Für die Stadtväter von Kaliningrad liegt Europa praktisch vor der Haustür. Vom Rathaus am Platz des Sieges sind es nur ein paar Schritte bis zum kürzlich eingeweihten Europa-Zentrum. An der Fassade des riesigen Konsumtempels mit rund 100 Geschäften und Boutiquen prangen die Namen europäischer Metropolen: Minsk, Kopenhagen, Oslo, Prag, Berlin, London.
Das Zentrum dokumentiere die "Zugehörigkeit Kaliningrads zum zivilisierten Europa", so Gebiets-Gouverneur Georgi Boos. Seit Wladimir Putin 2005 Boos von der Moskwa an den Pregel schickte, steuert Kaliningrad konsequent Europa-Kurs. Unternehmer - vor allem aus Moskau - investierten Millionen in der "Sonderwirtschaftszone Kaliningrad" und verwandelten das lange vernachlässigte Gebiet in eine aufstrebende Wirtschaftsregion an der Ostseeküste. Wohin man blickt, sieht man in den Himmel ragende Kräne. Es wird soviel gebaut, dass in Kaliningrad langsam der Sand knapp wird und Gastarbeiter aus Zentralasien angeworben werden müssen.
2007 flossen Investitionen in Höhe von rund 15 Milliarden Rubel ins Königsberger Gebiet, die Industrieproduktion stieg im Vergleich zum Vorjahr um 40 Prozent. Kaliningrad 2008 ist eine Boomtown, in der fünf Rubel-Milliardäre zu Hause sind - und eine Heerschar armer Rentner, die jeden Rubel zweimal umdrehen müssen, bevor sie ihn ausgeben.
Der Wirtschaftsboom trägt politisch Früchte. Mit Geld aus Moskau verscheuchte man erfolgreich das Gespenst des "Separatismus". Die Parole "Los von Moskau" vermag heute niemanden mehr zu mobilisieren. Ein "Verkauf" von Stalins Kriegsbeute Königsberg - von Michail Gorbatschow offenbar ernsthaft in Erwägung gezogen - erscheint heute völlig undenkbar. Wladimir Putin - verheiratet mit einer Kaliningraderin - hat maßgeblich dafür gesorgt, dass die Weichen am Pregel in Richtung Europa gestellt wurden. Dank Putin ist Russlands Insel im Meer der EU auf bestem Wege, zu einer russischen "Pilot-Region" in Europa zu avancieren.
Durch die amerikanische Globalstrategie, die erklärtermaßen auf eine Nato von Tallinn bis Tiflis abzielt, gewinnt Kaliningrad zudem wieder an militärstrategischer Bedeutung für Russland. So registriert man mit Sorge den Schulterschluss zwischen Washington und Warschau.
Wichtigster Bezugspunkt für das russische Königsberg ist Deutschland. Es ist kein Zufall, dass die Kaliningrader Fluggesellschaft "KD avia" fünf deutsche Flughäfen anfliegt. Sergei Jastrshembski, Europa-Beauftragter des Kremls, ist fest davon überzeugt: "Aufgrund der Geschichte könnte Deutschland eine Sonderrolle spielen bei der Entwicklung des Kaliningrader Gebietes und bei der Öffnung der Europäischen Union gegenüber Kaliningrad."
Der Autor ist Redakteur beim "Deutschlandfunk" in Köln.
Der Siegesplatz