UMWELTPOLITIK
Die USA positionieren sich neu - besonders auf regionaler und lokaler Ebene
Texas, immer wieder Texas. Dort schoss am 10. Januar 1901 eine fast 50 Meter hohe Ölfontäne aus einem Hügel namens Spindletop nahe Beaumont - der Anfang der modernen Ölindustrie; dort begann der Aufstieg der Gulf Oil und der Texas Fuel Company (Texaco) zu Weltkonzernen. Dort trieb eine Phantasiefigur namens J. R. Ewing in der TV-Serie Dallas ihr Unwesen im korrupten Ölgeschäft, die man wohl ganz ähnlich auch in der Wirklichkeit hätte treffen können. Nun soll ausgerechnet in Texas die größte Windenergieanlage der Welt entstehen. So will es T. Boone Pickens, der 80 Jahre alte texanische Ölmilliardär. Im westtexanischen Windkorridor hat er für zwei Milliarden Dollar Land gekauft und dazu 700 Turbinen von General Electric bestellt - der bisher größte Auftrag für kommerzielle Windräder. Die texanischen Stromversorger wollen ihrerseits 4,9 Milliarden Dollar investieren, um den Strom aus dem dünn besiedelten Westen in die Ballungsräume Dallas und Houston zu transportieren.
Schon heute ist der "Ölstaat" Texas unter den 50 amerikanischen Bundesstaaten der mit Abstand größte Produzent von Windenergie: 5.300 Megawatt, mehr als doppelt so viel wie die 2.450 Megawatt in Kalifornien. Wird Texas nun zum Vorreiter alternativer Energien? Ein Gesetz verlangt bis 2015 weitere Windfarmen mit 5.000 Megawatt Leistung. Das Ziel dürfte übertroffen werden. Allein Pickens Windfarm soll eine Leistung von 4.000 Megawatt haben. Das Ziel ist, den Anteil der Windenergie am amerikanischen Energiemix auf 20 Prozent zu erhöhen. In Texas sind es derzeit 3,3 Prozent des Stroms.
Der republikanische Gouverneur Rick Perry ist ein entschiedener Befürworter der Windenergie. Die Praxis in Iowa und anderen Staaten im Mittleren Westen, die mit reichlich Subventionen aus Washington Biosprit aus Mais gewinnen, verfolgt er mit Skepsis. Ein Fünftel des in den USA produzierten Mais wird bereits zu Ethanol verarbeitet. Deshalb sind die Preise für Nahrungs- und Futtermais drastisch gestiegen. In den USA wird so viel Ethanol hergestellt wie in keinem anderen Land der Welt, aber aus Mais lässt es sich nicht so effizient gewinnen wie aus Zuckerror, zum Beispiel in Brasilien. Als weltweit größte Ethanolproduzenten haben Brasilien und die USA eine engere Zusammenarbeit vereinbart. Die Beispiele Texas und Iowa zeigen: Es fällt nicht leicht, ein eindeutiges Urteil über die Energie- und Klimaschutzpolitik der USA zu fällen. Es gibt keine einheitliche Linie. Die Vereinigten Staaten sind einerseits die größten Energieverbraucher und Verschmutzer der Erdatmosphäre. Keine andere Gesellschaft der Erde konsumiert pro Kopf auch nur annähernd so viel Energie, pustet pro Kopf ähnlich viele Treibhausgase in den Himmel. Andererseits sind die USA in vielen Bereichen alternativer und sauberer Energie führend.
Neben der US-Regierung in Washington betreiben die Einzelstaaten und die Kommunen ihre eigene Politik; die war in den jüngsten Jahren oft umweltfreundlicher als die der Regierung Bush. West Virginia und Wyoming, wo es schier unerschöpfliche Kohlevorkommen gibt, treiben die Forschung für die saubere Stromerzeugung aus Kohle voran. Die USA werden wohl lange vor Deutschland ein emissionsfreies Kohlekraftwerk haben. Kalifornien macht strenge gesetzliche Vorgaben für Energiesparen und Klimaschutz. Mit mehr als 36 Millionen Einwohnern ist es der bevölkerungsreichste Staat der USA und wäre für sich genommen die siebtgrößte Volkswirtschaft der Welt. Kaliforniens Abgasnormen für Autos setzen den Standard für die westliche Welt.
Die immer schärferen Gesetze und entschlossenen Initiativen auf regionaler und lokaler Ebene sind Ausdruck des wachsenden Unbehagens über Bushs Klimapolitik. Vor anderthalb Jahren kam das große Geld dazu - in den USA ein verlässliches Zeichen dafür, dass sich etwas bewegt. Ende Januar 2007 stellten zehn große Unternehmen, darunter die Energiekonzerne BP America, General Electric und Duke Energy, der Chemiekonzern DuPont, der Aluminiumproduzent Alco und der Baumaschinenhersteller Caterpillar die United States Climate Action Partnership (USCAP) vor. Verschiedene Nichtregierungsorganisationen schlossen sich an. Diese Allianz möchte die Regierung dazu drängen, mit neuen Gesetzen und Auflagen "eine signifikante Reduzierung der Emissionen" zu erreichen.
Evangelikale Pfarrer, einst Bushs treue Unterstützer, predigen immer öfter, der Schutz der Schöpfung Gottes und der Kampf gegen den Klimawandel gehörten zu den Pflichten eines Christenmenschen. Rick Warren, der wohl einflussreichste von ihnen, konnte die Präsidentschaftskandidaten Barack Obama und John McCain zu deren einzigem gemeinsamen Auftritt vor den offiziellen Fernsehdebatten im Herbst in seine Raddleback-Megakirche südlich Los Angeles locken - zu einem Gespräch über die Rolle des Glaubens und die Umwelt, neben Armut und dem Kampf gegen Aids. Für Trendsetter gehört es zum guten Ton, sich grün zu geben. In Silicon Valley, südlich von San Francisco, wo die IT-Revolution und andere Innovationen ihren Ausgang nahmen, suchen die Fondsmanager heute nach Anlagemöglichkeiten in modernster Umwelt- und Energietechnologie.
Auch die Regierung Bush blieb nicht unbeeindruckt von all den Initiativen. In seiner Rede zur Lage der Nation im Januar 2006 hatte Präsident Bush die "Suchtabhängigkeit" Amerikas von Öl kritisiert. Heute bestreitet auch er nicht mehr, dass die Erderwärmung durch menschlichen Einfluss zumindest beschleunigt wird. Er lehnt das Kyoto-Protokoll weiter ab, ebenso die Festlegung "künstlicher" Obergrenzen für Emissionen. Die von Europa geforderten Maßnahmen seien zu bürokratisch, verzerrten auf unfaire Weise den internationalen Wettbewerb und behinderten das Wachstum. Bush ist aber bereit, Forschung zur Reduzierung des Schadstoffausstoßes zu fördern.
Das in Europa verbreitete Bild, wonach Umweltpolitik und Klimawandel den USA nicht am Herzen liegen, nennt das Weiße Haus ein Vorurteil und zitiert Zahlen der Internationalen Energiebehörde (IEA). Demnach sei der Kohlendioxidausstoß der USA zwischen 2000 und 2004 nur um 1,7 Prozent gestiegen; in den EU-Staaten dagegen im Schnitt um fünf Prozent - und das bei einem wesentlich niedrigeren Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum.
Es stimme zwar, dass die USA für knapp ein Viertel der weltweiten Schadstoffemissionen verantwortlich seien, aber ihre Volkswirtschaft produziere ein gutes Fünftel der weltweiten Wirtschaftsleistung. Produktivitätsgewinn und Wachstum würden in den USA - anders als in China, Indien und vielen Staaten Europas - nicht durch überproportional höheren Schadstoffausstoß erkauft. Zudem werde China von 2009 an mehr Schadstoffe in die Atmosphäre pusten als die USA. Deshalb sei es widersinnig, China von den Beschränkungen des Kyoto-Protokolls auszunehmen.
Als internationales Gegenmodell haben die USA im Juli 2005 mit Australien, China, Indien und Südkorea ein asiatisch-pazifisches Bündnis zur freiwilligen Reduzierung der Emissionen geschlossen. Wie die USA lehnen Australien und Südkorea das Kyoto-Protokoll ab, weil es Schwellen- und Entwicklungsländer wie China und Indien nicht mit verbindlichen Reduktionszielen in den Klimaschutz einbinde.
Angesichts der rasant steigenden Benzinpreise ist die Energiepolitik im Sommer 2008 immer mehr ins Zentrum des Präsidentschaftswahlkampfes gerückt. Der Republikaner McCain fordert den Ausbau der Kernenergie sowie die Wiederaufnahme von Ölbohrungen in den Küstengewässern der USA. Bis 2030 wünscht er 45 zusätzliche Atomreaktoren. Insgesamt bräuchten die USA über einhundert neue Kernkraftwerke als "saubere und sichere Alternative".
Fossile Brennstoffe machen 86 Prozent des Energiemix der USA aus, die Kernenergie acht Prozent und erneuerbare Energiequellen nur sechs Prozent. Die derzeit 104 Atomreaktoren decken etwa 20 Prozent des Strombedarfs der Vereinigten Staaten. Seit gut 30 Jahren wurden keine neuen Reaktoren mehr gebaut.
Lange Zeit hatte McCain Ölbohrungen vor der US-Küste und in Alaska aus Sorge um den Naturschutz abgelehnt. Er schwenkte aber früher und energischer als Obama auf die Linie George W. Bushs ein. Der hob im Juli das von seinem Vater, Präsident George Bush, 1990 verhängte Verbot der Bohrungen in Schutzgebieten auf. Der demokratisch kontrollierte Kongress beharrte zunächst auf dem Verbot.
Obama kritisierte McCains Sinneswandel anfangs als Scheinlösung für die Energiekrise. Im August schwenkte aber auch er auf die neue Linie ein, das Bohrverbot in Schutzgebieten "vorsichtig" zu lockern. Auch Obama befürwortet den Ausbau der Kernenergie, sagt aber nicht, wie viele neue Reaktoren er für nötig hält. Dafür erinnerte er an das ungelöste Problem der Endlagerung atomarer Abfälle und der möglichen Weiterverbreitung von Nuklearmaterial. Anders als in Deutschland bestreitet in den USA keine wichtige politische Kraft, dass die Nutzung der Kernenergie zu einem umwelt- und klimafreundlichen Energiemix der Zukunft gehört.
Der Autor ist USA-Korrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung"