Vierzehn amtierende deutsche Politiker, eine Schauspielerin, ein Schauspieler, ein Liedermacher, ein Schweizer Professor, ein ehemaliger Bundesminister, ein Bertolt Brecht. Ein Mann aus dem Bundestag hat sie zusammen auf eine Scheibe gebrannt. Dieter Dehm, Abgeordneter der Linksfraktion, Songschreiber und Musikproduzent, konnte für seine CD "Brecht auf der Tagesordnung - Lyrik und Lieder" Parlamentarier aus allen Bundestagsfraktionen gewinnen, neben Künstlern aus dem Werk des Dichters zu lesen.
Blüm und Wagenknecht, Lammert, Trittin und Gauweiler: Sie sind Lyrik-Interpreten der ganz besonderen Art. Ihre Stimmen klingen vertraut aus den parlamentarischen Wortgefechten, aus Statements vor der Kamera und Talkrunden. Sie einmal anders zu hören, ist vertraut und überraschend zugleich. Die Texte Brechts - zeitlos schön und eindringlich bis heute. Das liegt vor allem an der persönlichen Auswahl der Beteiligten. Sie alle brachten "ihr" Stück von Brecht mit, die meisten nähern sich ihm ganz unverfänglich.
Dass Gregor Gysi sich die Grabinschriften für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg vornahm, ist kaum eine Überraschung. Norbert Blüm wählte den starken Song "Von der Ware" gegen einen menschenverachtenden Kapitalismus, den er zwar nicht singt, sondern eher bedächtig vorträgt.
Bundestagspräsident Norbert Lammert hat sich mit "Die Lösung" etwas Ironisches ausgesucht: "Nach dem Aufstand des 17. Juni ließ der Sekretär des Schriftstellerverbandes in der Stalinallee Flugblätter verteilen, auf denen zu lesen war, dass das Volk das Vertrauen der Regierung verscherzt habe und es nur durch verdoppelte Arbeit zurückerobern könne. Wäre es da nicht einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?"
Oskar Lafontaine, bekannt für Redefeuer auf Parteitagen, klebte beim "Lob der Dialektik" ziemlich am Blatt. Dafür gehen die Rezitatoren Hermann Scheer, Peter Gauweiler und Ottmar Schreiner äußerst gefällig ins Ohr.
Neben den Politikern des Bundestages machen bei diesem Projekt auch der Musiker Konstantin Wecker, der Schauspieler Peter Sodann, der einst für ein PDS-Bundestagsmandat kandidieren wollte, und der Schweizer Soziologe und Globalisierungsgegner Jean Ziegler mit. Mit dem liebenswerten Akzent seiner Heimat klingt sein Brecht fast wie ein Heimatdichter, wenn es sich nicht ausgerechnet um das "Lob des Revolutionärs" handeln würde. Eine reizvolle Brecht-Interpretation.
Wecker singt zwei seiner eigenen Vertonungen, besonders heiter fällt dabei das Lied "Wenn sie trinkt, fällt sie in jedes Bett" aus. Insgesamt sind 26 Wortbeiträge und drei Lieder zu hören, das längste Stück gut vier Minuten, das kürzeste 17 Sekunden, getrennt von musikalischen Hanns Eisler-Variationen. Das strukturiert die 75 Minuten Spieldauer, dadurch wirken sie abwechslungsreich und kurzweilig.
Die Aufnahme ist nicht unbedingt ein Meilenstein Brechtscher Interpretation, denn das literarische Rezitieren ist hörbar doch nur die Sache weniger. Dennoch hat es seinen eigenen Charme, wenn der südhessische Dialekt des ehemaligen Arbeitsministers einem Brecht etwas Weiches und leicht Behäbiges verleiht oder ein Abgeordneter der FDP sich eigentlich keinen Grabstein wünscht, aber wenn andere ihm einen setzen wollen, dann sollte draufstehen: "Er hat Vorschläge gemacht, wir haben sie angenommen." Und es spricht für Brecht, dass 50 Jahre nach seinem Tod ein Liberaler sich seine Worte auf die Fahnen schreiben kann. Mit seinem Brechtprojekt wollte Dehm den Schriftsteller vor dem Schicksal anderer Klassiker wie Schiller retten, bei denen "das Agitatorische in den Hintergrund" trete, weil nur noch die klassischen Stücke gespielt würden. "Mir war es auch wichtig, damit zu demonstrieren, dass eine Hetzjagd wie in den 50- Jahren auf Brecht nicht mehr möglich ist." Für Dehm ist Brecht der Dichter der Nation, der nicht einer politischen Seite angehöre. Und so hat nach Meinung des Initiators auch jeder ein "Recht auf Brecht". Die Bereitschaft, bei der Brecht-CD mitzumachen, sei sehr groß gewesen, so Dehm. Er machte den Lesenden Textvorschläge, die meisten suchten sich aber selber etwas aus. Dehm stand ihnen auch bei den Aufnahmen zur Seite, und manchmal musste er den Deutschlehrer im Politiker bremsen. Im beiliegenden Heftchen erklärt der Initiator des Projekts, dass einige Protagonis-
ten sofort zugesagt hätten, andere hingegen überhaupt nicht. Manche ermunterte er zu Brecht-Werken, die für den Vortragenden eine besondere Bedeutung haben. Gemeinsam sei ihnen, das betont Dehm, das Engagement gegen Nazismus. Dehm tritt mit eigenen Brecht-Programmen auf und schreibt selber Songs. Von ihm stammen unter anderem die Hits "Tausendmal berührt" von Klaus Lage und "Was wollen wir trinken, sieben Tage" von Bots. Das hätte Brecht bestimmt gefallen: Der Reinerlös der CD geht an Amnesty International und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten.
Brecht auf der Tagesordnung - Lyrik und Lieder, SpV Record (SPV), 10,95 Euro