frauen UND POLITIK
Seit 90 Jahren sind sie aktiver Teil der Demokratie - mittlerweile an höchster Stelle
Acht Damen im Zentrum, zwischen sich einen glatzköpfigen Strahlemann, der sich in dieser Umrahmung sichtlich wohl fühlt; ganz an die Peripherie gerückt ein paar verloren wirkende Herren: Als der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Walter Momper, im März 1989 seinen neuen Berliner Senat vorstellte, wurde dieses Bild zum Symbol für den Aufbruch der Frauen in die Parlamente: Zum ersten Mal gehörten dem Berliner Senat mehr Frauen als Männer an - eine politische Sensation. Doch das Berliner "Feminat" währte nur anderthalb Jahre und ging in den Trümmern der Mauer unter. 17 Jahre später entstand wieder ein Gruppenbild: Neun vorwiegend dunkel gekleidete Männer vor klassizistischer Schlosskulisse, staatsmännisch in die Kamera winkend, dazwischen ein heller Damenblazer: Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Chefs der wichtigsten Industrienationen auf ihrem ersten G8-Gipfel 2006 in St. Petersburg.
So unterschiedlich das Arrangement und die Atmosphäre der beiden Bilder auch sein mögen, handeln sie doch unverkennbar vom unaufhaltsamen Aufstieg der Frauen an die Macht. Doch das vordergründig Erzählte führt auch in die Irre. Zwar scheinen die acht Senatorinnen qua Masse Frauenpower und Einfluss auszustrahlen, doch dass die hinter ihnen posierenden sechs Männer damals die Schlüsselressorts besetzten, ist nicht erkennbar. Auch das russische "Gruppenbild mit Dame" trügt, denn Angela Merkel ist unter den mächtigen Staatsmännern alles andere als die Alibifrau. Die Botschaft, die beide Fotografien überliefern, ist viel schlichter: Frauen sind in der Politik angekommen - auch auf höchster Ebene.
Doch was bedeutet das? Schlägt nun "Masse" in "Klasse" um? Angela Merkel als Bundeskanzlerin habe "mehr als jedes Parteiprogramm und jede Quotenregelung die echte politische Teilhabe von Frauen bewirkt und gezeigt, dass eine Frau jedes politische Amt in Deutschland ausfüllen kann", erklärt die Staatsministerin und Vorsitzende der Frauenunion, Maria Böhmer (CDU) im Gespräch mit dieser Zeitung. Die ehemals grüne Frauenpolitikerin und jetzige stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Monika Knoche, sieht das völlig anders: Die Kanzlerschaft Merkel, behauptet sie, habe im Gegenteil dazu geführt, "dass frauenpolitische Themen als immer weniger brisant wahrgenommen werden".
Was hinter diesen beiden entgegengesetzten Positionen steht, durchzieht auch die wechselvolle Geschichte der Frauenemanzipation. Geht es einfach darum, Frauen an die Macht zu bringen oder um frauenspezifische Politikinhalte? Haben Frauen ihr Ziel erreicht, wenn sie die höchsten Staatsämter bekleiden oder misst sich weibliche Teilhabe an anderen Indikatoren, zum Beispiel an Berufstätigkeit oder der geteilten Verantwortung für Kinder? Hat sich die Hoffnung, Politik würde menschlicher, wenn Frauen an der Spitze stehen, erfüllt oder werden auch Politikerinnen Strukturen, Zeit- und Sachzwängen unterworfen, die sie nicht aushebeln können? Die Parteiapparate, gab die Grande Dame der FDP, Hildegard Hamm-Brücher, einmal zu Protokoll, seien ein entscheidendes Hindernis für die Frauen und ein ernsthaftes Problem für die Demokratie.
Bedenkt man, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass eine deutsche Frau auf die Idee kam, das Frauenwahlrecht zu fordern - 1873 die Schriftstellerin Hedwig Dohm -, lässt sich zweifellos von einer, wenn auch von zahlreichen Rückschlägen begleiteten, weiblichen Erfolgsgeschichte sprechen. Als sich die Stimmrechtsbewegung im Kaiserreich formierte, war es Frauen in zahlreichen Ländern - darunter in Preußen und Bayern - noch nicht einmal erlaubt, sich in Vereinen zu betätigen. Stellvertretend nahm die SPD das Frauenstimmrecht 1891 in ihr Parteiprogramm auf. Der zehn Jahre darauf von Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg im liberaleren Hamburg gegründete "Deutsche Verein für Frauenstimmrecht" zählte bald 8.000 Mitglieder. Er galt als "radikal", weil er statt des Dreiklassenwahlrechts das allgemeine und gleiche Wahlrecht forderte.
Ob sich die Frauen das Stimmrecht "erkämpft", an der "Heimatfront" des Ersten Weltkriegs "erdient" oder ob es ihnen durch die Novemberrevolution von 1918 einfach nur "geschenkt" worden war, hat Historikerinnen lange beschäftigt.
Zur Wahl der Weimarer Nationalversammlung 1919 waren 17 Millionen Frauen und 15 Millionen Männer aufgerufen, und die Wahlbeteiligung der Frauen von 82,3 Prozent widerlegte ihr angebliches politisches Desinteresse. Von den 423 Parlamentariern waren 41 Abgeordnete Frauen. Es wären wohl noch mehr gewesen, wenn sich die Frauenrechtlerin Minna Cauer durchgesetzt hätte: Sie forderte nämlich schon 60 Jahre vor der "Erfindung" durch die Grünen eine Art Quotierung der Listenplätze.
Die Neigung der Frauen, eher konservativ zu wählen, war allerdings ebenso unübersehbar wie die vieler Politikerinnen, sich auf das Feld der Sozialarbeit zu beschränken. Das ist keineswegs überraschend, wenn man daran erinnert, wie spät die Universitäten Frauen ihre Pforten öffneten und dass die damals politisch aktive Generation auf "weibliche" Berufe verwiesen blieb.
Mit einem Frauenanteil von nahezu zehn Prozent übertraf das erste Parlament der Weimarer Republik sogar die spätere Bundesrepublik, die 1949 mit gerade einmal 31 Abgeordneten (6,8 Prozent) an den Start ging. Nach kurzem Anstieg sank die Frauenquote in der Wahlperiode 1972/76 aber auf 5,6 Prozent - zeitgleich mit der Kanzlerschaft Willy Brandts und dem Beginn der Neuen Frauenbewegung. Fehlte der sozialliberalen Koalition das "Sex Appeal", war sie einfach zu männerbündisch, oder war es die unverhohlene Reserve der damaligen Aktivistinnen gegenüber Institutionen?
Damals brachte die Frauenbewegung endlich ihre Themen aufs Tapet: die Frage des Schwangerschaftsabbruchs, der öffentlichen Kinderbetreuung, der Gewalt gegen Frauen oder die der sogenannten "Leichtlohngruppen". Die Forderung "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" steht für die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, Elke Ferner, nach wie vor "an zentraler Stelle der politischen Agenda".
Der grüne Quoten-Coup, zunächst bei der Hamburger Alternativen Liste 1983 praktiziert, 1986 dann auf Bundesebene verankert, setzte die etablierten Parteien unter erheblichen Handlungsdruck und die Parteifrauen in Bewegung. Zu einer Zeit, als bei den Grünen radikal-feministische Positionen schon wieder ins Abseits gerieten, mussten sich die Parteimänner in der SPD, in abgeschwächter Form auch in der CDU, mit der allmählichen Teilung der Macht abfinden: Die SPD führte zähneknirschend die 40-Prozent-Quote ein, Helmut Kohl "erfand" Rita Süssmuth als Frauenministerin, und die FDP erhob mit Irmgard Schwaetzer eine Frau als Generalsekretärin aufs Podest. Zur gleichen Zeit konnte sich die Frontfrau der SPD Herta Däubler-Gmelin im Kampf um den Fraktionsvorsitz allerdings nicht durchsetzen.
Ein Erfolg war die Quote zweifellos, soweit sie die Eroberung von Mandaten und in gewissem Rahmen auch von Ämtern betraf. Seit den späten achtziger Jahren steigt die Zahl der Abgeordneten auf Länder- und Bundesebene kontinuierlich, im 16. Deutschen Bundestag sitzen insgesamt 196 und damit 32 Prozent Frauen. Ist also jene "kritische Masse" erreicht, von der die dänische Politologin Drude Dahlerup behauptet, dass sie die Parlamente verändern und Einfluss auf die politische Kultur und die Inhalte nehmen könnte?
Dass es sich heutzutage keine Partei und keine Regierung mehr leisten kann, über die Frauen hinwegzugehen, setzt wiederum die nun als "Quotenfrauen" stigmatisierten Politikerinnen unter Druck. Nur qua Frau will keine gewählt werden, und so gehen gerade die Jüngeren auf Distanz nicht nur zur Quote, sondern zur ganz und gar "uncoolen" Frauenpolitik. Die "Alphamädchen" sind zwar ein Medienphänomen, doch es drückt aus, dass sich die Erwartungen junger Frauen an die Politik und auch die junger Politikerinnen verändern. Ihr gehe es um "Sachpolitik", nicht um Macht, gibt die jüngste Bundestagsabgeordnete Anna Lührmann (Bündnis 90/Die Grünen) zu Protokoll, und empfindet es als angenehm, dass es in der Grünenfraktion Expertinnen für "harte" Themen gibt. Mit dem Ende der Wahlperiode scheidet Lührmann als Berufspolitikerin aus dem Bundestag aus - ganz ohne formalen Rotationsbeschluss. In den vergangenen Jahren nahmen in der Frauenpolitik praktische Fragen gerade im Bereich der Familienpolitik einen immer breiteren Raum ein. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird jetzt nicht mehr allein als "Frauenfrage" betrachtet.
Schon die beiden sozialdemokratischen Frauenministerinnen Christine Bergmann und Renate Schmidt hatten hier wichtige Akzente gesetzt, die ihre christdemokratische Nachfolgerin Ursula von der Leyen (CDU) nun erfolgreich umsetzte. Neben dem Ausbau der Betreuungsmöglichkeiten von unter Dreijährigen setzte sie sich dafür ein, dass mit den neuen Regelungen für Elterngeld und Elternzeit auch mehr Väter die Versorgung kleiner Kinder übernehmen können. Ein wichtiger Schritt, aber eben auch nur ein Teilerfolg. Denn dass die weibliche "Masse" auf die Inhalte durchschlägt, lässt sich nicht behaupten. Wo es ans "Eingemachte" ging, wie beim Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft, gab es sogar Rückschläge. Erfolgreich haben Politikerinnen allerdings gezeigt, dass sie auf den männlichen Baustellen operieren können - wie Männer. Einzig ihr Politikstil unterscheidet sich. "Große Kommunikationsfähigkeit", schätzt Maria Böhmer an der Kanzlerin. "Frauen führen anders", meint auch Elke Ferner, die sich mehr Frauen in Führungspositionen der Wirtschaft wünscht. Anna Lührmann hebt einen "anderen Umgangston" hervor und Monika Knoche bescheinigt vor allem ihren jüngeren Fraktionskolleginnen produktive Konfliktfreudigkeit. Sind Politikerinnen also doch keine besseren Menschen, sondern nur Menschen, die mit Politik besser umzugehen verstehen? Selbst das wäre doch schon ein Gewinn.