Tourismus
Die Urlaubsbranche steht vor großen Herausforderungen. Internet fördert Individualreisen und -preise
Die klassische Pauschalreise, ehemals ein fester Bestandteil der Jahresplanung der meisten Deutschen, steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Demografische Entwicklung, neue Urlaubs- formen, Billigflieger und das Internet zwingen zu innovativen Strategien. Als Hindernis erweist sich dabei die Bindung an den Katalogpreis.
Früher, so schwärmen heute noch Touristikmanager, war alles ganz einfach. Zweimal im Jahr kamen die bunten Kataloge für den Sommer und den Winter auf den Markt, und wenige Wochen später war ein großer Teil des Angebots bereits verkauft. Das hat sich grundlegend geändert. Da ist zuerst die demografische Entwicklung. Der Anteil der älteren Menschen wird immer größer. Außerdem gibt es immer mehr Single-Haushalte und kinderlose Paare, während der mehrwöchige Familienurlaub tendenziell an Bedeutung verliert. Flexibilisierung ist das Gebot der Stunde.
Täglich muss mit neuen Angeboten und Marketing-Maßnahmen reagiert werden, und da gibt es mit der Pauschalreiserichtlinie der EU in Kombination mit der deutschen Preisangabenverordnung nach Meinung der meisten Reiseveranstalter ein entscheidendes Hindernis. In Artikel 3 der Richtlinie heißt es etwas umständlich: "Die in dem Prospekt enthaltenen Angaben binden den Veranstalter beziehungsweise den Vermittler, es sei denn, Änderungen sind dem Verbraucher vor Abschluss des Vertrages klar mitgeteilt worden; im Prospekt ist ausdrücklich darauf hinzuweisen."
Dieselbe Regelung gilt auch für Angebote von Pauschalreisen im Internet. Damit sind die Reiseveranstalter für die Laufzeit ihrer Kataloge an den Preisteil gebunden, der durch Verträge mit Fluggesellschaften, Hotels und anderen Leistungsträgern bereits Monate vor Erscheinen festgelegt werden muss. Preisnachlässe sind natürlich immer möglich, aber den Unternehmen geht es um völlige Flexibilität. Letztlich also um die Abschaffung des Preisteils. Der Katalog soll, wie bisher, alle Informationen zu Reisezielen, Hotels und Sehenswürdigkeiten liefern. Außerdem noch sogenannte Eckpreise zur Orientierung.
Die täglichen, wirklichen Preise liefert dann das Reisebüro oder das Internet. "Daily Pricing" heißt das in der Fachsprache der Touristiker, was bei Internet-Anbietern von Einzelleistungen längst Praxis ist. Am deutlichsten wird das bei den Billigfliegern wie Ryan Air, Easy Jet oder Germanwings. Über strikte Auslastungsprogramme für ihre Flugzeuge steuern sie die Preise. Ist die Nachfrage hoch, muss der Verbraucher mehr bezahlen, ist sie niedrig, werden die Tickets manchmal zu Ramschpreisen verschleudert.
Für die deutschen Touristikunternehmen ist die Preisangabenverordnung ein Relikt aus einer Zeit, als an das Internet noch nicht zu denken war. Also weg mit den alten Zöpfen, ist der Tenor ihrer Forderungen, und sie schieben gewichtige Argumente nach. Bereits jetzt ist der Verbraucher nicht mehr in der Lage, den Wirrwarr von Frühbucherrabatten zu überblicken. Peter Fankhauser, Vorstandsvorsitzender der Thomas Cook AG, kennt diese Probleme: "Durch die Preisbindung sind wir gezwungen, mit Hilfskonstruktionen, wie Rabatten und Abschlägen, zu arbeiten, die nicht gerade zur Transparenz beitragen".
Aber auch grundsätzlich sieht die Reisebranche in der Katalogpreisbindung ein Problem. Der freie Markt regelt bei fast allen Produkten über Angebot und Nachfrage den Preis, aber eben nicht bei Pauschalreisen. Deshalb stellt Volker Böttcher, Chef der TUI Deutschland, fest: "Grundsätzlich halte ich überhaupt nichts davon, die Preise gesetzlich festzulegen".
Im Ausschuss für Tourismus des Deutschen Bundestages gibt es ganz unterschiedliche Meinungen. Die Vorsitzende, Marlene Mortler (CSU), hat zu dem aktuellen Reizthema eine klare Meinung: "Die Verpflichtung zur Preisangabe im Reisekatalog ist im Zeitalter des Internets nicht mehr zeitgemäß und gehört aufgehoben." Bettina Herlitzius (Bündnis 90/Die Grünen) sieht das ganz anders: "Mit einer Aufhebung sind die Preise für den Verbraucher nicht mehr vergleichbar. Deshalb wäre die Abschaffung der Katalogpreisbindung der falsche Weg." Es gibt aber noch eine dritte Variante, und die vertritt Brunhilde Irber (SPD). Sie legt sich noch nicht eindeutig fest und sieht weiteren Diskussionsbedarf: "Wir werden genau prüfen, ob die Flexibilisierung der Katalogpreise allen, den Verbrauchern und auch den Veranstaltern vor Ort zu Gute kommt oder ob nur die Großen der Branche profitieren."
Eine Ausnahme bei den Festpreisen gibt es bereits jetzt schon. Kerosinzuschläge auf die Katalogpreise sind immer dann möglich, wenn die Fluggesellschaften ihre Zusatzkosten an die Reiseunternehmen weiterreichen, weil der Treibstoff erheblich teurer geworden ist. Das ist sogar rückwirkend möglich, wenn zwischen Buchung und Antritt der Reise mehr als vier Monate vergangen sind. Aber auch hier gibt es eine Einschränkung. Zwanzig Tage vor Antritt einer sehr früh gebuchten Reise darf der Kerosinzuschlag nicht mehr erhöht werden. Die rückwirkende Preiserhöhung ist aber mehr theoretischer Natur. Die Großen der Branche verzichten freiwillig darauf. Wer heute seine Reise aus den neuen Winterkatalogen bucht, ist auf der sicheren Seite. Was aber nichts daran ändert, dass Zuschläge für spätere Neubuchungen durchaus möglich sind, sollte der Ölpreis wieder einmal kräftig steigen.
Grundsätzlich aber gilt: Im Katalog ausgewiesene Preise können während der Laufzeit nicht nach oben verändert werden. Die Verbraucherschützer sehen in der Preisbindung besonders für Familien den Vorteil, Urlaubszeiten sicher planen zu können. "Die Reiseveranstalter sollen aufhören, dieses wichtige Planungselement vieler Familien in Frage zu stellen", meint Vorstand Gerd Gillen vom Bundesverband der Verbraucherzentralen. Ein Denkansatz, der verkennt, dass in der Marktwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland fast alle Güter des Lebensbedarfs eben nicht preisreguliert sind. Die große Sorge, dass in nachfragestarken Zeiten, zum Beispiel während der Sommerferien, bei einem freien Markt die Preise ins Uferlose steigen, will der Deutsche Reiseverband (DRV) durch eine Selbstverpflichtung entkräften. Er schlägt vor, bei einer Freigabe einen Zuschlag von höchstens 15 Prozent auf die Orientierungspreise im Katalog zuzulassen, was aber schon wieder eine Form der Preisregulierung wäre. Der Wettbewerb im deutschen Pauschalreisemarkt ist extrem hoch. Das beweist schon allein die Tatsache, dass in den vergangenen 30 Jahren Pauschalreisen inflationsbereinigt gar nicht oder nur unwesentlich teurer geworden sind.
Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und der Änderung der Lebensgewohnheiten geht der Trend eindeutig in Richtung Individualisierung und damit zum Bausteinprinzip. Gisela Sökeland, Geschäftsführerin von Thomas Cook Reisen, hat dieses System perfektioniert. "Bei uns kann der Kunde den Flug buchen, er kann sich ein Mietauto nehmen, kann das Hotel dazu bekommen und wenn er will, auch noch Zusatzleistungen", sagt sie. Schnürt der Urlauber das Bündel bei einem einzigen Veranstalter, entsteht rechtlich gesehen wieder eine Pauschalreise. Kombiniert er aber drei Leistungen bei drei verschiedenen Anbietern, sind diese frei in ihrer Preisgestaltung.
Das Internet hat eine Revolution eingeleitet, die lange noch nicht zu Ende ist. Jedes Hotel, jede Fluggesellschaft oder jeder Autovermieter hat die Möglichkeit, tagesaktuell seine Preise weltweit zu verbreiten. Damit kann der Kunde Reisen ganz individuell zusammenstellen, ohne einen Veranstalter einschalten zu müssen. Im Internet kann er weltweit auf Millionen Angebote zurückgreifen, deren Preise sich täglich ändern. Für diesen schnell wachsenden Bereich gibt es keine Preisangabenverordnung. Die meisten Haushalte haben heute einen Internetanschluss. Nicht nur junge Leute, auch Ältere surfen munter im Netz und suchen nach Schnäppchen. Fast ein Fünftel der 60- bis 79-Jährigen ist bereits online; bei den 30- bis 49-Jährigen liegt der Anteil bei über 80 Prozent. Tendenz insgesamt weiter steigend.
Diese Entwicklung haben die etablierten Reiseveranstalter lange nicht richtig eingeschätzt. Jetzt versuchen sie die Individualsurfer wieder einzufangen, indem sie ebenfalls über eigene Internetplattformen Einzelleistungen anbieten. Am höchsten ist der Internet-Anteil bei den Flugbuchungen. Aber auch für Normalurlauber wird die Hemmschwelle, das Internet zu nutzen, immer geringer.
Neue Suchmaschinen werten die Angebote fast aller Anbieter aus und zeigen die günstigsten Preise. Einige Unternehmen bieten sogar einen virtuellen Rundgang mit bewegten Bildern durch ihre Hotelanlagen an. Irgendwann wird das Internet vermutlich auch die Kataloge ablösen. Für die Reiseveranstalter wäre das eine gewaltige Kostenersparnis. Noch unterliegen Pauschalreisen im Gegensatz zu Einzelleistungen auch im Internet der Preisangabenverordnung. Da wird zwischen Papier und Elektronik kein Unterschied gemacht.
"Die Politik ist gefordert, Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen", stellt deshalb auch der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung, Ernst Hinsken (CSU), fest. "Es sind Maßnahmen zu ergreifen, dass in Zukunft Katalogpreisanbieter nicht bis zu einem Jahr vorab feste Preise bieten müssen, während Internetanbieter mit tagesaktuellen Preisen werben können."