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Die Einnahmen aus Gas und Erdöl sprudeln. Das kann sich aber in einen Fluch verwandeln. Andere Branchen müssen maßgeblich in die Wertschöpfung einbezogen werden
Auf der internationalen Bühne spricht Russland heute die Sprache des globalen Kapitalismus und präsentiert sich als Wirtschaftsmacht: Präsident Medwedew kündigt den Ausbau Moskaus als internationales Finanzzentrum an und Gasprom-Chef Miller spricht vom Aufstieg seines "global player" zum weltgrößten Konzern. Ist dieses Selbstbewusstsein ernst zu nehmen?
Russlands Wirtschaft weist seit 2000 ein kontinuierliches Wachstum von über fünf Prozent pro Jahr auf. Noch in diesem Jahr könnte Russland daher kaufkraftbereinigt das Bruttoinlandsprodukt Frankreichs überholen. Diese dynamische Entwicklung ist jedoch nicht auf Verbesserungen der Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität zurückzuführen, sondern vor allem den im Rohstoffsektor erzielten Erträgen zu verdanken, die infolge des rasant steigenden Ölpreises sprudeln - ungefähr ein Drittel der hohen Wachstumsrate der vergangenen Jahre wurde hier erzielt. Gemeinsam erzeugen Energie- und Metallsektor dabei mehr als ein Viertel des russischen Bruttoinlandsprodukts, wobei Erdöl den größten Beitrag leistet.
Russlands Wirtschaftsmacht ist demnach gegenwärtig von hohen Rohstoffpreisen und zumindest gleichbleibender Förderung abhängig. Zwar werden die Rohstoffpreise hoch bleiben, jedoch scheint Russlands Förderhöhepunkt bei Erdöl schon überschritten - im vergangenen Jahr war die Förderung erstmals seit Mitte der 1990er-Jahre wieder rückläufig. Spätestens in 30 bis 40 Jahren muss die Wirtschaft auf einer anderen Basis stehen, da sich die Reserven erschöpfen werden.
Langfristiger wirtschaftlicher Erfolg setzt daher voraus, dass das abnehmende Gewicht des Rohstoffsektors allmählich durch andere Möglichkeiten der Wertschöpfung ersetzt wird - eine gewaltige Modernisierungsaufgabe. Diese Aufgabe ist jedoch zu bewältigen, denn es bleibt noch ein relativ großer Zeitraum, in dem die Energiepreise auf hohem Niveau verharren werden. Im Übrigen stehen auch die anderen entwickelten Ökonomien vor der enormen Herausforderung, sich strukturell auf das postfossile Zeitalter einzustellen. Darüber hinaus muss die Umstellung hier zu einem früheren Zeitpunkt als in Russland erfolgen, da der innerrussische Markt stets Vorrang vor der Bedienung der Exportmärkte haben wird. Die Möglichkeit, den Inlandsmarkt zu bevorzugen, ist dabei ebenfalls ein Motiv für die Renationalisierung des Rohstoffsektors und die staatliche Kontrolle über Exportrouten. Doch wie will Russland seine Wirtschaft umbauen?
Erstens werden die hohen Erträge im Ressourcensektor genutzt, um verstärkt im Ausland zu investieren. Die Investitionen dienen der Erschließung neuer Handlungsressourcen und Kompetenzen. Dies trägt direkt zur Diversifikation der wirtschaftlichen Basis und zur Risikostreuung bei. Angestrebter Nebeneffekt ist außerdem der Wissens- und Technologietransfer, der zur Diversifikation der russischen Wirtschaft genutzt werden kann.
Die Übernahme des Schweizer Technologiekonzerns Oerlikon durch Viktor Vekselberg sowie der Werften Wismar und Warnemünde durch die staatliche Investmentholding FLC sind nur die prominenteren Beispiele dieser Strategie. Umgekehrt werden ausländische Investitionen im Rohstoffsektor nur dort toleriert, wo neue Technologien angeeignet und so gezielt in den Dienst der Modernisierung gestellt werden können.
Zweitens wird die Rückverstaatlichung der Öl- und Gaswirtschaft für die Modernisierung der industriellen Basis im Inland genutzt. Die staatlichen Konzerne und auch private Akteure vergeben Aufträge seit einigen Jahren nur noch an inländische Produzenten, soweit dies technisch möglich erscheint. Dies führte zum gegenwärtigen Boom im Schiffs-, Maschinenbau- und Immobiliensektor.
Drittens dienen vorhandene Überschüsse für Investitionen in neue Technologien. Hier wird eine staatlich gelenkte Entwicklung favorisiert. Gerechtfertigt wird dies mit dem Argument, dass die Konzentration von Forschung und Entwicklung eher zum Erfolg führe als Wettbewerb. Diese Strategie zeigt sich in Projekten wie Rosnanotech, der staatlichen Firma zur Entwicklung von Nanotechnologie, oder in der staatlichen Holding Rostechnologii, in der Schlüsselunternehmen aus allen Wirtschaftszweigen zum Zweck der Innovations- und Exportförderung gebündelt werden.
Die Strategie der staatlichen Intervention und Lenkung lässt sich zwar makroökonomisch rechtfertigen, sie ist aber im Wesentlichen auf die Interessen bürokratischer Akteure zurückzuführen, die ihren Einfluss vergrößern wollen. Zudem schafft die staatliche Einmischung ein ideales Umfeld für Korruption, unter der besonders kleine und mittlere Unternehmen leiden. Es ist daher zu befürchten, dass die verfolgten Modernisierungsstrategien nicht genügend innovatives Potenzial hervorbringen, wodurch vorhandene Entwicklungschancen verschenkt werden.
Die für die Innovationsfähigkeit und damit für den langfristigen Erfolg der russischen Wirtschaft entscheidende Herausforderung ist daher, den direkten staatlichen Zugriff auf zentrale Wirtschaftsbereiche zu wahren und währenddessen eine Koalition von Akteuren zu mobilisieren, die ein Interesse an der Stärkung von Rechtsstaatlichkeit und Wettbewerb in bestimmten, innovativen Wirtschaftszweigen besitzt.
Der Autor ist Ebenhausen-Stipendiat der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, Forschungsgruppe Russland/GUS.