WIRTSCHAFTSBEZIEHUNGEN
In den USA und der Bundesrepublik wächst die Furcht, dass Anleger in Billiglohnländer abwandern. Dabei zeigen die Daten: Deutsche und Amerikaner investieren vor allem untereinander
Der Spatz in der Hand sei besser als die Taube auf dem Dach, sagt ein deutsches Sprichwort. In den transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen ist es umgekehrt: Die Öffentlichkeit redet vom Spatzen auf dem Dach und merkt nicht, dass sie die Taube bereits in Händen hält. In Deutschland und den USA schwärmen viele vom potenziellen Wachstum in Asien und den Chancen für ihre jeweilige Exportwirtschaft. Doch das Chinageschäft ist hier wie dort relativ klein im Vergleich zum Wirtschaftsaustausch zwischen den Vereinigtene Staaten und Europa.
Angesichts der Faszination über den Boom in Asien wird leicht vergessen: Die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen sind das Fundament der Weltwirtschaft und eine tragende Säule deutschen Wohlstands. Seit dem Ende des Kalten Krieges sind diese nicht schwächer, sondern noch intensiver geworden. Die deutsche und die amerikanische Wirtschaft sind so eng miteinander verwoben, dass wir uns im wahrsten Sinne des Wortes gegenseitig besitzen.
Zusammengerechnet produziert die transatlantische Wirtschaft jährlich Waren und Dienstleistungen im Wert von rund vier Billionen US-Dollar und bietet auf beiden Seiten des Ozeans 14 Millionen Menschen Arbeit. Dabei macht der Handel nur knapp 20 Prozent der Gesamtbilanz aus. Das eigentliche Rückgrat sind nicht Import und Export, sondern die Auslandsinvestitionen, gerade auch zwischen Deutschland und den USA. Deren Löwenanteil geht in das jeweilige Partnerland und nicht in die schnell aufholenden Schwellenländer.
Firmen in deutschem Besitz in den USA haben 2005 343 Milliarden Dollar umgesetzt, vier Mal so viel wie die deutschen Exporte in die USA, die in der Summe nur 86,1 Milliarden Dollar betrugen. Bis Ende 2006 summierten sich die US-Investitionen in Europa auf 1,2 Billion Dollar. Das sind 53 Prozent der globalen US-Investitionen im Ausland, fast drei Mal so viel wie alle amerikanischen Investitionen in Asien und zwei Mal soviel wie US-Investitionen in den Entwicklungsländern.
Amerikas Unternehmen haben allein in Deutschland im Jahr 2006 99 Milliarden Dollar investiert, mehr als die Gesamtinvestitionen von US-Firmen in den BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China), dort waren es in der Summe 73 Milliarden Dollar.
Der amerikanische Vermögensbestand in Deutschland ist zwei Mal so hoch wie der in ganz Lateinamerika. Europa bleibt die mit Abstand profitabelste Weltregion für US-Unternehmen. In Europa erzielten US-Firmen 2006 die Hälfte ihrer weltweiten Gesamteinnahmen; das setzte sich in der ersten Jahreshälfte 2007 fort.
In den vergangenen Jahren trugen in Europa von US-Unternehmen erzielte Gewinne 55 Prozent zu deren weltweitem Gesamtgewinn bei. Ihre Einnahmen in Europa waren fast drei Mal so hoch wie die aus Lateinamerika und doppelt so hoch wie die in Asien.
Im bisherigen Verlauf dieses Jahrzehnts haben US-Firmen drei Mal so viel in Deutschland investiert wie in China. Der Absatz amerikanischer Firmen in China betrug 2006 gerade mal 86,5 Milliarden Dollar, nur ein Viertel des Absatzes in Deutschland (380 Milliarden Dollar). Gleichzeitig bleiben die USA das Hauptziel deutscher und europäischer Auslandsinvestitionen. Aus Europa kommen rund 75 Prozent aller ausländischen Investitionen in den USA. Deutsche Unternehmen sind die größten Investoren in zehn Bundesstaaten (Arizona, Connecticut, Michigan, Missouri, New Jersey, New Mexico, Pennsylvania, South Carolina, Virginia und West Virginia) und sind auch in fast allen anderen Bundesstaaten stark vertreten. Im Jahr 2005 betrug die Summe aller Investitionen aus EU-Staaten in den USA 29 Milliarden Euro, während die Union in China 6 Milliarden Euro und in Indien 2 Milliarden Euro investierte. Ganz Europa investiert in China noch nicht einmal so viel wie Deutschland allein im Bundesstaat New Jersey. Die gesamte EU investiert in Indien kaum die Hälfte dessen, was Deutschland in einem Bundesstaat wie Missouri oder South Carolina investiert.
Die Vereinigten Staaten bleiben ein Profitcenter für europäische Firmen. Diese verdienten 2005 in Indien und China zusammengerechnet 4,2 Milliarden Euro, nur acht Prozent der Summe, die europäische Firmen in dem Jahr in den USA verdienten.
Und der starke Euro? Schadet der nicht den deutschen Ausfuhren? Überraschenderweise: Nein. Und zwar vor allem, weil 62 Prozent der deutschen Exporte in die USA auf das Konto deutscher Firmen gehen, die mit sich selbst Handel treiben. So beliefert BASF von Deutschland aus die BASF-Werke in New Jersey, Bosch exportiert Einzelteile zu seinen Werken in Pittsburgh. Deutsche Exporte werden durch deutsche Auslandsinvestitionen ermöglicht. Außerdem kann der Handel innerhalb eines Unternehmens dazu beitragen, die Wechselkursrisiken unter Kontrolle zu halten. Gewinne können mal auf dieser, mal auf jener Seite des Atlantiks reinvestiert werden, je nach der aktuellen Währungssituation.
Deutsche Firmen haben 2006 mehr als 30 Prozent mehr in den USA verdient als im Jahr 2005 - und dabei war schon 2005 ein Rekordjahr deutscher Unternehmensgewinne in den USA. Aber die Arbeiter? Beuten die multinationalen Konzerne nicht die billigen Arbeitskräfte in Entwicklungsländern aus? Auch hier lautet die Antwort: Nein. Die meisten ausländischen Arbeiter amerikanischer Firmen im Ausland sind Europäer, und die meisten ausländischen Arbeiter europäischer Firmen im Ausland sind Amerikaner. Sie werden überdurchschnittlich bezahlt. Trotz der Geschichten über einheimische deutsche Firmen, die ihre Produktion in die Niedriglohnländer in Osteuropa und Asien verlagern, sind die meisten ausländischen Arbeiter in deutschen Firmen Amerikaner. Deutsche Firmen in den USA beschäftigen 654 .900 amerikanische Arbeiter. Amerikanische Firmen beschäftigen 590.000 Arbeiter in Deutschland. Sie beschäftigen ein Viertel mehr Arbeiternehmer in Deutschland als in China. Die Ökonomien Deutschlands und Amerikas waren noch nie so eng miteinander verflochten wie heute. Die Handelshemmnisse auf beiden Seiten sind vergleichsweise niedrig. Die meisten Schwierigkeiten rühren von nationalen Bestimmungen her, etwa den Standards in Gesundheits-, Umwelt-, Sicherheits- und Technikfragen. Die OECD schätzt, dass die Schaffung eines völlig offenen transatlantischen Marktes einen Effekt hätte, der einem Jahr Zusatzeinkommen für jeden Amerikaner und jeden Europäer gleichkäme.
Bundeskanzlerin Angela Merkel versteht das Potenzial der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen. Deshalb hat sie 2007 die Einrichtung eines Transatlantischen Wirtschaftsrats vorangetrieben. Er soll Barrieren identifizieren und beseitigen. Die Ergebnisse sind bisher enttäuschend. Aber konzertierte Bemühungen um einen wirklich offenen transatlantischen Markt können großen Nutzen bringen: Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze und Vorteile für die Verbraucher auf beiden Seiten des Atlantiks. Dafür sollte sich auch der nächste US-Präsident interessieren.
Der Autor ist Direktor des "Center for Transatlantic Relations" an der Johns Hopkins University in Washington DC.