben "Stuttgart 21" sehen.
Bei näherem Hinsehen mutet das Etikett "Regierunsviertel" oder "Regierungszentrum" etwas hochtrabend an. Vier Ministerien sollen nämlich an ihrem angestammten Platz bleiben: Oettingers Staatsministerium in der imposanten Villa Reitzenstein, das Finanz- und Kultusressort im Neuen Schloss sowie das Justizministerium im Prinzenbau. Nun ist auch Oettinger klar, dass ein großer Neubau für die anderen Ressorts, dessen Kosten auf 300 bis 400 Millionen Euro geschätzt werden, möglichst billiger sein sollte als die jetzige dezentrale Lösung.
Nach einer von der Regierung in Auftrag gegebenen Studie ließen sich im Falle eines neuen Zentrums über 25 Jahre hinweg bis zu 85 Millionen Euro einsparen. Die Gutachter gehen dabei davon aus, dass der Flächenbedarf der Regierung von jetzt 68.000 auf 50.000 Quadratmeter reduziert wird: In dem Komplex gäbe es dann freilich nur noch kleine Neun-Quadratmeter-Büros, was die Begeisterung der Landesbediensteten nicht unbedingt anstacheln dürfte. Auch sollen durch die räumliche Nähe der Ressorts und durch die Zusammenlegung zentraler Dienststellen die Ministerialen künftig effizienter und kostengünstiger arbeiten.
Nun sind Einsparungen von 85 Millionen Euro über 25 Jahre nicht gerade viel Geld und über einen so langen Zeitraum kaum hieb- und stichfest zu berechnen. Die Kalkulation steht und fällt überdies mit der Verwertung der nicht mehr benötigten Liegenschaften. Das dürfte selbst in Stuttgart nicht leicht sein. Den Verbleib einiger Ministerien an ihrem jetzigen Standort begründet Oettinger auch mit solchen Erwägungen: So könne man das Neue Schloss nicht kommerziell nutzen, und Bedarf für zusätzliche Museen gebe es nicht. Vor einem Kabinettsbeschluss, öffentlich festgelegt hat sich der Ministerpräsident noch nicht, soll nun erst einmal ein Gutachten die Vermarktungschancen der frei werdenden Immobilien untersuchen.
CDU-Finanzminister Gerhard Stratthaus gilt als Skeptiker gegenüber der Idee eines neuen Regierungsviertels. Die SPD sagt zwar nicht von vornherein nein, hegt aber Zweifel an der Seriosität der bisherigen Kalkulationen. Am energischsten macht sich FDP-Justizminister Ulrich Goll für das Konzept stark, die Ministerien unter einem Dach zu vereinen. Die Liberalen wollen dieses Vorhaben zu einem Vorzeigeprojekt für Public-Private-Partnership machen: Unternehmen finanzieren den Bau und betreiben den Komplex, den der Staat anmietet. Nach den bisherigen Planungen müsste Goll selbst übrigens nicht in die neue Bürowabe umziehen: Sein Ressort dürfte ja im Prinzenbau bleiben.