Ich wäre ein Freihandelspräsident", 1 kündigte George W. Bush während seines Präsidentschaftswahlkampfes Anfang 2000 an - und hielt Wort, als er im Januar 2001 ins Weiße Haus einzog. Bereits in seiner Rede zur Lage der Nation am 27. Februar 2001 bat er den Kongress um die Wiederherstellung der Handelsvollmacht, basierend auf dem Fast Track Procedure, 2 und beendete damit die Zeit der handelspolitischen Lähmung der späten 1990er Jahre, in der Präsident Bill Clinton nur sehr halbherzig versucht hatte, Entscheidungsblockaden zu überwinden. Wenige Tage später kündigte Bush in seiner handelspolitischen Agenda, der 2001 International Trade Legislative Agenda, an, künftig Marktöffnungsverhandlungen gleichzeitig auf multilateraler, regionaler und bilateraler Ebene führen zu wollen. Ein "Wettbewerb um Liberalisierung" sollte eine offene globale Handelsordnung schaffen. 3 Der Beginn einer neuen multilateralen Verhandlungsrunde unter der Welthandelsorganisation (WTO), Verhandlungen zu einer Panamerikanischen Freihandelszone (FTAA) sowie der Abschluss bilateraler Abkommen mit ausgewählten Handelspartnern waren Top-Prioritäten von Bushs Competitive Liberalization Strategy.
In seiner achtjährigen Amtszeit konnte Bush zahlreiche handelspolitische Erfolge verbuchen. Im Sommer 2002 gewährte der Kongress zum ersten Mal seit über acht Jahren einem Präsidenten ein umfassendes Handelsmandat, die Trade Promotion Authority (TPA). Insgesamt unterzeichnete Bush elf regionale und bilaterale Freihandelsabkommen (Free Trade Agreements/FTAs), von denen acht bis zum Ende seiner Amtszeit in Kraft getreten sind. Zudem gelang es der Bush-Administration, die Doha-Entwicklungsrunde der WTO mit zu initiieren. Anders als in der Außenpolitik agierte die Bush-Regierung in der Handelspolitik auch nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 nicht unilateralistisch; die Zahl einseitiger Handelsmaßnahmen (u.a. Antidumpingzölle, Antisubventionsmaßnahmen und Sektion 201-Schutzzölle) blieb in etwa gleich hoch wie unter der Clinton-Administration. 4 Und obwohl die USA einige schwer wiegende Handelskonflikte verloren, setzten sie größtenteils die Schiedssprüche der WTO um. Schließlich widerstanden sie trotz wiederholten Säbelrasselns den Versuchungen, Handelsmaßnahmen gegen China und seine Währungskursmanipulationen zu ergreifen.
Und dennoch hinterlässt die Bush-Administration dem nächsten Präsidenten kein leichtes Erbe: Die Doha-Runde der WTO ist nach wie vor nicht abgeschlossen, auch wenn seit Anfang 2008 mit neuem Elan verhandelt worden ist. Dem Kongress liegen immer noch die drei besonders umstrittenen Freihandelsabkommen mit Kolumbien, Panama und Südkorea zur Ratifizierung vor. Die Glaubwürdigkeit des Handelsmandats hat im Zuge des Ratifizierungsprozesses des Vertrags mit Kolumbien stark gelitten. Überdies gelang es Bush nicht, einen Freihandelskonsens im Kongress wiederherzustellen, vielmehr ist die Zahl der Liberalisierungsskeptiker weiter gestiegen. Die Doha-Runde ebenso wie die regionalen Verhandlungen mit den zentralamerikanischen Staaten (CAFTA-DR) oder auch die bilateralen Verhandlungen mit Südkorea haben gezeigt, dass die Bush-Administration ihren handelspolitischen Spielraum unter hohen Kosten, sprich: mit weit reichenden Konzessionen an globalisierungskritische Abgeordnete erkaufen musste, darunter Schutzzölle auf Stahlimporte oder auch die Erhöhung der Agrarsubventionen - beides gravierende ordnungspolitische "Sünden". Schließlich wurden als Reaktion auf den 11. September mehrere Sicherheitsmaßnahmen beim Marktzugang eingeführt (u.a. die Container Security Initiative oder auch der Bioterrorism Act), die den freien Handel deutlich einschränkten. 5
Unter der Bush-Administration kam es zwar nicht zu einem Wiederaufflammen des aggressiven Unilateralismus der 1980er und frühen 1990er Jahre. Allerdings setzte sich die seit den 1980er Jahren zu beobachtende Abkehr vom liberalen Multilateralismus weiter fort: Die Bush-Administration verfolgte neben multilateralen intensiv bilaterale Ansätze, und in der Handelspolitik fanden sich deutlich protektionistische Tendenzen. Die nationale Basis für liberale Handelspolitik blieb brüchig und schmal.
Ganz oben auf der ambitionierten Handelsagenda der Bush-Administration stand die Trade Promotion Authority. Denn auch wenn der Präsident auf dem Gebiet der Außenpolitik mit weit reichenden Kompetenzen ausgestattet und befugt ist, ohne Ermächtigung des Kongresses mit anderen Staaten den Abschluss von Handelsabkommen zu verhandeln, obliegt die Kompetenz über die Ausgestaltung des Außenhandels doch eindeutig dem Kongress. Teile dieser konstitutionellen Handelskompetenz konnte der Kongress unter dem 1974 eingeführten Fast-Track-Mandat temporär an den Präsidenten übertragen. Demnach mussten die von der Exekutive ausgehandelten Abkommen zwar vom Kongress ratifiziert werden. Gleichwohl aber verpflichtete sich der Kongress, die Abkommen beschleunigt zu bearbeiten. Zusätze oder Modifizierungen waren nicht möglich; der Kongress konnte das Abkommen nur komplett annehmen oder ablehnen. Steht das legislative Schnellspurmandat nicht zur Verfügung, müssen Handelsabkommen den normalen - mitunter sehr langwierigen - Gesetzgebungsprozess im Kongress durchlaufen. Die Chancen, dass ein Freihandelsabkommen diesen Prozess unbeschadet übersteht, sind gering. Daher schrecken potentielle Verhandlungspartner der USA grundsätzlich vor Verhandlungen mit einem Präsidenten ohne Handelsmandat und Rückendeckung im Kongress zurück. Durch das Handelsmandat wird dem Präsidenten hingegen international eine gewisse Glaubwürdigkeit verliehen.
Es ist daher nicht überraschend, dass Bush bereits kurz nach Amtsantritt sein Interesse an dem Mandat bekundete - dieses Mal unter dem weniger verfänglichen Begriff der Trade Promotion Authority (TPA). Nach langwierigen Verhandlungen und mehreren Gesetzentwürfen des Repräsentantenhauses, Senats und Vermittlungsausschusses stimmte das Repräsentantenhaus schließlich am 27. Juli 2002 mit einer knappen Mehrheit von drei Stimmen für den Trade Act of 2002. Der Senat nahm das Gesetz wenige Tage später an. Das Handelsmandat sollte zunächst knapp drei Jahre, bis Juni 2005 gelten, auf Antrag des Präsidenten war eine Verlängerung bis zum 1. Juli 2007 möglich.
Allerdings zahlte die Bush-Administration aus handelspolitischer Sicht einen hohen Preis für das Mandat: 2002 billigte Bush unter der Escape Clause temporäre Schutzzölle auf Stahlimporte und stimmte wenig später einem umfangreichen Subventionspaket für die Landwirtschaft zu (Farm Bill 2002). Viele Abgeordnete aus den Stahl produzierenden Staaten des mittleren Westens (Pennsylvania, Ohio, Michigan und West Virginia) hatten in ihrem Wahlkampf im Jahr 2000 Schutzmaßnahmen für die Stahlbranche versprochen. Sie mussten um ihre Wiederwahl fürchten, sollten sie nicht in der Lage sein, dieses Versprechen einzuhalten. Der politische Druck, der auf diesen Abgeordneten lastete, war besonders stark, da es sich bei vielen der von der Stahlkrise betroffenen Bundesstaaten um so genannte Swing States handelte, in denen Wahlen in der Regel sehr knapp ausfallen. Als Gegenleistung für die Stahlzölle sicherten die Abgeordneten der Bush-Administration ihre Stimme für die TPA zu. Ein ähnlicher Kuhhandel war die Farm Bill 2002. Der Trade Act of 2002 hatte in der Landwirtschaft nur begrenzt Zustimmung gefunden. Zahlreiche Mitglieder des Kongresses drohten daher, dem Gesetz ihre Unterstützung zu verweigern. Um sie zu gewinnen, stimmte die Bush-Administration einer deutlichen Anhebung der Agrarsubventionen im Farm Security and Rural Investment Act of 2002 zu. Damit kehrte die Administration der 1996 unter Präsident Clinton eingeleiteten Reformpolitik und sukzessiven Ausgabenkürzungen in der Landwirtschaft den Rücken zu.
Mit diesen Konzessionen erkaufte sich Bush zwar neuen handelspolitischen Spielraum, gleichwohl fügte er seinem Image als Freihändler ernsten Schaden zu und schwächte die Verhandlungsposition der USA auf internationaler Ebene. Die Stahlzölle, die wenig später von einem WTO-Streitschlichtungspanel als regelwidrig befunden wurden, stießen weltweit auf harsche Kritik. Insbesondere minderten sie die Glaubwürdigkeit des amerikanischen Vorschlags in der Doha-Runde, beim Industriegüterhandel alle Zölle bis 2015 schrittweise abzuschaffen. Vor dem Hintergrund der Farm Bill 2002 entwickelte auch der Agrarvorschlag der USA im Juni 2002 kaum Überzeugungskraft. Zusammen mit der starren Haltung der EU ebenfalls bei Agrarfragen trug die Farm Bill 2002 maßgeblich zum Scheitern der Ministerkonferenz in Cancún (2003) bei.
Im Gegensatz zur Clinton-Administration Ende der 1990er Jahre unterstützte Präsident Bush die Aufnahme einer neuen multilateralen Verhandlungsrunde. Mit dem Fehlstart der WTO-Ministerkonferenz in Seattle im Jahr 1999 hatte die WTO kurz zuvor ihren schwersten Rückschlag seit der Gründung 1995 hinnehmen müssen. Eine neue Runde sollte die Glaubwürdigkeit der Institution wiederherstellen und dem multilateralen Liberalisierungsprozess neuen Schwung verleihen.
Die Bush-Administration versprach sich von neuen WTO-Verhandlungen vor allem einen besseren Zugang zu ausländischen Märkten. Im Mittelpunkt der Verhandlungen sollten daher Marktöffnungsthemen stehen: Zölle und nichttarifäre Handelsschranken auf gewerbliche Produkte sollten abgebaut, der Dienstleistungshandel weiter liberalisiert und neue Barrieren im elektronischen Handel verhindert werden. Beim Agrarhandel forderte die Bush-Regierung ein Ende aller Exportsubventionen, signifikante Zollsenkungen und transparente Verfahren für die Behandlung von Gütern, deren Produktion biotechnologische Verfahren einbezieht. Zudem wurde ein besserer Schutz geistigen Eigentums angestrebt. Schließlich sollte die Runde zeitlich begrenzt sein, da die amerikanische Industrie angesichts immer kürzerer Produktzyklen langen Runden äußerst skeptisch gegenübersteht. 6
Dagegen lehnte die Bush-Administration eine Präzisierung der handelspolitischen Schutzinstrumente ab. Zudem fehlten in der Bush-Agenda die so genannten Handel-Plus-Themen (Handel und Umweltschutz, Handel und Sozialstandards, Handel und Investitions- sowie Wettbewerbsregeln). Dass die Bush-Administration bei der WTO-Ministerkonferenz in Doha (2001) bereit war, von ihren ursprünglichen Zielen abzuweichen und sowohl über eine Reform der handelspolitischen Schutzinstrumente als auch über Investitions- und Wettbewerbsregeln sowie Handel und Umwelt zu verhandeln, lag neben dem massiven Einbruch des Weltwirtschaftswachstums und des globalen Handels 2001 maßgeblich an den Terroranschlägen vom 11. September 2001: Bush bewertete die Stärkung des Welthandelssystems und eine bessere Integration der Entwicklungsländer in den Welthandel als Baustein für eine Koalition gegen den Terrorismus sowie als wichtiges Signal für geopolitische Kooperationsbereitschaft.
Die USA übernahmen somit einmal mehr die Führungsrolle im Welthandelssystem und gingen erheblich in Vorleistung. In den anschließenden Verhandlungen konnte die Bush-Administration dieses hohe Niveau allerdings nicht halten, da ihr in vielen Bereichen die notwendige innenpolitische Rückendeckung fehlte. Sicherlich trugen zahlreiche Faktoren dazu bei, dass die Doha-Runde bis zum Ende von Bushs zweiter Amtszeit nicht abgeschlossen werden konnte. Stärker als je zuvor haben die große Schwellen- und Entwicklungsländer wie Indien, Brasilien und Südafrika ihren Interessen Gehör verschafft. Die wirksam vertretenen Interessen divergierten stärker, und die für den erfolgreichen Abschluss der Runde wichtigen materiellen Tauschgeschäfte sind spürbar schwieriger geworden. Gleichwohl trugen auch die USA eine Mitschuld an den immer wieder ins Stocken geratenen Verhandlungen. Besonders eng war der innenpolitische Handlungsspielraum der Bush-Administration beim Thema Agrarhandel, dem Kernstück der Doha-Runde, und hier vor allem bei den internen Stützmaßnahmen. Seit die USA den Konflikt um die Rechtmäßigkeit von US-Baumwollsubventionen gegen Brasilien im März 2004 verloren - die erste Niederlage in einem Agrarstreitfall seit dem Auslaufen der Peace Clause des WTO-Agrarabkommens (AOA) -, formierte sich zunehmend Widerstand im Kongress gegen eine Agrarliberalisierung, der sich verstärkte, als die USA Ende Juli 2007 ein weiteres Mal im Streit mit Brasilien um Baumwollsubventionen unterlagen. Als dann die Verhandlungen über die Neuschreibung des Landwirtschaftsgesetzes 2007 begannen, war die Bush-Administration kaum noch in der Lage, die für einen Verhandlungsdurchbruch notwendigen Kompromisse einzugehen.
Aufgrund der geringen Fortschritte - von Juni 2006 bis Februar 2007 waren die Verhandlungen ganz ausgesetzt - schwand im Kongress zunehmend das Interesse, und auch die Bush-Administration schien zeitweise den Enthusiasmus für die Doha-Runde verloren zu haben und sich auf die bilateralen Verhandlungen zu konzentrieren. Zwar setzte sich die Bush-Administration noch einmal vor dem Beginn der heißen Phase des Kongress- und Präsidentschaftswahlkampfes 2008 für einen Durchbruch in den Verhandlungen ein, wollte Bush die Runde doch als letzten politischen Erfolg für sich verbuchen. Die Differenzen in der Kernverhandlungsgruppe, der G-4 (USA, EU, Indien und Brasilien), konnten letztlich aber nicht überwunden werden. 7
Mit der Strategie der Competitive Liberalization reagierte die Bush-Administration daher nicht nur auf die weltweit steigende Zahl präferenzieller Freihandelsabkommen, sondern auch auf die schleppenden multilateralen Verhandlungen innerhalb der WTO. Dabei hielt die Bush-Administration bilaterale oder regionale Freihandelsabkommen auch deshalb für attraktive Verhandlungsformate, weil sie es dem wirtschaftlichen Schwergewicht USA leichter machen, ihre politischen und wirtschaftlichen Ziele durchzusetzen, als im multilateralen Rahmen. Schließlich gab es sicherheitspolitische Überlegungen, die für den Abschluss bilateraler Handelsabkommen sprachen, ein Faktor, der nach den Terroranschlägen des 11. September noch stärker in den Vordergrund rückte: Mit Freihandelsabkommen wollte die Bush-Administration Handelspartner belohnen, die die militärischen und sicherheitspolitischen Ziele der USA unterstützten. 8 Die USA unterzeichneten bilaterale Handelsabkommen mit Singapur, Chile, Australien, Marokko, Bahrain, Oman, Kolumbien, Peru, Panama und Südkorea sowie ein regionales Abkommen mitden zentralamerikanischen Ländern (CAFTA-DR).
Höchste Priorität hatte zunächst die Gründung einer Panamerikanischen Freihandelszone (FTAA). Entsprechend wertete die Administration den Abschluss bilateraler und regionaler Freihandelsabkommen mit einzelnen lateinamerikanischen Staaten beziehungsweise Staatengruppen zunächst nur als Zwischenschritt. Mit dem Scheitern der FTAA-Verhandlungen 2005 wurden FTAs mit einzelnen lateinamerikanischen Ländern zur dauerhaften Alternative. CAFTA-DR war, trotz seiner geringen wirtschaftlichen Bedeutung, der wohl umstrittenste Handelsvertrag in den USA seit Abschluss des nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) 1993 und neben den Verträgen mit Südkorea und Kolumbien das am heißesten umkämpfte Handelsabkommen der Bush-Administration. Nachdem die Verhandlungen mit den Partnerländern bereits Ende 2003 abgeschlossen wurden, lag der Vertrag während der Kongress- und Präsidentschaftswahlen 2004 temporär auf Eis: Im Sommer 2004 war eine innenpolitische Debatte um die Ziele und Ausrichtung der US-Handelspolitik unter dem Stichwort Offshoring entbrannt. Die vermeintliche Verlagerung von Produktion und Arbeitsplätzen in Billiglohnländer, die für den Verlust von fast zwei Millionen Arbeitsplätzen seit dem Amtsantritt Bushs verantwortlich gemacht wurde, war eines der zentralen Themen des Wahlkampfes.
Auf besonderen Widerstand traf CAFTA-DR bei den Gewerkschaften, insbesondere bei der American Federation of Labor/Congress of Industrial Organizations (AFL/CIO). Die AFL/CIO befürchtete eine Verlagerung von Produktionsstätten in CAFTA-DR-Länder, den Verlust von Arbeitsplätzen in den USA und ein steigendes US-Handelsbilanzdefizit. Die Textilverbände wie die National Textile Association warnten, dass asiatische Textilproduzenten den Weg über die CAFTA-DR-Länder nehmen könnten, um ihre Waren in den USA abzusetzen, was den Wettbewerb in diesem Sektor weiter verschärfen würde. Ebenso vehement wehrten sich die Dachorganisationen der Zuckerproduzenten gegen das Abkommen, denn die größten Einbußen infolge der Handelsliberalisierung wurden bei der Zuckerproduktion erwartet. Trotz einer Vielzahl an Zugeständnissen an CAFTA-kritische Abgeordnete und Senatoren fiel die Abstimmung im Sommer 2005 letztlich denkbar knapp aus: Im Senat betrug die Mehrheit für CAFTA-DR zehn Stimmen, im Repräsentantenhaus nur zwei.
Präsident Bush agierte in einem in Handelsfragen stark polarisierten und gespaltenen gesellschaftlichen und politischen Umfeld. Einer Umfrage des "Wall Street Journal" und von NBC News vom März 2007 zufolge glaubt fast die Hälfte der Amerikaner, die Globalisierung schade den USA. Waren im Jahr 1999 nur 32 Prozent der Amerikaner derAnsicht, Freihandelsabkommen seien schlecht für das Land, liegt dieser Anteil heute bei 46 Prozent. 9 Gerade der rasante weltwirtschaftliche Aufstieg Chinas und das Defizit in der Leistungsbilanz haben in der amerikanischen Gesellschaft ein Gefühl wirtschaftlicher Verwundbarkeit hervorgerufen. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs ist der Anteil der USA an den globalen Handelsströmen kontinuierlich gesunken. Mittlerweile beläuft sich der Anteil der USA an den globalen Güterexporten (2006) auf nur noch knapp neun Prozent. 10 Gleichzeitig hat seit den 1970er Jahren die ökonomische Abhängigkeit der USA vom Ausland merklich zugenommen. Betrug der Anteil der US-Exporte am Bruttoinlandsprodukt (BIP) 1970 noch 5,5 Prozent, machen Ausfuhren von Waren und Dienstleistungen heute etwa 11 Prozent des BIP aus (2006). 11
Im Jahr 2006 erreichte das Leistungsbilanzdefizit der USA (vgl. die Abbildung) ein Rekordhoch von 758 Mrd. US-Dollar; die Handelsbilanz schloss mit einem Minus von 838 Mrd. US-Dollar, was rund 6,3 Prozent des BIP entsprach. 12 Damit entfielen etwa drei Viertel des global aggregierten Leistungsbilanzdefizits auf die USA. Politisch besonders brisant ist das hohe Defizit im Handel mit China: Von 2001 (83 Mrd. US-Dollar) bis 2007 (256 Mrd. US-Dollar) hat sich das bilaterale Defizit in etwa verdreifacht, womit es inzwischen deutlich mehr als ein Viertel des Gesamtdefizits der USA ausmacht. 13 Weite Teile der gewerblichen Industrie sehen sich durch einen in ihren Augen unfairen internationalen Wettbewerb bedroht. Befürchtet wird, dass das Festhalten am Freihandel nicht nur bei den Produzenten einfacher Industriegüter, sondern zunehmend auch bei den Anbietern anspruchsvoller Dienstleistungen zum Verlust von Arbeitsplätzen führen wird.
Zweifellos hat Handelsliberalisierung in den vergangenen zehn Jahren maßgeblich zum Wirtschaftswachstum und zur hohen Beschäftigungsrate der USA beigetragen. Arbeitsplatzverluste wiederum sind weniger der Öffnung des heimischen Marktes als vielmehr dem technologischen Wandel sowie den veränderten Konsumpräferenzen geschuldet. Gleichwohl trifft zu, dass bestimmte Regionen (darunter der Manufacturing Belt im Mittleren Westen, aber auch Bundesstaaten im Südosten, wo die Textilindustrie angesiedelt ist) und nationale Gruppen (insbesondere gering qualifizierte Arbeitnehmer) einen relativen oder sogar absoluten Rückgang von Arbeitsplätzen, Einkommen und Lebensstandard infolge von Handelsliberalisierung erlitten haben. Dies gilt umso mehr, als das lückenhafte soziale Netz der USA die ökonomischen Anpassungsprozesse nicht ausreichend gut abzufedern vermag: Das Arbeitslosengeld wird nur für maximal 26 Wochen gezahlt. Zudem sind rund 60 Prozent der Krankenversicherten über ihren Arbeitsplatz versichert. Mit einem Jobverlust droht somit gleichsam der Verlust des Gesundheitsschutzes. Dies erklärt, warum schon bei einem geringen Anstieg der Arbeitslosigkeit wie im Mai 2008 auf 5,5 Prozent die Verunsicherung in der Bevölkerung rapide wächst. Hierauf müssen Politiker beider Parteien reagieren.
Dass die Abstimmungen über Handelsgesetze im Kongress zunehmend knapp ausfielen, lag nicht nur an der steigenden Zahl liberalisierungskritischer Abgeordneter und Senatoren, sondern auch an der parteipolitischen Polarisierung. Während bis in die 1990er Jahre hinein über handelspolitische Gesetze selten entlang von Parteilinien entschieden wurde, hat die Gruppe der Liberalisierungsbefürworter heute ein klares parteipolitisches Profil: Sie besteht zu zwei Dritteln aus Republikanern.
Wie tief die Gräben sind, zeigen die Abstimmungen über die TPA (2002) und CAFTA-DR (2005): Im Repräsentantenhaus stimmten 190 Republikaner, aber nur 25 Demokraten für die TPA, bei CAFTA-DR war das Verhältnis 202 zu 15. Die tendenziell eher dem Unternehmerlager zugeneigten Republikaner vertreten eine auf Marktöffnungsthemen konzentrierte Handelsagenda, bei der Handel-Plus-Themen wie Arbeits- und Sozialstandards außen vor bleiben. Dagegen stehen die Demokraten der Handelsliberalisierung relativ kritisch gegenüber. Sie fordern die Verankerung umfassender Arbeits- und Umweltstandards in künftigen Handelsabkommen. Vertieft haben sich die handelspolitischen Gräben zwischen beiden Parteien durch das soziale Auseinanderdriften ihrer jeweiligen Wählerschaft, durch die regionale Konzentration bestimmter Wirtschaftsinteressen und die zielgerichtete Wahlkampffinanzierung von Seiten der Unternehmen. Allerdings trägt auch die Parteiführung der Republikaner eine Mitschuld an der handelspolitischen Polarisierung. Vor allem Bill Thomas, Vorsitzender des Ways and Means Committee im Repräsentantenhaus von 2001 bis 2006, und der Fraktionsgeschäftsführer (Republican Whip) Tom Delay neigten dazu, ihre Handelspolitik im Alleingang durchzusetzen, und konzentrierten sich dementsprechend darauf, Abweichler in den eigenen Reihen umzustimmen, um Mehrheiten zu generieren.
Nachdem die Demokraten im November 2006 die Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses erobert hatten, war es daher keine große Überraschung, als sie im Januar 2007 das Weiße Haus zu einem Richtungswechsel in der Handelspolitik aufforderten. Im Februar legten sie die "Neue Handelsagenda für Amerika" vor. Neben deutlich verbesserten Sozialmaßnahmen für Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz durch Handelsliberalisierung verloren haben, forderten die Demokraten vor allem die Verankerung umfassender internationaler Arbeits- und Umweltstandards in künftigen Handelsabkommen. Die Situation entspannte sich deutlich, als sich die Führung der Demokratischen Partei mit der Bush-Regierung im Mai 2007 auf einen parteiübergreifenden Kompromiss einigte. Dem Bipartisan Agreement on Trade Policy zufolge sind die Vertragsstaaten fortan verpflichtet, die Kernarbeitsstandards der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sowie bereits unterzeichnete Umweltabkommen umzusetzen. Infolgedessen wurden die Handelsverträge mit Panama, Peru, Kolumbien und Südkorea nachgebessert.
Die handelspolitische Entspannung war allerdings nur von kurzer Dauer. Der Konflikt zwischen der Administration und dem demokratisch dominierten Kongress über die Handelspolitik entbrannte erneut, als die Bush-Administration die Implementierungsvorlage für das Freihandelsabkommen mit Kolumbien Anfang April 2008 dem Kongress übermittelte. Hat der Präsident die endgültige Version der Gesetzesvorlage im Kongress eingebracht, muss dieser innerhalb von 90 Tagen über die Implementierung des Handelsabkommens entscheiden. Für die Bush-Administration ist Kolumbien ein wichtiger Partner im Kampf gegen den Terrorismus und Schlüsselfigur in der Eindämmung des illegalen Drogenhandels.
Die Demokraten lehnten das 2006 unterzeichnete US-Colombia Trade Promotion Agreement aufgrund der Verletzung von Arbeiter- und Menschenrechten in Kolumbien ab. Vor allem aber kritisierte die Demokratische Parteiführung das Vorgehen der Bush-Administration. In der handelspolitischen Geschichte der USA unüblich, hatte sie dem Kongress das Abkommen ohne vorherige Einigung übermittelt. Als Reaktion darauf votierte das Repräsentantenhaus nur wenige Tage später unter der Führung von Sprecherin Nancy Pelosi mit 224 zu 195 Stimmen für eine Aufhebung der zeitlichen Begrenzung des Ratifizierungsverfahrens. Die Entscheidung fiel entlang der Parteilinien: 218 Demokraten, aber nur sechs Republikaner sprachen sich für den Beschluss aus; 185 Republikaner und zehn Demokraten stimmten dagegen. Damit ist die Abstimmung über das Freihandelsabkommen mit Kolumbien auf absehbare Zeit verschoben.
Präsident George W. Bush gelang es zwar, die handelspolitische Lähmung nach Ratifizierung des NAFTA-Vertrags zu überwinden. Ein leichtes Erbe für den künftigen Präsidenten der USA hinterlässt er aber nicht: Gesellschaft und Kongress sind in Handelsfragen polarisiert, die präsidentielle Führungsfähigkeit im Politikfeld Handel hat aufgrund des steigenden Partizipationswillens des Kongresses weiter gelitten, und das für den Präsidenten wichtige Instrument Trade Promotion Authority hat an Glaubwürdigkeit verloren.
Auch der kommende Präsident wird internationale Handelsabkommen abschließen wollen, da es sich das Land als wirtschaftliche, militärische und außenpolitische Supermacht nicht leisten kann, auf eine auf Handelsliberalisierung ausgerichtete Handelspolitik zu verzichten. Die größte Herausforderung wird daher sein, einen Freihandelskonsens wiederherzustellen. Um die Widerstände gegen die Liberalisierung der Märkte zu überwinden, wird es einer starken Führung durch die Exekutive und eines intensiven handelspolitischen Engagements bedürfen. Ebenso wichtig wird aber auch sein, auf die Globalisierungsängste in der Bevölkerung stärker einzugehen und die sozialen Anpassungskosten der Handelsliberalisierung besser abzufedern.
1 On the Issue.
George W. Bush on Free Trade, in:
www.ontheissues.org/Celeb/George_W_Bush_Free_ Trade.htm (2.7.
2008).
2 Vgl. Address of the President to the
Joint Session of Congress, Washington 2001, in:
www.whitehouse.gov/news/releases/2001/02/20010228.html (2.10.
2007).
3 Vgl. Statement of the Honorable Robert
Zoellick, USTR, before the Subcommittee on Trade of the House
Committee on Ways and Means, Hearing on Summit of the Americas and
Prospects for Free Trade in the Hemisphere, 2001.
4 Vgl. Andreas Falke, A Reluctant
Crusade: Die Außenhandelspolitik der Vereinigten Staaten
unter George Bush, in: Jochen Hills/Jürgen Wilzewski (Hrsg.),
Defekte Demokratie - Crusader State? Die Weltpolitik der USA in der
Ära Bush (Atlantische Texte 25), Trier 2006, S. 273 - 304,
hier: S. 298.
5 Vgl. WTO, Trade Policy Review. United
States of America, 2008, in:
www.wto.org/english/tratop_e/tpr_e/tp300_e.htm (10.7. 2008).
6 Vgl. Andreas Falke, A New Thinking?
Außenhandelspolitik der USA im Licht der neuen Bedrohung, in:
Werner Kremp/Jürgen Wilzewski (Hrsg.), Weltmacht vor neuer
Bedrohung (Atlantische Texte 20), Trier 2003, S. 157 - 185, hier:
S. 171.
7 Vgl. Stormy Mildner, Handelspolitik
unter der Bush-Administration. Grenzen der Gestaltungsfreiheit
eines Präsidenten (SWP-Studie 2008/S 03), Berlin, Februar
2008.
8 Vgl. Simon Evenett/Michael Meier, An
Interim Assessment of the U.S. Trade Policy of Competitive
Liberalization, Swiss Institute for International Economics and
Applied Economic Research, University of St. Gallen 2007; Stormy
Mildner/Claudia Decker, Kräftemessen im US-Kongress.
Republikaner und Demokraten streiten um bilaterale
Freihandelsabkommen (SWP-Aktuell 2008/A 08), Januar 2008.
9 Vgl. Polling Report, International
Trade/Global Economy, in: www.pollingreport.com/trade.htm (20.6.
2008).
10 Vgl. WTO, International Trade and
Tariff Data, in: www.wto.org/english/res_e/statis_e/statis_e.htm
(1.7. 2008).
11 Vgl. US Census, Trade Statistics,
in: www.cen sus.gov/foreign-trade/statistics/historical/index.html;
Bureau of Economic Analysis, Gross Domestic Product, in:
www.bea.gov/national/index.htm gdp (1.7. 2008).
12 Vgl. Bureau of Economic Analysis,
International Economic Accounts, in:
www.bea.gov/international/index.htm bop (1.7. 2008).
13 Vgl. Export.gov, Trade Stats
Express, in: http://tse.export.gov (2.7. 2008).