Beutekunst
Kerstin Holm über ein schwieriges Kapitel der deutsch-russischen Beziehungen
In der renommierten antisowjetischen Zeitung der russischen Emigranten "Russkaja mysl'" erschien 1991 in Paris ein Artikel mit der Überschrift "Tote Werte, gewaltsam ihres Sinns beraubt". Darin bestätigte der Moskauer Kunsthistoriker Alexej Rastorgujew, dass in diversen russischen Museen Beutekunstlager existieren. Die von Rastorgujew veröffentlichte Liste enthielt Kunstschätze, von denen man glaubte, sie seien in den Wirren des Zweiten Weltkriegs verloren gegangen. Mit seinem Artikel schlug Rastorgujew ein neues Kapitel in den deutsch-russischen Beziehungen auf: den so genannte Beutekunststreit.
Kerstin Holm, die seit 1991 als Kultur-Korrespondentin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" aus Moskau berichtet, vollzieht in ihrem gründlich recherchierten Buch den Weg der Beutekunst nach. Sie erläutert die kulturpolitischen und kunsthistorischen Hintergründe der "Kunstkonfiskationen" während des Krieges, maßgeblich organisiert und durchgeführt vom sowjetischen Staat. Und sie erzählt die Geschichte des sowjetischen Soldaten Viktor Baldin und seiner Kameraden: Sie hatten heimlich Zeichnungen diverser Künstler aus Deutschland mitgebracht, die sie Jahrzehnte später unentgeltlich zurückgeben wollten.
Erst das Ende des Kalten Krieges ermöglichte es, die Frage der Beutekunst anzugehen: So erklärte sich die russische Regierung bereit, Bremen die berühmte Baldin-Sammlung zurückzugeben. Als Gegenleistung versprachen die Deutschen, in Nowgorod für die Restauration zerstörter Kirchen aufzukommen. 1995 verbot die Staatsduma jedoch per Moratorium jegliche Restitution der Beutekunst. Als Kulturminister Michail Schwydkoj für die Rückgabe der BaldinSammlung einen Termin festsetzte, verlor er seinen Posten. Zwei Jahre später verabschiedete die Duma ein Gesetz, in dem sie die Konfiskationen zu rechtmäßigen Selbstentschädigungen für erlittene Kulturgüterverluste erklärte. Außerdem verleibte sie die Beutekunst aus Deutschland dem nationalen Kulturerbe ein. "Privatbeute", die von Einzelnen während des Krieges verschleppten Kulturgüter, fiel hingegen nicht unter das Gesetz. Bis heute wartet Bremen auf die Rückkehr der Baldin-Sammlung.
Rubens in Sibirien. Beutekunst aus Deutschland in der russischen Provinz.
Berlin Verlag, Berlin 2008; 160 S., 18 ¤