KAMBODSCHA
Die Regierung von Ministerpräsident Hun Sen baut ihre Mehrheit in der Nationalversammlung aus. Die Opposition will sich nun zusammenschließen
Aus den Erinnerungen der Kambodschaner tauchen immer wieder schreckliche Bilder der Gewalt auf: Die Roten Khmer terrori-sierten das südostasiatische Land von 1975 bis 1979. Das Regime der Steinzeitkommu-nisten kostete fast zwei Millionen Menschen das Leben. Wer den Kambodschanern daher Frieden und Stabilität verspricht, dem schenken sie ihr Vertrauen. Und sei es einem so suspekten Politiker wie Ministerpräsident Hun Sen (56), dessen bis in die letzten Winkel des Königreichs vertretene Kambodschanische Volkspartei (CPP) das Land seit 23 Jahren regiert und auch für die nächsten fünf Jahre am Ruder bleiben wird.
"Niemand kann Hun Sen schlagen. Nur Hun Sen selbst kann Hun Sen besiegen." Der vor Selbstbewusstsein strotzende Regierungschef sollte Recht behalten, bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 27. Juli gewann die CPP nach letzten vorliegenden Ergebnissen 90 der 123 Sitze und kann nahezu uneingeschränkt weiterregieren. Sie baute sogar ihren Sitzanteil gegenüber der vorherigen Wahl im Jahr 2003 (73 Sitze) noch aus. Wer vorwiegend von der oberen Mittelschicht der rund 14 Millionen Einwohner seine Hoffnungen auf Sam Rainsy, einen weltgewandten Politiker mit Zweitwohnsitz in Paris, gesetzt hatte, der wurde enttäuscht. Zwar konnte der Vorsitzende der gleichnamigen Partei SRP ein paar Sitze auf jetzt 26 hinzugewinnen, doch bleibt ihm die Macht erneut verwehrt. Einen Absturz ins nahezu Bodenlose erlebten die früheren Royalisten. Die Funcinpec-Partei, bisheriger Juniorpartner Hun Sens, brachte es nur noch auf einen einzigen Sitz. Da nützte auch ihre Selbstreinigung nichts; hatte sie doch im vergangenen Jahr ihren früheren Vorsitzenden gestürzt, nachdem er zuvor wegen Korruption zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war. Die "Human Rights Party" unter Vorsitz des charismatischen Kem Sokha konnte lediglich drei Sitze ergattern.
Sokha kündigte eine mögliche Koalition der Verlierer an, die die CPP künftig herausfor-dern soll. Auch Sam Rainsy erklärte: "Wir haben beschlossen, unsere Kräfte zu bün-deln, um gegen Hun Sen zu kämpfen." Au-ßerdem forderte Sam Rainsy eine Wieder-holung der Wahl, da es zu massivem Wahl-betrug gekommen sei. Viele Wähler hätten ihre Namen nicht auf den Listen finden können. Koul Panha vom kambodschanischen Komitee für faire und freie Wahlen (Comfrel) spricht von der Streichung von Zehntausenden Namen von den Wahllisten durch das nationale Wahlkomitee mit Hilfe der CPP. Panha vermutet, dieser "ungeheuerliche Eingriff" vor allem in der Hauptstadt Phnom Penh könne mit den fast eine Million zählenden neuen Jungwählern zusammenhängen, die der Regierung kritischer gegenüberstehen als die ältere Generation. Auch sei Geld an Wähler geflossen, um sie im Sinne der regierenden Volkspartei zu beeinflussen. Menschenrechtler hatten der CPP bereits im Vorfeld massive Einschüchterung der Opposition vorgeworfen, die zudem im staatlichen Rundfunk keine Möglichkeit erhalten hatte, sich zu präsentieren. Nur die Zeitungen berichteten über sie. Doch erreichen die Printmedien nur wenige Kambodschaner, da zwei Drittel der Bevölkerung nicht lesen und schreiben können. Kurz vor den Wahlen war in Phnom Penh ein der Opposition nahestehender Journalist ermordet worden. Der für die Tageszeitung "Moneakseka Khmer" arbeitende Khim Sam Bo (47) und sein 21-jähriger Sohn waren von zwei Männern auf einem Motorrad erschossen worden. Die Zeitung des Journalisten hatte Oppositionsführer Sam Rainsy zitiert, der Außenminister Hor Namhong eine Beteiligung an den Gräueltaten der Roten Khmer vorgeworfen hatte.
Es ist kein Geheimnis, dass in Hun Sens Regierung noch Rote Khmer sitzen. Das seit zwei Jahren in Phnom Penh arbeitende internationale Völkermord-Tribunal gegen deren letzte Führer müssen diese Politiker allerdings nicht fürchten. Mit Verurteilungen müssen nur fünf verhaftete Führer rechnen. Doch immer wenn Gerüchte über Verbindungen der Roten Khmer zu noch aktiven Politikern auftauchen, setzt Hun Sen missliebige Journalisten und Oppositionelle unter Druck.
Obwohl der Regierungschef in den 70er-Jahren von den Roten Khmer zu den Vietnamesen überlief, konnte er sich bis heute nicht völlig von dem Verdacht befreien, im Regime eine aktive Rolle gespielt zu haben.
In einem Land, in dem 80 Prozent der Be-völkerung mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen müssen, spielen politische Ideologien und die vom Westen beschwore-nen demokratische Werte eine äußerst ge-ringe Rolle. Kein Wunder, dass kürzlich eine Umfrage des Internationalen Republi-kanischen Instituts (IRI) ergeben hat, dass die meisten Kambodschaner der Volkspar-tei vertrauen, weil sie mit ihr wirtschaftlichen Aufschwung und den Ausbau der Infrastruktur verbinden.
Die Wirtschaft boomt seit Jahren mit einem durchschnittlichen Wachstum von sechs Prozent. Doch machen steigende Lebensmittel- und Energiepreise den Menschen schwer zu schaffen. Dennoch misstrauen sie den Oppositionspolitikern. Sam Rainsy, so spottete Hun Sen kürzlich, habe es nicht einmal fertiggebracht, auch nur eine einzige Toilette in Kambodscha zu bauen. Obwohl Rainsy sein Programm auf Schlüsselthemen wie die allgegenwärtige Korruption und Löhne konzentriert hatte, blieb ihm der Erfolg versagt.
Zum Wahlerfolg Hun Sens dürfte auch der aktuelle Grenzstreit mit Thailand beigetragen haben. Streitobjekt ist der gerade von der Unesco gegen thailändischen Widerstand zum Weltkulturerbe erklärte Tempel Preah Vihear. Das hinduistische Bauwerk war 1962 vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag Kambodscha zugesprochen worden. Der Konflikt schürt nationalistische Töne auf beiden Seiten und führte zuletzt sogar zu einem Aufmarsch mehrerer Tausend Soldaten.