MUSLIME
Professionelle Lobbygruppen vertreten ihre Anliegen
Ob es um Armut, die Zahl der Häftlinge in den Gefängnissen, um Umweltschutz, Gesundheit oder Bildung geht, die alte Welt (Europa) schneidet im Vergleich meist besser ab als die neue Welt (USA). Da fällt es umso mehr auf, dass es Einwanderern besser ergeht, wenn sie sich für die USA statt für ein europäisches Land als neue Heimat entscheiden. Dies gilt insbesondere für Muslime, gläubige und verschleierte zumal. Daran hat auch der 11. September 2001 und der sich anschließende "Krieg gegen den Terror" mit all seinen Verirrungen kaum etwas geändert.
Schon länger blicken US-Politiker und muslimische US-Organisationen besorgt nach Europa. Von London bis Warschau leben Muslime ghettoisiert und deutlich schlechter gestellt als die Mehrheitsbevölkerung, mit geringeren Einkommen und weniger Aufstiegschancen. Für Kritiker der europäischen Migrationspolitik liegt auf der Hand: Dort wird der Bodensatz geschaffen, auf dem Extremismus und Gewalt gedeihen. Gerne verweisen sie darauf, dass die "Hamburger Zelle" um Mohammed Atta maßgeblich an der Ausführung des Terrorangriffs auf das New Yorker World Trade Center beteiligt war. Dass sich Muslime ausgerechnet in den USA wohler fühlen - dem Land, das manche ihrer islamischen Heimatregime als "Satan" bezeichnen - ist nicht nur Vermutung. Das Pew Forum belegte 2007 in einer Studie die hohe Zufriedenheit der Muslime in den USA. Demnach glauben 71 Prozent der Befragten, dass ihnen ihre neue Heimat gute Aufstiegschancen bietet, sofern sie sich bemühen. Ihr Einkommen und ihre Bildungsabschlüsse geben ihnen Recht.
Zwar verabscheuen viele US-Muslime die Nahostpolitik der Regierung Bush. Sie sehen sich zudem im Fadenkreuz der umstrittenen inneramerikanischen Abhör- und Überwachungsmaßnahmen nach dem Terrorangriff von 9/11. Oder sie fühlen sich als Opfer misstrauischer Politiker und immer lauter geäußerter Vorurteile. Dennoch lassen sie auf ihre neue Heimat nichts kommen.
Anders in Europa. Dort machen Migranten ihrer Frustration über die Politik und die Diskriminierung vehement Luft. Brennende Autos in den Banlieus von Paris und Terrorpläne in London, die rechtzeitig vereitelt wurden, haben die EU-Regierungen aufgeschreckt. Sie mühen sich nun, der Gewaltbereitschaft und Radikalisierung unter jungen Euro-Muslimen entgegen zu wirken und mehr für Integration zu tun. Doch die Gräben zwischen den Mehrheitsgesellschaften und den rund 20 Millionen europäischen Muslimen sind tiefer den je.
Wie kommt es zu dem Unterschied? Ein hoher Prozentsatz der europäischen Muslime stammt aus ländlichen, armen Regionen und kam in den 1960er- und 1970er-Jahren ins boomende Europa, um dort an den Werkbänken zu Wohlstand zu gelangen. Ihre Hoffnungen erfüllten sich nur zum Teil. In ihrer neuen Heimat blieben sie sozial ganz unten und begegnen täglicher Diskriminierung im Job, bei der Wohnungssuche und in der Schule. So ziehen sie sich zurück in eine Welt aus konservativen islamischen Werten - und ecken damit umso mehr an. Europas traditionell säkularer Liberalismus hat zu lange geschlafen und die benachteiligten Muslime sich selbst sowie ihren mitunter radikalen Imamen überlassen.
US-Muslime sehen keinen Grund, sich als "Underdogs" zu fühlen: 60 Prozent haben einen College-Abschluss und überdurchschnittlich gute Gehälter. Die genaue Zahl amerikanischer Muslime kennt niemand, die USA führen keine amtliche Einwohnerstatistik mit Angaben über die Religionszugehörigkeit. Die verschiedenen Schätzungen reichen von drei bis über zehn Millionen. Unbestritten ist: Der prozentuale Anteil der Muslime an der US-Bevölkerung liegt mit ein bis drei Prozent weit unter dem in Frankreich, Deutschland oder Großbritannien. Ihr Bildungsstand ist aber höher als in Europa. Aus den anfänglichen islamischen Kulturvereinen wurden schnell professionelle US-Lobbygruppen. Der Council on American-Islamic Relations, eine der größten Organisationen von US-Muslimen, ist heute in Washington genauso zuhause wie das American Jewish Committee. Systematischer Protest und Einmischung werden als "Amerikanisierung" betrachtet.
Vor allem US-Muslimas der zweiten Generation profitieren im Kontrast zu ihren europäischen Schwestern überdurchschnittlich von den Angeboten der amerikanischen Leistungsgesellschaft. Mit großem Ehrgeiz erlangen sie akademische Abschlüsse. Sie setzen sich häufig, unterstützt von in den USA ausgebildeten reformorientierten Imamen, für einen liberalen Islam ein.
Da liegt wohl ein Schlüssel zum Verständnis der Unterschiede. Der New Yorker Imam Feisal Abdul Rauf schreibt in seinem 2004 erschienenen Buch "What's right with Islam": In den USA könnten sich Muslimen eher akzeptiert fühlen, weil Amerika eine "positive und unerschrockene Haltung gegenüber der Religion" habe.
Im strikt säkularen Europa hingegen werden schon kleinste Anzeichen der Religiosität im öffentlichen Raum wie das Kopftuch als subversive Äußerung angeprangert. Auch in den USA gibt es immer wieder Fälle, in denen Kopftuchträgerinnen Jobs verwehrt werden. Sie können sich jedoch mit Hilfe eines scharfen Anti-Diskriminierungsrechts wehren. Eine Kopftuchdebatte wie in Deutschland zu führen oder das Tuch grundsätzlich zu verbieten, käme Amerikanern wohl nicht in den Sinn.