TERROR
Amerika reagierte auf die Gefahr mit vielen Einschränkungen. Nun muss es befürchten, dass es diese nicht mehr los wird
Wie sehr die Terroranschläge vom 11. September 2001 die USA verändert haben, ließ sich in diesem Sommer am Meinungswandel des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama ablesen. Denn da debattierte der US-Senat darüber, ob Telefongesellschaften von juristischer Verfolgung ausgenommen werden sollen, wenn sie bei den von der Regierung verlangten Abhörmaßnahmen mitgemacht hatten. Eigentlich dürfen Terrorverdächtige nur dann belauscht werden, wenn dafür eine entsprechende Genehmigung vorliegt. Doch in vorauseilendem Gehorsam gegenüber Präsident Bushs Regierung zapften die Kommunikationskonzerne die Telefone auch ohne Bewilligung an. Während demokratische Senatoren wie Russ Feingold und Chris Dodd die Telefongesellschaft dafür belangen wollten, machte Barack Obama einen Rückzieher - und unterstützte ein Gesetz, das die Unternehmen de facto amnestiert.
Dabei hatte Obama im Vorwahlkampf immer wieder gegen FISA, den Foreign Intelligence Surveillance Act, gewettert. Das Gesetz aus dem Jahr 1978 war nach den Anschlägen deutlich ausgeweitet worden. Die Spielräume für den Staat wurden immer größer - auch beim Abhören. In den jüngsten Jahren wurden allerdings mehr und mehr Beispiele bekannt, wie sehr diese Freiheiten missbraucht wurden. Doch Senator Obama aus Illinois zuckte davor zurück, die Telekomindustrie zur Verantwortung zu ziehen, weil er die politischen Folgen seines Abstimmungsverhaltens bei der Wahl fürchtete. Auch sieben Jahre nach den Anschlägen ist die Angst groß, bei der Terrorbekämpfung als zu lax zu gelten. Um seinem Gegenspieler, dem Republikaner John McCain, keine Munition zu liefern, gab Obama lieber nach und wechselte seine Position.
Das Beispiel verdeutlicht, wo die USA sicherheitspolitisch im Jahr 2008 stehen. Zwar gab es seit jenem Septembertag 2001 keinen Terroranschlag mehr in den USA. Doch die Sorge ist groß, erneut Ziel eines Anschlags zu werden. Der könnte Obama aus der Bahn zur Präsidentschaft werfen. Als John McCains Wahlkampfstratege Charlie Black kürzlich sagte, dass ein Terroranschlag McCain taktisch helfen würde, war das zwar politisch geschmacklos. Aber Black hat im Grunde Recht. Wenn es um die Sicherheitspolitik geht, bewegen sich die USA immer noch auf schwankendem Boden. In einer Staatskrise würde eine Mehrzahl der Bürger einem Mann mit langjährigem militärischen Hintergrund wie McCain daher tendenziell eher vertrauen als einem Zivilisten wie Obama. Die Spekulationen, wie sehr die juristischen Auswüchse der Vergangenheit unter einem Präsidenten McCain oder einem Präsidenten Obama wieder zurückgeführt werden, sind vielfältig.
Präsident Bush hatte die Spielräume der Exekutive in den USA ausgeweitet wie zuvor nur Richard Nixon. Unter der Überschrift "Nationale Sicherheit" geschah dies vor allem in der Zeit direkt nach dem 11. September 2001. Das Kernstück der Nach- 9/11-Gesetzgebung, der "Patriot Act", wurde im Oktober 2001 nach nur einer Lesung im Repräsentantenhaus mit großer mehrheit verabschiedet.
"Die Kosten der Terrorbekämpfung" hat Laura Donohue, Fellow an der Law School der Stanford Universität, ihr kürzlich veröffentlichtes Buch betitelt. Sie beschreibt, wie teuer die USA die Anschläge, vor allem auch die Reaktion darauf, bezahlen mussten. So hat der massive Einbruch beim Amerikatourismus seine Ursache in erster Linie nicht etwa in der dort lauernden Terrorgefahr, sondern in den Unannehmlichkeiten, die USA-Besucher bei der Einreise auf sich nehmen müssen. Dies gilt bis heute: Auch wenn sich manches gebessert hat, so fühlt sich der Ankömmling nicht wirklich willkommen, wenn er seinen Fuß auf amerikanischen Boden setzt.
Zwar sind die langwierigen Sicherheitsprozeduren an den US-Flughäfen unbequem und lästig - doch das ist nicht der eigentliche Grund für das Unbehagen, das den Besucher befällt. Es sind vielmehr die Berichte über jene Listen, auf denen die Namen von Terrorverdächtigen landen - nicht selten irrtümlich. Mindestens 70.000 Namen finden sich auf den so genannten "No Fly Lists". Mit den Berichten Betroffener über die endlosen Versuche, wieder von einer dieser Listen gestrichen zu werden, lassen sich inzwischen Bücher füllen.
Als viel zu weitgehend kritisiert Laura Donohue auch die "Exekutive Order 13224" des amerikanischen Präsidenten, mit der dieser die Terrorfinanzierung unterbinden wollte. Die Rechtsexpertin beklagt, dass Unbescholtene auch hier allzu schnell auf schwarze Listen geraten können - ohne dass sie das Recht hätten, die Akten einzusehen, Beweise präsentiert zu bekommen oder angehört zu werden.
In manchen Bereichen haben die Präsidentschaftskandidaten klare Aussagen gemacht, vor allem zur Zukunft des Internierungslagers Guantánamo. Sowohl John McCain als auch Barack Obama wollen das Gefängnis für Terrorverdächtige auf dem US-Stützpunkt auf Kuba schließen. Damit folgen sie allerdings nur einer Linie, die sich juristisch in den vergangenen Monaten bereits abgezeichnet hat.
US-Gerichte, darunter auch der Oberste Gerichtshof, hatten mehrfach Urteile gefällt, die die herrschende Rechtspraxis auf Guantánamo als Irrweg verurteilten. Insbesondere die Verweigerung eines Haftprüfungsantrags durch die Gefangenen vor amerikanischen Zivilgerichten war Anlass für solche Entscheidungen - und sie kamen gerade auch von Gerichten mit eher konservativen Richtern. Wenn Guantánamo-Häftlinge jedoch künftig tatsächlich vor US-Gerichte ziehen können, dann entfällt damit ein Hauptgrund für ihre Internierung außerhalb des Festlands der USA. Die Einrichtung des Lagers auf dem exterritorialen Marinestützpunkt auf Kuba sollte ja gerade verhindern, dass die Gefangenen die Möglichkeiten des amerikanischen Justizwesens in Anspruch nehmen.
Auch John McCain wird sich nicht gegen diesen Trend stemmen. Zudem lassen sich mit einer Schließung von Guantánamo am leichtesten Goodwill-Punkte bei den europäischen Verbündeten sammeln. Die können bis heute nicht verstehen, wie der amerikanische Rechtsstaat die Inhaftierung mutmaßlicher Terroristen auf der Militärenklave überhaupt zulassen konnte. McCain war es im Übrigen auch, der sich als einer der wenigen prominenten Republikaner unmissverständlich gegen die Anwendung harter Verhörmethoden auf Guantánamo aussprach. Als ehemaliger Kriegsgefangener in Nordvietnam, wo er zwischen 1967 und 1973 einsaß und gefoltert wurde, besitzt sein Wort besonderes Gewicht.
Barack Obama hat der Bush-Administration mehrfach vorgeworfen, sie missbrauche ihre Macht. Er will die verbliebenen Guantánamo-Häftlinge in die USA bringen und dort entweder vor Militär- oder Zivilgerichte stellen. Allerdings hat Obama bislang nicht erkennen lassen, ob er dem Geheimdienst CIA grundsätzlich den Betrieb von Gefängnissen in Drittstaaten verbieten wird. In mehreren Ländern außerhalb der USA hat der US-Geheimdienst Terrorverdächtige in Camps festgehalten - und womöglich tut er das heute auch, was freilich Experten der Bush-Regierung bestreiten. Die Praxis hatte zu erheblichem Ärger in Europa geführt - vor allem, weil dies geheim geschah. Zugesagt hat Obama bislang lediglich, dass er die Standorte solcher Gefängnisse offenlegen werde. Zudem will er auch die CIA auf die Einhaltung der Regeln verpflichten, die in einer Art Verhaltenshandbuch für die US-Armee niedergelegt sind. Darin werden klar die Grenzen bei der Befragung von Gefangenen definiert.
Laura Donohue sieht vor allem ein grundsätzliches Problem: Wie lassen sich die Machtkonzentration und die seit Jahren eingeübten Verschärfungen wieder abbauen? "Das funktioniert weniger wie ein Pendelausschlag, sondern eher wie eine Spirale", sagt sie.
Donohue will damit sagen: Einmal in Gang gesetzt, lassen sich die strengen Regulierungen nicht einfach wieder abschaffen. Wer immer das versuche, müsse argumentieren, dass die Terrorgefahr entweder nicht mehr existiere oder zumindest weit gesunken sei. Nur: Wer weiß das schon? Und: Mit welchen Vorwürfen müssten die dafür Verantwortlichen - zum Beispiel ein neuer Präsident - rechnen, falls es doch wieder zu einem Anschlag kommen sollte?
Die Beschneidung der persönlichen Freiheiten, die die USA seit den Terroranschlägen erleben, ist daher nicht alleine gesellschaftlich zu betrachten. Auch den Republikanern darf man unterstellen, dass sich viele von ihnen die Freiheiten aus der Zeit vor dem 11. September 2001 zurückwünschen - das Fehlen von Kontrolle war gerade für sie stets ein konstituierendes Merkmal der USA. Doch die Angst, politisch haftbar gemacht zu werden, falls sie eine grundlegende Korrektur einleiten und die USA dann Ziel eines neuen Angriffs werden, ist zu groß. Deshalb sind die Aussichten, dass selbst ohne Terror die alten Zeiten wieder zurückkehren, eher gering.
Der Autor ist USA-Korrespondent beim "Handelsblatt"