AUSTAUSCHJAHR
Das Parlamentarische Patenschafts-Programm hilft bei der Horizonterweiterung
Sie haben ihn Tobi genannt. Unter diesem Namen ist er auch als Mitglied des Schwimmteams der Van Wert Cougars geführt. Aber eigentlich heißt er Tobias Esche, kommt aus Dennheritz unweit von Glauchau in Sachsen und ist ein 18-jähriger Gymnasiast. Doch von August 2007 bis Juli 2008 war er Tobi und lebte bei einer Gastfamilie in Ohio, im Nordosten der USA. Genau gesagt in Van Wert, einer 11.000-Einwohner-Gemeinde an der Grenze zu Indiana. Der Schüler Tobias verlebte dort sein Austauschjahr: "ein großartiges Jahr voll mit vielen neuen, vielen eindrucksvollen Erfahrungen", erinnert er sich.
Möglich wurde ihm dies durch ein Stipendium im Rahmen des PPP, des Parlamentarischen Patenschafts-Programms von Bundestag und amerikanischem Kongress, einer Initiative, die 1983 gestartet wurde und die bisher über 17.000 Teilnehmern - Amerikanern wie Deutschen - den Aufenthalt im jeweils anderen Land ermöglichte. Pro Jahr wechselten 360 Deutsche und Amerikaner für elf Monate von einer Seite des Atlantiks auf die andere, berichtet Erik Pust, der das Austauschprogramm beim Bundestag betreut.
In der Mehrzahl sind es Schüler im Alter von 15 bis 17 Jahren. Aber auch junge Berufstätige zwischen 16 und 24 können sich bewerben. 75 von ihnen werden pro Jahr ausgewählt. "Wir koordinieren das Programm, helfen, wenn etwas klemmt und kümmern uns um die Kosten. Die Durchführung des Programms übernehmen gemeinnützige Austauschorganisationen", erläutert Pust. Die Stipendiaten müssen lediglich ihr Taschengeld selber aufbringen - Reise, Unterbringungs- und Schulkosten übernehmen Bundestag und Kongress. Auf deutscher Seite wurden dafür 2007 rund 3,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Das Interesse ist groß: Auf einen Stipendiumplatz bewerben sich im Durchschnitt 14 Schüler. Größere Chancen haben junge Berufstätige: Jeder fünfte Bewerber reist in die USA.
Das besondere am Stipendium ist die Betreuung: Jeder Austauschschüler hat einen Paten - einen Bundestagsabgeordneten aus seinem Wahlkreis, der zum einen für die endgültige Auswahl des Kandidaten zuständig ist und während der Austauschzeit auch mit ihm Kontakt hält. Bei Tobias Esche war dies der CDU-Abgeordnete Michael Luther. Er war es, der im Februar 2007 entschied: Tobi goes to America. Nach einem einwöchigen Vorbereitungsseminar im Mai ging es im August los. "Ich konnte es kaum noch abwarten", erzählt Tobias, der nach dem Motto "Erwarte das Unerwartete" in das einjährige Abenteuer aufbrach. Dennoch - vor dem ersten Schultag hatte er ein bisschen "Bammel". "Es waren aber alle sehr freundlich und hilfsbereit mir gegenüber", sagt er und betont den auffallend höflichen Umgang miteinander, auch unter Jugendlichen. "Die Amerikaner sind sehr offen", so seine Erfahrung.
Tobi fühlte sich gut eingebunden in seine Gastfamilie, nur mit der "Cowboymentalität" seiner beiden Brüder auf Zeit hatte er ein paar Probleme. Der 16-jährige Blaise und der 17-jährige Chaise betätigten sich als Bullenreiter bei Rodeos und aus dem Radio dudelte zumeist Countrymusik. Wirkte das wie ein Relikt aus alter Zeit, eröffnete ihm seine neue Schule einen Blick in die Zukunft: "Dort war alles hochmodern." Die "Hightech-Schule" glänzte mit modernster technischer Ausstattung: Laptop, Telefon, Minimikrofon und Beamer sind dort Standard. Für Tobias hat sich das Jahr gelohnt: "Ich habe viel Neues gesehen und auch mein Englisch verbessert."
Ihr Deutsch verbessert hat hingegen Anna Schmitt Nagelbach. Die 23-jährige Amerikanerin aus Chicago erfuhr während eines viermonatigen Aufenthaltes in Berlin im Jahr 2006 vom PPP. Im Sommer 2007 kam die studierte Politikwissenschaftlerin wieder nach Deutschland und wohnte fortan bei ihrer Gastfamilie in Oberursel. Im nahe gelegenen Frankfurt absolvierte sie ein Praktikum bei der "Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte". Dass insbesondere in ihrer Gastfamilie ausschließlich Deutsch gesprochen wurde sieht Anna als großen Vorteil an: "So habe ich die Sprache viel schneller gelernt." In der Gastfamilie hat sie zudem tiefe Einblicke die deutsche Kultur erhalten. Und zu dieser Kultur, das weiß sie jetzt, gehört es auch, gemeinsam Fußballspiele anzuschauen - zumindest während der Europameisterschaft. "Da hat ja wirklich jeder zugesehen", sagt sie immer noch erstaunt. Sie hat auch die Erfahrung gemacht, dass die Menschen in Deutschland nicht so offen sind. "Es ist schwieriger, sie kennenzulernen", bedauert die Stipendiatin.
Beim zweiwöchigen Praktikum im Abgeordnetenbüro in Berlin hat Anna am Ende ihres Aufenthaltes schließlich auch ihren deutschen Paten Holger Haibach (CDU) kennengelernt. In Berlin fand auch die Abschlussveranstaltung für die amerikanischen Stipendiaten statt. Eine Veranstaltung, die auch bei den Organisatoren noch in guter Erinnerung ist. Der "Tag im Bundestag" beinhaltete unter anderem ein Gespräch mit der Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt. Danach stand im Kanzleramt ein Fototermin mit Angela Merkel auf dem Programm. Für ungläubiges Staunen bei den Gästen sorgte der Ort der Abschlussveranstaltung: Der Kanzlergarten war zur "Chill-out-Area" des PPP deklariert worden. Erik Pust erinnert sich: "Es sprengte die Fantasie der Amerikaner, dass sie sich auf dem Capitol Hill auf den Rasen setzen und Kaltgetränke zu sich nehmen könnten - das war ein Highlight für die Stipendiaten!"
Der Autor ist freier Journalist in Berlin.