Die Wähler, so zeigen Umfragen, mögen diese Art von Wahlkampf nicht, und doch geben alle zwei Jahre die beiden großen Parteien zu den Kongresswahlen dreistellige Millionenbeträge für Fernsehspots aus, gegen die Karl-Eduard von Schnitzlers "Schwarzer Kanal" ein Paradebeispiel für vorurteilsfreien Journalismus war.
Wenn die mit allen erprobten Mitteln der Propaganda produzierten Spots, einschließlich Täuschung, Verdrehung, dramatischer Musik und verfremdetem Bild, verpuffen würden wie die meisten kommerziellen Werbeeinblendungen, könnte man die Rolle der politischen Attackenwerbung in Wahlkämpfen als Auswuchs einer aus dem Ruder gelaufenen kapitalistischen Gesellschaft abtun. Wenn jedoch zu befürchten ist, dass diese mediale Massenware für etliche Wähler die einzige Informationsquelle im Wahlkampf darstellt, muss man sich fragen, wer da eigentlich wen wählt.
Selten war die Unzufriedenheit des Wahlvolks mit seinen Vertretern so ausgeprägt wie diesmal. Da muss man schon zwölf Jahre zurückgehen, um auf ähnliche Unmutsbekundungen zu stoßen wie in diesem Wahlkampf. "Throw the bums out" ("Versager raus!"), lautete die Losung bei den Kongresswahlen 1994. Resultat: Die Demokraten verloren ihre Mehrheit in beiden Kammern.
Eine ähnliche Abstrafung könnte der Mehrheitspartei - diesmal sind es die Republikaner - bei den Zwischenwahlen am 7. November drohen. Laut Umfrage von Wall Street Journal/NBC News Poll von Mitte Oktober ging die Zufriedenheit mit dem republikanisch beherrschten Kongress auf sechzehn Prozent zurück und stellte damit den bisherigen Rekord-Tiefstand vom April 1992 ein. Der Grund für die Verstimmung der Wähler damals: Die Abgeordneten hatten sich bei ihrer Hausbank günstige Überziehungskredite verschafft.
Auch diesmal sind es Korruption und Skandale, die den dramatischen Ansehensverlust der Volksvertreter ausgelöst haben. Davon betroffen sind in erster Linie die Republikaner. Schließlich waren sie es, die vor allem von der Schmiertätigkeit des Lobbyisten Jack Abramoff profitiert haben.
Sein erstes prominentes Opfer war Anfang des Monats der republikanische Abgeordnete Bob Ney. Er bekannte sich der Korruption schuldig und muss nun mit einer Freiheitsstrafe von maximal zehn Jahren rechnen. Abramoff hatte einem Indianerstamm versprochen, dass sich Ney in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Verwaltungsausschusses des Repräsentantenhauses für die Wiedereröffnung ihres Spielkasinos in Texas einsetzen werde. Das Kasino war auf Anordnung eines Bundesrichters geschlossen worden.
Wie viel Einfluss Bob Ney hatte, wurde den Indianern klar, als das Restaurant des Repräsentantenhauses im Vorfeld des Irakkriegs und auf dem Höhepunkt antifranzösischer Ressentiments auf seine Veranlassung hin "French fries" in "freedom fries" und "French Toast" in "freedom toast" umbenannte. Und als das Weiße Haus ihm für eine Weihnachtsfeier nur eine Begleitperson zugestand, verloren wenig später 40 von 44 Regierungsbeamten ihren Parkplatz am Kapitol.
Mit dem Kasino hatte Ney allerdings keinen Erfolg. Dennoch ließ er sich über Abramoff von den Indianern für sein Engagement fürstlich belohnen, unter anderem mit einem spesenträchtigen Golf-Urlaub in Schottland. Außerdem soll er, laut Anklage, von einem ausländischen Geschäftsmann 50.000 Dollar Spielgeld für Kasinobesuche entgegengenommen haben.
Sein Mandat - er vertritt einen überwiegend von den Amish besiedelten Bezirk des Bundesstaates Ohio - hat er genauso wenig aufgegeben wie sein mit sechzehn Mitarbeitern besetztes Büro, Zimmer Nr. 2438, im Rayburn House des Kapitols. Zur Wiederwahl tritt er jedoch nicht an. Ein sicherer Gewinn für die Demokraten, die damit nur noch vierzehn Sitze dazu gewinnen müssen, um die Mehrheit im 435 Sitze umfassenden Abgeordnetenhaus zurückzuerobern.
Eigentlich sind es nur dreizehn umkämpfte Sitze, denn auch der 16. Bezirk des Bundesstaates Florida, der seit 1994 vom Republikaner Mark Foley vertreten wurde, dürfte an die Demokraten fallen. Foley trat im September zurück, nachdem ihm sein überfreundliches, durch anzügliche E-Mails dokumentiertes Verhältnis zu jugendlichen Pagen im Repräsentantenhaus zum Verhängnis wurde.
Foleys Fall ließ vorübergehend auch den republikanischen "Speaker" des Abgeordnetenhauses, Dennis Has-tert, um Posten und Wiederwahl bangen. Er soll frühzeitig von den unsittlichen Avancen des homosexuellen Abgeordneten aus Florida gewusst haben. Für Wahlforscher besteht kein Zweifel daran, dass republikanische Wähler, mehrheitlich auf traditionelle Werte wie Moral, Anstand und Familie eingeschworen, ihre Partei mit Liebesentzug bestrafen werden, wenn sich erweisen sollte, dass sich führende Republikaner im Fall Foley fahrlässig verhalten haben.
Das könnte das Ende der republikanischen Mehrheitsherrschaft im Kongress und den Anfang vom Ende der Präsidentschaft des George W. Bush bedeuten. Mit 52 zu 37 Prozent gaben die Wähler in der Umfrage von Wall Street Journal/NBC Mitte Oktober den Demokraten den Vorzug.
Zum ersten Mal kam eine Partei damit auf mehr als 50 Prozent. Im Oktober 1994, kurz bevor die Republikaner den Demokraten die Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses abnahmen, sprachen sich mit 46 zu 37 Prozent nur neun Prozent mehr Wähler für einen republikanisch beherrschten Kongress aus. Dabei hatte der damalige demokratische Präsident, Bill Clinton, noch erheblich bessere Akzeptanzwerte (46 Prozent) als sein republikanischer Amtsnachfolger, George W. Bush, vor dieser Wahl. Bush lag zuletzt bei unter 40 Prozent.
Alarmzeichen löste bei der Grand Old Party (GOP) auch die Tatsache aus, dass ihre Stammwähler bei weitem nicht so motiviert sind wie die Basis ihres politischen Gegners. Zeigten sich 60 Prozent der demokratischen Stammwähler an der bevorstehenden Wahl "besonders interessiert", waren es bei der GOP nur 48 Prozent. Mit deutlicher Mehrheit sprachen sich die Wähler auch dafür aus, das republikanische Machtmonopol - Weißes Haus, Repräsentantenhaus und Senat - bei den "mid-term elections" am 7. November aufzubrechen.
Es ist nicht nur der süßliche Geruch von Korruption, der die Wähler die Nase rümpfen lässt. Bestechlichkeit allein wird den Wahlausgang nicht entscheiden, vor allem da sie nicht auf eine Partei begrenzt ist. Zur allgemeinen Malaise tragen auch die Unzufriedenheit über das "outsourcing" von Arbeitsplätzen, steigende Gesundheitskosten, die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich sowie das ungelöste Problem der illegalen Einwanderer (etwa zwölf Millionen) bei.
Entscheidend für das Unbehagen des Wahlvolks ist jedoch die Lage im Irak, das tägliche Morden, die scheinbare Ausweglosigkeit und die steigenden Verlus-te unter den US-Soldaten. Nachdem Präsident Bush Mitte des Monats Parallelen zwischen dem Vietnamkrieg und dem Irakkonflikt nicht mehr ausschließen wollte - ein Journalist hatte die Tet-Offensive von 1968 mit dem Aufstand im Irak verglichen -, wurde im ganzen Land der Ruf nach einer neuen Strategie laut.
Je mehr republikanische Abgeordnete und Senatoren im Wahlkampf von den Demokraten wegen der Irakpolitik des Präsidenten unter Druck gesetzt wurden, desto deutlicher wurde, dass das von Bush vorgegebene Ziel für den Irak - ein stabiles, demokratisches Land, das sich selbst regieren, versorgen und verteidigen kann - in einem überschaubaren, politisch akzeptablen Zeitraum nicht zu erreichen sein wird.
Auch Wähler, die bei den Präsidentschaftswahlen 2004 für Bush gestimmt hatten, sehen den Irakkrieg inzwischen mehrheitlich als einen Fehler an. Prominente republikanische Senatoren wie Chuck Hagel und John Warner stellen öffentlich die Frage, auf welcher Seite die US-Truppen in einem Bürgerkrieg eigentlich kämpfen sollen.
Je aussichtsloser die Lage im Irak wird, desto verheerender wirkt sich die Wahlkampfstrategie des Weißen Hauses aus, Irak und Krieg gegen den Terror wie siamesische Zwillinge zu behandeln. Und je mehr Wähler eine neue Strategie und einen baldigen Truppenabzug fordern, desto haltloser wird der Vorwurf der Republikaner, die Demokraten wollten nur kapitulieren ("cut and run").
Republikanische Abgeordnete, die um ihre Wiederwahl bangen müssen, haben frühzeitig damit begonnen, sich vom Präsidenten abzusetzen und Irak als Thema im Wahlkampf möglichst totzuschweigen. Umso hartnäckiger versuchen die Demokraten, ihren republikanischen Kontrahenten aus ihrer Nähe zu Bush einen Strick zu drehen.
Je deutlicher lokale und regionale Themen, die gewöhnlich bei Kongresswahlen den Ausschlag geben, in den Hintergrund treten und durch die Nachrichten von der Irakfront verdrängt werden, desto mehr wird diese Wahl zum Referendum über George W. Bush. Bleiben Irak und Korruption im Brennpunkt des Wahlkampfs, werden auch immer mehr Wechselwähler zu den Demokraten tendieren.
Wenn es stimmt, dass der Bundesstaat Ohio ein Spiegelbild der Nation ist, mit Arbeitsplatzverlusten im industriellen Nordosten, einer eher ärmlichen Agrarregion im Südosten, einer prosperierenden Landwirtschaft im Nordwesten und einer blühenden Dienstleis-tungswirtschaft im Zentrum rund um die Hauptstadt Columbus, dürfte das Wahlverhalten des "buckeye state" am 7. November ein Indiz für die ganze Nation sein.
Hält der Trend der vergangenen Wochen an, ist die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus mehr als gefährdet. Und das nicht nur wegen des freigewordenen Sitzes von Bob Ney. Scheitert auch der republikanische Senator, Mike DeWine, in Ohio, hätten die Demokraten gute Chancen, auch im Senat die Mehrheit zurückzuerobern. Dafür benötigen sie einen Zugewinn von sechs Mandaten.
Doch entschieden ist noch nichts. Nicht nur haben die Republikaner für ihren Wahlkampf mehr Geld im Säckel als die Demokraten. Sie verfügen auch über die bessere Organisation, um ihre Wähler an die Wahlurnen zu bringen. Das hat schon einmal den Ausschlag gegeben: bei der Präsidentschaftswahl 2004, in Ohio.
Darauf und auf die Hilfe Osama bin Ladens, der als stummer Gast in einem furchteinflößenden Werbespot der republikanischen Partei erscheint, schwören auch diesmal wieder George Bush und sein Wahlkampfguru Karl Rove. Angst verbreiten hat sich für sie immer bezahlt gemacht. Und wer in Abgründe schaut, wird leicht das Opfer von Schwindel.