MENTALITÄTEN
Umfragen zeigen, dass Amerikaner und Deutsche unterschiedlich ticken - und sich dennoch annähern
Am 23. Februar 2005 weilte George W. Bush in Mainz und freute sich über Gerhard Schröders Bereitschaft zur Wiederannäherung zwei Jahre nach dem Zerwürfnis über den Irakkrieg. Während die beiden den Nutzen transatlantischer Kooperation rühmten, hielten sich die Bürger der Veranstaltung fern. Es waren protestierende Kriegsgegner, die vermutlich den Gefühlen der Mehrheit einen Ausdruck verliehen.
Bush sagte damals: Wenn wir gute Beziehungen zu Europa haben wollen, brauchen wir gute Beziehungen zu Deutschland - und formulierte damit, bewusst oder unbewusst, eine Beobachtung, die als Grundregel für seine Amtszeit gelten kann. Seit dem Beginn von "Transatlantic Trends" 2002, einer jährlichen Meinungsumfrage im Auftrag des "German Marshall Fund" der USA und der "Compagnia di San Paolo", waren die Deutschen die "Leithammel" bei Veränderungen der Einstellungen der Europäer zu den USA. Ihre Meinung über die Herausforderungen im transatlantischen Verhältnis - darunter die spaltende Frage, wann man militärische Gewalt einsetzen soll - kann dem neuen Präsidenten als Wegweiser für die generelle Stimmungslage in Europa dienen. Die Meinung der Deutschen gibt auch einen Einblick in die Unterschiede zwischen amerikanischen und europäischen Werten. In den sechs Jahren hat sich das Amerikabild überall in Europa verdüstert, aber in Deutschland rutschten die Werte am stärksten ab. Auf die Bitte, ihre Gefühle für die USA auf einer Skala von 0 bis 100 (maximal positiv) auszudrücken, bewegten sich die Deutschen von warmen 63 im Jahr 2002 abwärts zu lauen 50 im Jahr 2007. Auch bei der Frage, ob US-Führung in der Weltpolitik wünschenswert sei, sanken die Werte in Deutschland am stärksten, von 68 auf 38 Prozent.
Der Stimmungswandel ist in Deutschland und anderswo auf den Streit über den Irakkrieg zurückzuführen. Die Meinung über die USA blieb seither kühl, trotz Bushs "Charme-Offensive" und trotz Besserung der offiziellen Beziehungen. Doch war Irak die Ursache der Krise oder eher ein Symptom für tiefere Risse im Verhältnis? "Transatlantic Trends" fragt jedes Jahr, ob unter gewissen Bedingungen militärische Gewalt notwendig sei, um Gerechtigkeit zu erlangen. Die stark unterschiedlichen Antworten werden generell als Anzeichen für eine Wertekluft interpretiert, die kriegerische Amerikaner von friedliebenden Europäern trenne. Zweifellos bestehen Meinungsunterschiede, aber wir wissen nicht, welche Rolle die Formulierung der Frage spielt. Fühlen sich die Befragten nach dem Wert von Gewalt gefragt oder nach deren Unvermeidbarkeit?
Die Ablehnung von Gewalt unter Europäern kann ganz jenseits ethischer Abwägungen bedeuten, dass sie militärische Kämpfe für ein ungeeignetes Mittel halten, um mit den Herausforderungen an globale Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert fertig zu werden. Dazu passt, dass 83 Prozent der Europäer wirtschaftliche Macht 2007 für wichtiger erachten als militärische Macht. 64 Prozent der Europäer sind bereit, Militär zum Wiederaufbau in Afghanistan einzusetzen, aber nur 31 Prozent zum Kampf gegen die Taliban. Das kann entweder Ausdruck einer allgemeinen Ablehnung von Kämpfen sein - oder bedeuten, dass Europäer die Stabilisierung Afghanistans als gerecht ansehen, aber Wiederaufbau für das bessere Mittel halten als die Bekämpfung der Taliban.
Wenn man in den USA nach dem Einsatz militärischer Gewalt fragt, ist das Bild dramatisch anders. 2007 meinten zwar 72 Prozent der Amerikaner, dass wirtschaftliche Macht mehr Einfluss auf die Weltpolitik habe als militärische Macht. Aber 74 Prozent waren der Ansicht, dass Krieg manchmal nötig ist, um Gerechtigkeit zu erreichen. Trotz des starken Kontrasts gegenüber den Zahlen für Europa gibt es Anzeichen, dass auch die Bereitschaft der Amerikaner, Krieg als Werkzeug zum Erreichen von Gerechtigkeit zu akzeptieren, langsam erodiert. Die hohe Zustimmung ist zwar seit 2002 unverändert, aber die Intensität dieser Überzeugung hat stark nachgelassen. Die Zahl der Amerikaner, die stark zustimmen, sank von 55 auf 39 Prozent.
Die Zahl jener Amerikaner, die die Notwendigkeit militärischer Gewalt vehement ablehnen, verdoppelte sich fast von 7 auf 13 Prozent. Die Zahlenkluft zwischen Europäern und Amerikaner beim Einsatz von Gewalt besteht zwar fort, aber man darf annehmen, dass sie, erstens, ebenso gut auf ein unterschiedliches Verständnis der Notwendigkeit zurückzuführen sein könnte wie auf unvereinbare Werte - und dass diese Kluft nicht so festgeschrieben ist, wie allgemein angenommen. In der Umfrage von 2004 sagten 62 Prozent der Deutschen und 71 Prozent der Amerikaner, dass die USA und die EU genügend gemeinsame Werte teilen, um bei der Lösung internationaler Probleme zusammenzuarbeiten. Ganz unabhängig von der Frage, was hinter den verschiedenen Umfragewerten zum Einsatz von Gewalt bei Amerikanern, Deutsche, und anderen Mitgliedern der transatlantischen Gemeinschaft steckt, wird man keine aussagekräftige Antwort bekommen, wenn man sich nur auf Daten aus der Amtszeit eines einzigen US-Präsidenten stützt.
2007 sagten 42 Prozent der Deutschen, der wichtigste Faktor für die Verschlechterung der Beziehungen sei Präsident Bush. Die starke Verachtung für ihn und der Eindruck einer "Cowboy-Diplomatie" während der Irakkrise beeinflussen auch die Antworten auf allgemeinere Fragen, zum Beispiel, wie wünschenswert US-Führung in der Weltpolitik sei. Im Gegensatz zur Ernüchterung der Deutschen über die transatlantischen Beziehungen kann eine Wiederannäherung auf breite Unterstützung in den USA zählen. Amerikaner haben gelernt, dass Legitimität ein wichtiger Trumpf in der Außenpolitik ist. Multilaterale Ansätze wurden früher als Zeichen von Schwäche verleumdet, heute gelten sie als weise. Viele haben argumentiert, Amerikas Strategievorstellungen schränkten die außenpolitischen Optionen des nächsten US-Präsidenten ein und machten den Aufbau einer multilateralen Ära außerordentlich schwierig. Das mag so sein, aber heute glaubt eine Mehrheit der Amerikaner, dass dieses Ziel strategisch geboten sei. Den Umfragen zufolge stimmen Deutsche und Amerikaner weitgehend überein, was die größten internationalen Gefahren sind. Die Bedrohungsgefühle sind auf vielen Gebieten seit Jahren ähnlich, in anderen Bereichen haben sie sich angenähert. Die Zahl der Deutschen, die fürchten, selbst Ziel von Terroranschlägen zu werden, hat sich fast verdoppelt, von 38 Prozent 2005 auf 70 Prozent 2007. Sie liegt über dem europäischen Durchschnitt von 66 Prozent und nahe den 74 Prozent in den USA. Auch das Gefühl der Bedrohung durch islamischen Fundamentalismus hat sich unter den Deutschen verstärkt, von 29 Prozent 2005 auf 57 Prozent 2007 und liegt somit fast gleichauf mit den USA (59 Prozent). Demnächst werden die Ergebnisse von "Transatlantic Trends 2008" veröffentlicht. Sie können eine Ahnung vermitteln, welche Veränderungen Amerikaner und Europäer von einer Präsidentschaft Obama oder McCain erwarten. Im Juli haben 200.000 Menschen Senator Obamas Wenderhetorik an der Siegessäule in Berlin bejubelt. Wie schon früher können die Gefühle der Deutschen eine Stimmungsveränderung in Europa anzeigen, diesmal in Richtung eines neuen Optimismus.
Wenn ein solcher Optimismus auf beiden Seiten des Atlantiks in die Bereitschaft mündet, neu über die transatlantischen Risse nachzudenken und die konträren Haltungen zum Gebrauch von Gewalt offen zu diskutieren, könnten Wertemuster, die als festgeschrieben galten, sich zu wandeln beginnen.
Oliver Mains arbeitet für den "German Marshall Fund" der USA. In diesem Artikel äußert er seine persönlichen Ansichten.