BLUE CARD
EU-Parlament stimmt dem Zuzug von Fachkräften
zu. Nationale Regelungen haben aber weiter Vorrang
Computerspezialisten aus Indien, Kraftfahrzeug-Ingenieure aus Brasilien, Elektrotechniker aus Ägypten -all diese Experten würden europäische Unternehmen derzeit mit Handkuss einstellen. Der Fachkräftemangel ist längst nicht nur in Deutschland ein Problem. Und dieses dürfte sich noch deutlich verschärfen: Nicht weniger als 20 Millionen Arbeitskräfte könnten bis 2030 fehlen, schätzt die EU-Kommission.
Die Spezialisten aber kommen nicht. "Nehmen Sie als Beispiel Nordafrika", sagt die Europaabgeordnete Ewa Klamt (CDU) und zeigt auf eine säuberliche Statistik. Ganze fünf von hundert Spitzenkräften, die aus dem Maghreb auswandern, entscheiden sich für das nah gelegene Europa. "Der große Rest zieht in die USA, Kanada, Australien." Im Gegensatz zu ihren Landsleuten ohne gute Ausbildung: Fast 90 Prozent dieser Migranten kommen in die EU.
"Europa muss für Hochqualifizierte attraktiver werden", so die logische Schlussfolgerung der Brüsseler Fachleute. Die Idee der EU-Kommission hatte Charme: Eine "Blue Card" für Europa, der berühmten "Green Card" der USA nachempfunden. Es handelt sich um eine kombinierte Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung. Am 20. November hat das EU-Parlament im Grundsatz seine Zustimmung erteilt.
Wenn der EU-Ministerrat nun zügig grünes Licht gibt - politisch geeinigt hat er sich schon -, könnten die ersten Blauen Karten im Jahr 2011 ausgegeben werden. Was nicht heißt, dass die Kommission sich mit all ihren Vorstellungen durchgesetzt hat. Vertreter der Hightech-Branche wie etwa Fabian Bahr vom deutschen Wirtschaftsverband Bitkom, haben eine klare Position: "Der große Wurf wird das nicht!"
Übrig ist - nach monatelanger heftiger Debatte in den europäischen Hauptstädten - das Grundgerüst des Kommissionsentwurfs. Die Spezialisten bekommen ein Vier-Punkte-Lockangebot präsentiert: Zügige Zulassungsverfahren und Möglichkeiten, unter bestimmten Bedingungen innerhalb der ganzen EU umzuziehen. Dazu Gleichbehandlungsrechte bei Steuern und sozialer Sicherheit. Und schließlich die Möglichkeit, unkompliziert ihre Familie nachzuholen.
Aber die ganze Sache hat einen Haken: Die EU-Regierungen können das System weitgehend wieder außer Kraft setzen. Nationale Initiativen zur Anwerbung von Experten - wie auch Deutschland sie gerade vorbereitet - dürfen Vorrang behalten. Im drastischsten Fall kann ein Land die Blue Card-Ausgabe ganz verweigern. "Europa steht sich wieder einmal selbst im Weg", stöhnt ein EU-Beamter.
Dass das leuchtende Blau verblasst ist, liegt an Grundsatzbedenken im Ministerrat. Viele Regierungen pochen darauf, dass das sensible Thema "legale Einwanderung" an sich nicht zu den Zuständigkeiten der EU gehöre. Eine "emotionale, verworrene Debatte, die am Ziel vorbeiführt", sei das, schimpft die niederländische Liberale Jeanine Hennis Plasschaert. Europa habe eine Chance vertan, sich als moderner, offener Kontinent zu präsentieren. "Wir brauchen politischen Mut, keine Rückkehr zum Protektionismus", fordert sie.
Ganz so kleinreden müsse man das Ergebnis aber auch wieder nicht, findet die Regierung Frankreichs, die derzeit den EU-Ratsvorsitz inne hat. Immerhin, unterstreicht Europa-Staatssekretär Jean-Pierre Jouyet, sei dies das erste Mal, dass die EU überhaupt ein Instrument zur Arbeitsmigration schaffe. Auch wenn nicht viele Fachleute mit der Blue Card in der Hand deutsche Schreibtische beziehen werden: Anderen Ländern gefällt die Idee durchaus. Im Moment hat nicht einmal die Hälfte aller EU-Staaten Sonderregeln für Spitzenkräfte. "Länder wie Ungarn führen ihr System erst jetzt auf EU-Anregung ein. Bisher waren die osteuropäischen Staaten ja Auswandererländer", erklärt ein Kommissionsexperte. Spanien, die Niederlande, Frankreich - diese Staaten zeigen sich mit Blick auf ausländische Spezialisten offener als die Bundesrepublik. "Es kann gut sein, dass die restriktiven Länder schon bald merken, dass sie sich ins eigene Fleisch schneiden", so der EU-Beamte.
Und: Indirekt hat sich die Brüsseler Debatte in Deutschland durchaus schon ausgewirkt. Der Vorstoß der Großen Koalition, die Einkommensschwelle für ausländische Spezialisten von 86.400 auf 63.600 Euro zu senken, geht auch auf die Blue Card-Diskussionen zurück. Dafür lenkt das Europaparlament den politischen Blick noch auf ein völlig anderes Problem: den so genannten "Brain Drain". Denn je mehr Spitzenkräfte nach Europa kommen, umso mehr fehlen in den Entwicklungsländern. "Es ist unwahrscheinlich, dass die Spezialisten nach einer gewissen Zeit in ihre Heimatländer zurückkehren", sagt die Litauerin Danute Budreikaite, die im Entwicklungsausschuss sitzt.
Die Abgeordneten fordern daher, dass die EU-Länder in besonders kritischen Sektoren nicht aktiv um Fachkräfte werben. Besonders bei Ärzten, Professoren und ähnlichen Experten müsse man sehr vorsichtig sein. Außerdem sollten nur Menschen aus Ländern aufgenommen werden, mit denen die EU einschlägige Partnerschaftsabkommen abgeschlossen hat, erklären sie.
Das reiche aber noch nicht aus, unterstreicht der spanische Sozialdemokrat Javier Moreno Sanchez im Namen seiner Fraktion: "Die EU sollte für jeden Fachmann, den sie aufnimmt, Geld in das Bildungssystem seines Heimatlandes investieren. Und: Keine Klasse von Arbeitnehmern sollte ausgeschlossen werden", sagt er und fordert die Regierungen auf: "Nicht nur Hochqualifizierte sollten durch unsere Pforten schreiten."