Parlamentarismus
Die Staatsduma und der Föderationsrat spielen de facto keine Rolle. Trotzdem sind die Abgeordnetensitze begehrt
Das russische Parlament, die Staatsduma, ist ein bedrohliches Gebäude. Hoch ragt der weiß-graue Klotz im Zentrum Moskaus in den Himmel. Doch die wahre Staatsmacht in Russland sitzt wenige Schritte entfernt im Kreml, in dem bis Mai Präsident Wladimir Putin der Hausherr war und jetzt Dmitri Medwedew residiert. Angesichts der Allmacht der russischen Exekutive spielt die Legislative, das Zweikammerparlament aus Staatsduma und Föderationsrat, nur eine untergeordnete Rolle. Auch die Dumawahl vom 2. Dezember 2007, bei der die kreml-treue Partei Geeintes Russland 315 der 450 Sitze eroberte, hat die Stellung des Parlaments im Machtgefüge geschwächt. "Das Parlament wird weiterhin die Abstimmungsmaschine für von der Exekutive vorbereitete Entscheidungen sein", sagt der Politologe Alexej Makarkin.
Die Schwäche des russischen Parlamentarismus hat viele Gründe. Seine historischen Wurzeln reichen nicht tief. 1906 ließ Zar Nikolai II. erstmals eine "Duma" wählen, die er bald wieder auflöste. Die Sowjetunion propagierte zwar "Alle Macht den Räten (Sowjets)", doch diese nickten nur Vorgaben der Kommunistischen Partei ab.
Erst in der Perestroika unter Generalsekretär Michail Gorbatschow wurden die Sowjets zum Ort der politischen Debatte. Im August 1991 verteidigte der neue russische Präsident Boris Jelzin den Parlamentssitz im so genannten Weißen Haus, als der konservative Parteiflügel gegen Gorbatschow zu putschen versuchte. Doch im Oktober 1993 ließ Jelzin das Weiße Haus mit Panzern beschießen, weil kommunistische Abgeordnete einen Aufstand gegen ihn angezettelt hatten. Aus diesem Schock wurde die russische Verfassung vom Dezember 1993 geboren. Sie gibt dem Präsidenten eine ähnliche Macht wie in Frankreich. Dem Parlament dagegen droht die Auflösung, wenn es zweimal den vom Präsidenten vorgeschlagenen Regierungschef ablehnt. Trotzdem standen Jelzin in seiner Amtszeit immer wieder feindliche kommunistische Duma-Mehrheiten gegenüber. Putin ließ bei der Wahl 2003 den Rahmen so stecken, dass Geeintes Russland stärkste Partei werden musste. "Gelenkte Demokratie" nannte er das.
In der Arbeit des vom Kreml kontrollierten Parlaments ist für die Abgeordneten kaum ein eigenes Profil zu gewinnen. Über die Jahre haben sich nur wenige Fachpolitiker einen Namen gemacht, beispielsweise Konstantin Kossatschow als Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses. Zum Minister hat es noch kein Abgeordneter gebracht, eher sind Ex-Minister wie der frühere Finanzminister Pawel Kraschenninikow die Karriereleiter in die Duma hinabgestiegen.
Trotzdem sind die Duma-Sitze begehrt, und das nicht nur wegen Dienstwagen, Wohnung in Moskau und der strafrechtlichen Immunität. Das Parlament bietet Einfluß auf die Gesetzgebung zugunsten der eigenen Branche oder Firma. So ist Waleri Jasew, Vorsitzender des energiepolitischen Ausschusses, einer der wichtigsten Lobbyisten seiner Branche. Ein hoher Anteil an Abgeordneten aus Geheimdienst, Armee und Polizei sorgt dafür, dass die Interessen der Dienste gewahrt werden. Bei der zweiten Parlamentskammer, dem Föderationsrat als Vertretung der Regionen, geschah die Entmachtung noch früher als bei der Duma.
Bis 2000 waren in dem Rat die gewählten Gouverneure oder Präsidenten der Teilrepubliken vertreten, dazu je ein Repräsentant der regionalen Parlamente. Die Gouverneure mussten in den rein beratenden Staatsrat wechseln, in den Föderationsrat durften sie nur noch Vertreter entsenden. 2004 setzte Putin durch, dass die Oberhäupter der Regionen nur noch auf seinen Vorschlag ins Amt kommen. Die Vertretung regionaler Sonderinteressen in Moskau wurde damit von der Macht abgeschnitten.
Bei der Dumawahl 2007 ging es dem Kreml weniger um das Parlament als um die künftige Rolle Putins nach seinem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt. Die Wahl wurde als Volksabstimmung über den "nationalen Führer" Putin inszeniert. Jede Überraschung in dieser Operation sollte bereits im Vorfeld ausgeschlossen werden. Dazu diente ein neues Parteiengesetz, das unter anderem die Mindestmitgliederzahl von 10.000 auf 50.000 hochsetzte. Zahlreiche kleine Parteien verloren die Registrierung. Das Wahlgesetz für 2007 führte eine Hürde von sieben Prozent für den Einzug in die Duma ein - zu hoch für liberale Parteien wie Jabloko oder die Union rechter Kräfte (SPS). Putin legte die Axt an einen Grundpfeiler der Demokratie im Riesenreich Russland: Die Direktwahl für die Hälfte der Mandate wurde abgeschafft, unabhängige Deputierte wie der Demokrat Wladimir Ryschkow flogen aus der Duma. Übrig blieb eine Verhältniswahl nach Parteilisten, die neuen Abgeordneten sind nicht mehr an Wahlkreise rückgekoppelt.
Das Ergebnis der jüngsten Dumawahl war nicht überraschend: Hinter Geeintes Russland zogen nur noch die Kommunisten (57 Sitze), die rechtsextremen Liberaldemokraten (40 Sitze) und die Partei Gerechtes Russland (38 Sitze), eine weitere Kremlgründung, ins Parlament ein. Keine dieser Parteien bildet eine Opposition gegen den Kreml. Der parteilose Putin führte die Wahlliste von Geeintes Russland an, er übernahm im Mai mit dem Posten des Ministerpräsidenten auch den Vorsitz der Partei. "Erstmals ist der Führer der parlamentarischen Mehrheit Vorsitzender der Regierung geworden", jubelte der Duma-Präsident Boris Gryslow.
Doch bislang gibt es keine Anzeichen, dass die Staatsduma größeren Einfluss erlangt und Russland sich von einem präsidialen zu einem parlamentarischen System wandelt.
Der Autor war bis 2007 Büroleiter der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Moskau.