SICHERHEITSpolitik
Moskau lässt außenpolitisch die Muskeln spielen und definiert sich selbst als größte euroasiatische Macht
"Russland ist stark und kann mehr Verantwortung bei der Lösung regionaler und globaler Probleme übernehmen", erklärte Präsident Dmitri Medwedew am 15. Juli bei einem Treffen mit Russlands Botschaftern im Außenministerium in Moskau. Während des "ehrlichen und pragmatischen Gesprächs" teilte der Neue den Diplomaten mit, dass "man uns nicht nur zuhört, sondern Entscheidungen von uns erwartet". Außerdem sollten sich die Außenamtsvertreter Gedanken darüber machen, wie sie die Interessen ihrer Heimat in Zukunft aggressiver vertreten könnten, forderte der Präsident ganz im "Putin-Stil". Dass er den Diplomaten unmissverständlich vorwarf, Russlands neu gewonnene starke Position nicht offensiv genug vorzubringen, ließ er in die Öffentlichkeit durchsickern.
In seinen Ausführungen skizzierte Medwedew das Bild eines selbstbewussten Russlands, das seine nationalen Interessen mit aller Entschiedenheit wahren werde. Moskau habe sich vorgenommen, alle Versuche einzelner Länder oder von Staatengruppen abzuwehren, die zu ihrem eigenen Vorteil "das Völkerrecht umgehen und verletzen wollen". Damit bezog er sich auf die USA und die Nato - auf die direkte Namensnennung verzichtete der Präsident jedoch. Schließlich will Medwedew keine offene Konfrontation mit diesen wichtigen Partnern. In diesem Zusammenhang kritisierte er auch die Kosovo-Politik des Westens scharf, indem er die "völkerrechtswidrige Unabhängigkeit" des Kosovos mit dem Irak-Krieg der USA verglich. Daneben bekräftigte der Präsident, dass seine Außenpolitik auf eine stärkere Rolle der Vereinten Nationen, insbesondere des UN-Sicherheitsrats, abziele. An die Stelle der OSZE soll nach dem Willen Moskaus ein neuer euroatlantischer Vertrag treten.
Zu den Aufgaben der russischen Außenpolitik gehöre auch die Bekämpfung der neuen "ideologischen Angriffe" auf sein Land, unterstrich Medwedew. Und weiter: Bei dem Versuch, die Geschichte umzuschreiben, gehe es einzig darum, Russlands Vergangenheit und die aktuelle Politik zu diffamieren.
Abgesehen davon setzte Medwedew auch neue außenpolitische Akzente: Während sein Amtsvorgänger Wladimir Putin angekündigt hatte, Moskau werde auf die US-Raketenabwehrpläne in Osteuropa "asymmetrisch" reagieren, will sein Nachfolger "adäquat" antworten. Mit anderen Worten: Russland plant, gegen die Raketen-Anlagen mit militärischen Mitteln vorzugehen.
Die erste große außen- und sicherheitspolitische Rede Präsident Medwedews ging mit der Präsentation seines "Konzepts der Außenpolitik der Russländischen Föderation" einher. Darin definiert er Russland als eines der "wichtigsten Zentren der gegenwärtigen Welt" und als "größte euroasiatische Macht mit dem Status einer der führenden Staaten der Welt". Präsident Putins Ziel der Schaffung einer "multipolaren Welt" wird hingegen nicht mehr erwähnt, schließlich sind die USA laut Kreml nicht mehr die einzige Weltmacht. Neben dem internationalen Terrorismus, dem Drogenhandel, und der Proliferation (Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen) sieht der neue Präsident Russlands Sicherheit vor allem durch das US-Raketenabwehrprojekt in Polen und Tschechien bedroht. Weitere Sicherheitsrisiken sind der Beitrittswunsch Georgiens und der Ukraine zur Nato. Medwedew kündigte in diesem Zusammenhang an, er werde sich gegen "diesen destabilisierenden Vorgang" zur Wehr setzen. Das hält ihn jedoch nicht von dem Angebot ab, "gemeinsam mit allen Partnern" ein globales Raketenabwehrsystem zu entwickeln. Damit erteilt er den USA und der Nato, denen er unterstellt, sein Land in einen neuen Rüstungswettbewerb hineinziehen zu wollen, eine klare Abfuhr. Denn der Pragmatiker Medwedew weiß, dass sich Russland einen solchen Wettlauf nicht leisten kann: Er würde "die Wirtschaft ruinieren und die innenpolitische Entwicklung schwer belasten". Allerdings erscheint wenig plausibel, dass Russlands Präsident die Beziehungen zu den USA ausgerechnet auf die Ebene der "strategischen Partnerschaft" heben will. Schließlich räumt Washington ihnen längst diesen Status ein. Dessen ungeachtet will sich Moskau nach wie vor um ein "strategisches Gleichgewicht" zwischen den beiden Staaten bemühen, wünscht aber, dass andere Nuklearmächte den russisch-amerikanischen nuklearen Abrüstungsverträgen beitreten. An dieser Stelle reagiert Medwedew auf neuere Herausforderungen: Das stark aufgerüstete China, das enorm viel Geld in die Raketentechnik und ihr Nuklearwaffenarsenal investiert hat, soll stärker kontrolliert werden. Dass Russland gleichzeitig die "russisch-chinesische strategische Partnerschaft weiterentwickeln" will, bedeutet keinen Widerspruch - es stellt den Versuch dar, China auch in bilaterale Zusammenarbeit einzubinden.
Daneben will sich der Präsident verstärkt mit den Beziehungen innerhalb der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) beschäftigen. Allerdings verfolgt er das früher gepriesene Projekt einer Union mit Weißrussland nicht weiter. Auch die Rückeroberung der ehemaligen sowjetischen Republiken steht nicht mehr auf Medwedews Prioritätenliste. Umgekehrt bedeutet dies, dass Moskau den GUS-Mitgliedern keine Sonderbehandlung mehr zukommen lassen will. Folgerichtig erhöhte Russland die Gaspreise für seine GUS-Partner, die auch nach dem Zerfall der Sowjetunion die benötigten Energieträger häufig weit unter Weltmarktpreis erhalten hatten. Heute gilt: Geschenke gibt es nicht mehr. Stattdessen behält sich Moskau vor, flexibel auf die Realpolitik seiner Partner zu antworten - auch mit militärischen Mitteln wie jüngst in Georgien.
Der Autor arbeitet als freier Journalist und Publizist in Berlin.