erinnerungen
Philipp von Boeselager über seine Beteiligung am Widerstand gegen Hitler
Stauffenberg, Tresckow oder Beck. Wenn diese Namen in Gedenktagsdiskursen die Runde machen, wissen wir sofort: Es geht um das Hitlerattentat vom 20. Juli 1944. Wenn dabei auch einmal der Name Philipp von Boeselager fällt, lässt die meisten von uns die jahrelang gepflegte Erinnerung an den militärischen Umsturzversuch im Zweiten Weltkrieg schon im Stich.
Schließlich zählte Boeselager zu den weniger bekannten, gleichwohl unentbehrlichen Helfern im Hintergrund. Dennoch lohnt es sich, seinen jüngst erschienenen Erinnerungen Aufmerksamkeit zu schenken. Nicht nur, weil es vielleicht das Gedenken an den vor wenigen Wochen im Alter von 90 Jahren Verstorbenen nahe legt oder er der letzte Überlebende aus dem innersten Zirkel der Widerstandskämpfer um Henning von Tresckow war. Sondern weil er in diesem Buch seinen ganz persönlichen Weg zum Widerstand beschreibt und damit unser Bild von den Verschwörern, ihrem Charakter, ihren Motiven, ihres Mutes und ihrer Schuld weiter schärft und ergänzt.
Über die Planung und den Verlauf der diversen Attentatsversuche, geschweige denn über den brutalen Russlandfeldzug, kann oder will uns Boeselager nämlich nicht mehr verraten, als die historische Forschung schon weiß. Über seinen eigenen aktiven Beitrag zur Verschwörung berichtet er zwar etwas hintergründiger und detaillierter als in den Interviews, die er in den vergangenen Jahren gegeben hat. Im Kern wiederholt er aber auch hier nur Altbekanntes - etwa dass er zu den neun Offizieren gehörte, die Hitler schon im März 1943 eine Kugel verpassen wollten, aber auf Weisung von Generalfeldmarschall von Kluge nicht abdrücken durften. Oder, dass er den britischen Sprengstoff für Stauffenberg besorgte, testete, für gut befand und an einen Mittelsmann in der Reichshauptstadt weitergab. Auch wie er seine 1.200 Mann starke Reiterschwadron am 18. Juli von Brest-Litowsk abzog, um den Verschwörern in Berlin zur Hilfe zu eilen, ist nicht neu.
Weitaus interessanter ist, welchem moralischen und politischen Kompass er folgte, wie er eingefleischten Nationalsozialisten begegnete und welche "ausschlaggebenden Erfahrungen" ihn als jungen Offizier schließlich "in den aktiven Widerstand trieben". Der katholische Rheinländer aus adeligem Hause stilisiert sich im Rückblick keineswegs als geborener Held mit politischem Durchblick.
Er hebt jedoch immer wieder hervor, christlich, patriotisch und zugleich liberal erzogen worden zu sein. Und gibt ehrlich zu, dass im Offizierskorps eine "apolitische Geisteshaltung" herrschte und die "Pflege einer Kameradschaft" wichtiger war, "als den aufgeklärten Bürger zu spielen". Insofern speiste sich sein Misstrauen gegen die unkultivierten Nazifunktionäre mehr aus einem elitären Ehrenkodex als aus der reflektierten Analyse ihrer verbrecherischen Politik. So betrachtete er den Angriff auf Polen und den Feldzug gegen Russland wie viele andere Verschwörer des 20. Juli zunächst unter rein militärischen und kaum unter moralischen oder menschenrechtlichen Gesichtspunkten.
Ob freilich auch bei einem "einfachen" Ordonanzoffizier von einem "verzögerten Einsetzen der Moral" gesprochen werden kann, wie es jüngere Historiker angesichts neuer Aktenfunde dem weitaus ranghöheren Henning von Tresckow vorwerfen, muss dahingestellt bleiben und entzieht sich der vorurteilsfreien historischen Analyse. Für Boeselager wie für Tresckow war die Kenntnisnahme vom systematischen Mord an unschuldigen Juden und Zigeunern hinter den Frontlinien mit Sicherheit ausschlaggebend, Hitler so schnell wie möglich zu töten, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden und von Deutschland zu retten, was noch zu retten war.
Wie schmal ihr Handlungsspielraum angesichts des Frontalltags, des Sicherheitskordons um Hitler und der Geheimhaltung ihrer Aktivitäten war, legt Boeselager glaubhaft dar. Weniger differenziert und kritisch ist jedoch seine Sicht auf Henning von Tresckow, den er wie seinen Bruder Georg ob seiner Charakterstärke und Tapferkeit geradezu vergöttert. So verliert er vor lauter Bewunderung denn auch die Schattenseiten seiner Vorbilder aus dem Blick. Er weist nicht darauf hin, dass Tresckow durch entsprechende Befehle vermutlich einige Morde hinter der Front hätte verhindern können und unterschlägt den von seinem Bruder entwickelten Plan zur Partisanenbekämpfung, der vermutlich auch vielen Unschuldigen das Leben gekostet hat.
So schwankt der pflichtbewusste und rechtschaffene Offizier bei seiner Darstellung der Ereignisse und Personen immer zwischen klarer Beobachtung und glorifizierender Heldenverehrung. Was sich auch in vielen packend erzählten Passagen manifestiert, in denen soldatische Tugenden wie Gehorsam, Stärke und Treue gepriesen, aber selten problematisiert werden. Boeselager hat seine ganz eigene Geschichte in Vorträgen und Gesprächen zwar bereits oft erzählt. Doch ist es gut, dass sie jetzt quasi in einem Guss vorliegt. Denn sie beweist trotz des historisch verengten Blickwinkels, von welchem Geist die meisten Verschwörer beseelt und von welchen Ängsten sie geplagt wurden. Dass die meisten Hitler nicht töten wollten, um die parlamentarische Demokratie, sondern "nur" den Rechtsstaat wiederherzustellen, steht auf einem anderen, wichtigen Blatt. Ihren außergewöhnlichen Mut schmälert das jedoch nicht.
Wir wollten Hitler töten. Ein letzter Zeuge des 20. Juli erinnert sich.
Carl Hanser Verlag, München 2008; 192 S., 17,90 ¤