Weltordnung
Über die USA, China und die EU als die neuen Imperien des 21. Jahrhunderts
Eine Reise um die Welt in 80 Tagen - das war einmal. Heute geht das schneller, und auch die Wandlung der Welt und ihrer Ordnung schreitet mit rasendem Tempo voran. Grund genug, das Augenmerk auf die neuen Global Player der Gegenwart zu richten, ihren Machthorizont auszuleuchten und ihre Interessen zu erforschen. Der Geopolitikexperte Parag Khanna hat mehr als 50 Länder der Zweiten Welt bereist, Länder, in denen der Wohlstand der Ersten Welt auf das Elend der Dritten Welt prallt.
Auf mehr als 600 Seiten lässt er den Leser an dieser temporeichen Reise teilnehmen und vor seinen Augen ein eindrucksvolles Bild von Krisen, Chancen und Herausforderungen entstehen, die ein immer komplexer, undurchdringlicher, fragiler werdendes weltpolitisches Machtgefüge birgt. Daraus folgt: "(...) neue Machtkonstellationen sind plötzlich denkbar oder schon Realität."
Nach dem Kollaps der Sowjetunion und einer besonders für die USA problematischen, weil abnehmenden Bedeutung militärischer Macht sind Europa und China aus dem Schatten der regionalen Sicherheitsschirme der USA herausgetreten. Die Erde wird gleichzeitig amerikanisiert, europäisiert und sinisiert. Über den Aufstieg der EU und China zu neuen Machtzentren - Khanna nennt sie "Imperien" - sagt er, dies sei "ein ebenso unaufhaltsamer Prozess wie die biologische Evolution".
Die USA sind angeschlagen; jetzt sind die "Imperien" dabei, Einfluss auf die neue Weltordnung zu nehmen. Dabei gilt: "Bessere Maßstäbe für Macht berücksichtigen die ökonomische Produktivität, den Weltmarktanteil, technologische Innovationskraft, Rohstoffvorkommen, Bevölkerungsgröße und schwer fassbare immaterielle Faktoren wie nationale Willenskraft und außenpolitisches Geschick."
Die "Imperien" haben ihren "Zielobjekten" nicht wenig zu bieten: Da wirtschaftliche Macht heute mehr bedeutet als militärische Macht, hat China durch die Kombination von riesiger Bevölkerung, Industrieproduktion und Finanzkraft das Zeug zu einer Supermacht mit beispiellosem Potenzial. Was den anderen Konkurrenten betrifft: "Der wirtschaftliche Wohlstand der EU ist größer als der der USA und Chinas, und sie verfügt über eine starke technologische Kompetenz."
Werfen wir einen Blick auf die umworbenen Länder der Zweiten Welt, denen auf dem geopolitischen Markplatz das Interesse der drei Großmächte gilt und die der Autor "eine erstaunlich unterschätzte Gruppe" nennt. Es sind die Staaten und Regionen in Osteuropa, Zentralasien, Lateinamerika, im Nahen Osten und Ostasien, die Khanna auf seiner Reise systematisch und mit Blick auf ihre "Befindlichkeit" und Zukunftsfähigkeit untersucht hat. Er ist dem Weg der Globalisierung gefolgt, den die potenziell reichen Staaten gegangen sind. Was er in den häufig autoritär regierten Systemen, Scheindemokratien, Kleptokratien und von einer "Westminster-Demokratie" oft weit entfernt liegenden Ländern fand, ist für die Regierenden wenig schmeichelhaft. Unbekannt ist das nicht, aber so detailliert und kenntnisreich wie Khanna das dem Leser vermittelt, ist die Lektüre eine Bereicherung.
Die Zweite Welt mit ihrem enormen Potenzial wächst. Länder wie Chile und Malaysia haben den Aufstieg in die Erste Welt bereits geschafft. Brasilien ist ein Gigant der Zweiten Welt, der sich Kapital an den Weltfinanzmärkten beschafft. Aber zugleich wissen Millionen seiner Bürger nicht einmal, was ein Weltmarkt ist.
In vielen Ländern, die über enorme Ressourcen verfügen, sind politische, ökonomische und kulturelle Verwerfungen an der Tagesordnung oder revolutionäre Umwälzungen die Regel. Bildhaft zeichnet der Autor ihre gegenwärtige Lage: Es "schieben sich die tektonischen Platten des Einflusses der Supermächte langsam über sie. Von Osteuropa bis Zentralasien und von Südamerika durch die arabische Welt und Südostasien ist der Kampf um die Zweite Welt voll entbrannt."
Der Kampf um die Zweite Welt. Imperien und Einfluss in der neuen Weltordnung.
Berlin Verlag, Berlin 2008; 623 S., 24 ¤