Der rote Teppich für die Besucher ist noch nicht ausgerollt und die schwarz-rot-goldene Absperrkordel noch nicht gespannt. Aber Rainer Wiebusch weiß schon genau, welchen Weg die Besucher am Tag der Offenen Tür durch das Reichstagsgebäude nehmen sollen.
Unter dem Motto "Herz der Demokratie" lädt der Deutsche Bundestag am 14. September zum "Tag der Ein- und Ausblicke" ein, nur drei Wochen nach dem Bundeskanzleramt und den Bundesministerien. "Eine Bundeskanzlerin, die jeder kennt, können wir nicht präsentieren", sagt Wiebusch, stellvertretender Leiter des Besucherdienstes. Doch auf Polit-Prominenz muss auch der Bundestags-Besucher nicht verzichten: Die Vizepräsidenten des Bundestages werden auf der Besuchertribüne persönlich über den Parlamentsbetrieb und die Arbeit der Abgeordneten berichten. "Das kann keiner so gut und authentisch wiedergeben, wie die Leute, die hier arbeiten", sagt Wiebusch. Zwanzig Besucherführer stehen außerdem entlang der Besucherroute, um Fragen zu beantworten - beispielsweise zu den russischen Graffitis an den Wänden, die Soldaten der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg hinterließen.
Nicht nur das Reichstagsgebäude, sondern auch das Paul-Löbe-Haus (in dem beispielsweise die Ausschüsse arbeiten) und das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus (mit der Bundestags-Bibliothek und dem Archiv so etwas wie das "Gedächnis des Parlamentes") können die Besucher am Tag der Ein- und Ausblicke kennenlernen.
In der Gunst der Besucher lag das Reichstagsgebäude vergangenes Jahr mit etwa 15.000 Besuchern an erster Stelle; dahinter das Paul-Löbe-Haus mit etwa 6.000 Besuchern und, weit abgeschlagen, das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus: Hierher verirrten sich nur knapp tausend Besucher. Das soll sich dieses Jahr ändern: In der Halle des Paul-Löbe-Hauses gibt es eine Ausstellung zur Luft- und Raumfahrt mit einem Modell des Eurofighters und dreidimensionalen Mars-Aufnahmen.
Um die Besucher auf die andere Seite der Spree zum Marie-Elisabeth-Lüders-Haus zu locken, hatte Rainer Wiebusch sogar über eine Fähre nachgedacht. Doch die Sicherheitsbedenken des Berliner Schifffahrtsamtes durchkreuzten diesen Plan. Die Besucher müssen also weiterhin eine der Brücken benutzen. Dafür werden sie am anderen Ufer mit einem Straßencafé und Samba-Musik empfangen. Denn die Organisatoren setzen nicht nur auf nüchterne Vorträge, sondern auch auf Emotionen. "Was in den Kopf geht, bleibt nur dort, wenn es auch das Herz erreicht", fasst Wiebusch zusammen. Aber das Angebot zielt genauso auf den Kopf: Wer erfahren will, wie der Haushaltsausschuss arbeitet, womit sich die Parlamentsgruppe Luft- und Raumfahrt beschäftigt oder welche Positionen es zu Bundeswehr-Einsätzen im Innern gibt, kann sich darüber bei zahlreichen Diskussionen und Info-Ständen einen Überblick verschaffen.
Auch mit manchen Vorurteilen wollen die Organisatoren des "Tages der Ein- und Ausblicke" aufräumen. Zum Beispiel mit dem von den "faulen Abgeordneten": Um zu zeigen, mit wie vielen verschiedenen Themen sich die Volksvertreter beschäftigen müssen, werden die "Drucksachen" von zwei Sitzungstagen - Gesetzesinitiativen, Änderungsanträge, Unterrichtungen - ausgelegt. Mehr als zehn aneinandergereihte Tische braucht man dafür. "Da wird dann deutlich, weshalb sich Abgeordnete auf bestimmte Themen spezialisieren müssen und weshalb nicht immer alle im Plenarsaal sitzen können", sagt Rainer Wiebusch. Auch die angeblich "300 Quadratmeter großen Büros" der Abgeordneten wollten manche Besucher schon sehen. Dieses Jahr wird man deshalb einen Blick ins Büro des Kölner Abgeordneten Rolf Mützenich werfen können - es ist standardmäßige 19,3 Quadratmeter groß, genau wie die Büros seiner zwei Mitarbeiter. Und die Abgeordneten eilen auch nicht über rote Teppiche zum Reichstag - die werden nur zum Tag der Offenen Tür ausgerollt.