Als Antonio Hurtado Anfang der 1970er Jahre aus Spanien ins Ruhrgebiet nach Duisburg kam, war er 13 Jahre alt und sprach kein Wort Deutsch. Seine Eltern waren die klassischen Gastarbeiter der ersten Generation. Der Vater arbeitete bei der Bundesbahn im Schichtbetrieb, die Mutter in einer Krankenhausküche und abends als Putzfrau. Alles drehte sich darum, die Familie wirtschaftlich über Wasser zu halten; für Bildungsangelegenheiten blieb da nicht viel Platz. Die Schulkarriere des Sohnes verlief schlecht - in der 8. Klasse blieb er sitzen, die Hauptschule verließ er ohne Abschluss. Als er schließlich bei Thyssen Krupp als Hilfsarbeiter landete, traf er den Mann, der seinen Bildungsweg maßgeblich verändern sollte. "Dieser Ausbilder, sagt Hurtado rückblickend, erkannte mein naturwissenschaftliches Talent und überredete meinen Vater, mich nochmals zur Schule gehen zu lassen. Das war der berühmte Knoten, der bei mir gelöst wurde. Wenn ich könnte, würde ich dem Ausbilder heute noch dafür danken."
Geradezu entfesselt meisterte der junge Einwanderer die 9. Klasse, machte eine Lehre zum technischen Zeichner und besuchte die Abendschule. Als erster überhaupt in seiner Familie schrieb er sich anschließend für ein Studium ein, studierte an der Gesamthochschule Duisburg-Essen Maschinenbau mit Schwerpunkt Energiewirtschaft. Aus dem Sitzenbleiber von einst entwickelte sich ein engagierter Ingenieur und Wissenschaftler mit Industrieerfahrung, der im August 2007 einen Ruf als Professor für Wasserstoff- und Kernenergietechnik an die TU Dresden erhielt. "Nein, einfach war dieser Weg nicht", bilanziert der inzwischen 49-Jährige, "ich habe auf einer Strecke von A nach B, die man sonst auf einer Geraden nehmen kann, die eine oder andere Kurve nehmen müssen. Dabei habe ich allerdings davon profitieren können, dass das Bildungssystem in Deutschland mich motiviert hat. Zum Beispiel habe ich Verständnis bei meinem Vorgesetzten gefunden, nebenberuflich auf die Abendschule zu gehen. Das alles ist nämlich kein Ergebnis, das ich allein für mich verbuchen kann. Wo immer es geht, mache ich deshalb auch Reklame für diesen Werdegang. Denn ich möchte versuchen, junge Menschen zu animieren, an sich zu glauben - auch wenn sie die Hauptschule besuchen und auch, wenn sie diese ohne Abschluss verlassen. Natürlich gehört auch der Glaube der direkten Umgebung, der Eltern und der Lehrerschaft dazu. Ich bin überzeugt davon, dass man dadurch sehr viel bewegen kann." Und seine eigenen drei Kinder? Sie werden alle unterschiedliche Wege gehen, prognostiziert der Vater und berichtet stolz davon, dass der älteste Sohn nach hartem Bewerbungsprozess an der privaten European Business School in Oestrich-Winkel angenommen wurde. Bei den beiden anderen sei das noch nicht abzusehen. "Aber, ob sie studieren oder nicht: Wichtig ist, aus den vorhandenen Möglichkeiten und Fähigkeiten das Beste zu machen."
Professor Antonio Hurtado lebt in der von Bundeskanzlerin Angela Merkel ausgerufenen "Bildungsrepublik Deutschland". Doch längst nicht alle Bildungswege führen so beständig nach oben wie der seine. Im Gegenteil, viele Studien und Forschungsberichte fördern seit Jahren Erschreckendes zu Tage. So verlassen in Deutschland fast 80 000 junge Menschen pro Jahr die Schule ohne Abschluss und landen dadurch besonders häufig in der Langzeitarbeitslosigkeit. Viele Jugendliche gelten zudem als nicht ausbildungsreif. 40 Prozent von ihnen suchen selbst zweieinhalb Jahre nach dem Verlassen der Schule noch eine Lehrstelle. Auch in der höheren Bildung knirscht es. Nur rund 36 Prozent eines Abiturjahrganges entscheiden sich für ein Studium an einer deutschen Hochschule, die Tendenz ist weiter fallend. Jeder fünfte Student bzw. jede fünfte Studentin bricht ab. Das alles sind Zahlen, welche die Bildungsmisere in Deutschland immer wieder aufs Neue, fast gebetsmühlenartig, beschreiben.
Seltener schon hört man davon, dass fast vier Millionen Deutsche nicht richtig schreiben und lesen können. Und sechs Prozent aller Menschen mit Behinderung sind ohne allgemeinen Schulabschluss. Bundespräsident Horst Köhler spricht von einer "blamablen Situation" für Deutschland und kritisiert die ungleichen Zugangschancen zu guter Bildung als beschämend. "Wir brauchen eine Gesellschaft, in der niemand ausgeschlossen wird, eine Gesellschaft mit vielen Treppen und offenen Türen", mahnt er und fordert zugleich stärkere Investitionen für den Bildungsbereich. "Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass die schulische Entwicklung eines Kindes immer noch maßgeblich - und in den letzten Jahren sogar mit wachsender Tendenz - von seiner Herkunft und dem Geldbeutel der Eltern bestimmt wird." Ein Appell, den vor ihm auch schon andere formuliert haben: allen voran die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die Deutschland regelmäßig ins Stammbuch schreibt, dass Kinder aus bildungsfernen Schichten hier geringere Erfolgschancen haben als diejenigen, die aus einer Akademikerfamilie stammen. Zudem biete das Bildungssystem kaum soziale Durchlässigkeit.
Davon, wie schwer es gerade die Kinder und Jugendlichen aus bildungsfernen Schichten haben, kann Günter Vonderau ein besonderes Lied singen. Der Sozialpädagoge arbeitet seit etwa zwei Jahren in der Werkstattschule am Technisch-Gewerblichen Berufsbildungszentrum (TGBBZ) Dillingen im Saarland. Im Rahmen eines dreijährigen Pilotprojektes des Landes und der Bundesagentur für Arbeit, an dem insgesamt vier Berufsschulen beteiligt sind, bekommen hier, wie Vonderau es formuliert, "hoffnungslose" Sechs- oder Siebtklässler eine zweite Chance. Sie wurden von ihren Schulen mehr oder weniger aufgegeben, sind verhaltensauffällig, kennen keine Regelmäßigkeit. Auch die Eltern der 14- und 15-Jährigen sind hilflos und häufig überfordert. Zusammen mit den Lehrerkollegen des Berufsbildungszentrums bemüht sich Vonderau, die Jugendlichen zum Hauptschulabschluss zu bringen und eröffnet ihnen in Kooperation mit der Berufsberatung der Arbeitsagentur berufliche Perspektiven. Weitere Ziele sind die Verbesserung der Ausbildungsreife und der Berufseignung.
Auf Praxisnähe wird am TGBBZ deshalb besonders Wert gelegt, wie auch auf intensive Förderung und persönliche Gespräche. Zwei Tage pro Woche gehen die Jugendlichen zur Schule, den Rest der Zeit verbringen sie entweder in der Werkstatt der Schule oder im Praktikum in einem Betrieb. Das Konzept scheint aufzugehen. Neun der insgesamt elf Schüler seines ersten Jahrgangs, berichtet Vonderau zufrieden, hätten das Primärziel, den Hauptschulabschluss, erreicht. Saarlandweit waren es 47 Schüler. Fünf von ihnen hätten sogar eine Lehrstelle bekommen. Der Sozialpädagoge glaubt an seine "Schützlinge" und an seine Arbeit. "So bekommen sie eine Zukunftsperspektive und erfahren, dass es Wege gibt, um aus der Sackgasse herauszukommen." Schade sei nur, dass im Bildungsbereich alles am Geld hänge. "Ich wäre auf jeden Fall dafür, dass jede Schule einen eigenen Sozialpädagogen vor Ort hat. Das würde auch die Lehrer unterstützen". Sehr wichtig sei es zudem, den Eltern bereits frühzeitig professionelle Hilfestellung zu geben, die sie annehmen könnten, ohne stigmatisiert zu werden. Dann, so ist sich Vonderau sicher, würden viele Probleme in diesem Ausmaß nicht entstehen.
Michael Ney hat ebenfalls häufig Kontakt mit Jugendlichen, die in einer problematischen Lebensphase stecken. Seit fast drei Jahren ist der Soziologe im Landkreis Rotenburg/Wümme als Fallmanager für unter 25-jährige Hartz IV-Empfänger zuständig. Mehr als 300 Fälle hat er aktuell (Stand Oktober 2008) zu betreuen, darunter Deutschrussen, Kosovaren, aber auch viele Kinder von ehemaligen DDR-Bürgern. "Die meisten haben gerade mal einen Hauptschulabschluss", erzählt der 39-Jährige, "kommen aus zerrütteten kinderreichen Familien und haben Eltern, die selbst im Leistungsbezug sind, also Hartz IV beziehen. Das Problem bei vielen meiner Jugendlichen ist die Perspektivlosigkeit. Denn die Erfahrung in der Familie ist, es wird sowieso nicht über Hartz IV hinaus gehen. Es ist schwierig, ihnen nach ihren Erlebnissen mit Schule und Elternhaus glaubhaft zu machen, dass wir sie annehmen und sie akzeptieren".
Innerhalb der vergangenen zwölf Monate haben von Neys Jugendlichen immerhin sechs einen Aufstieg durch Bildung geschafft. Realschul- und Hauptschulabschluss, Lehrstelle und sogar Studium - der Fallmanager freut sich verhalten, würde gern mehr unterstützen können. "Meine Arbeit im Hartz IV-Bereich eröffnet nicht viel Spielraum. Es geht weniger darum, den Jugendlichen eine langfristige Perspektive zu geben, sondern eher um kurzfristige Ziele. Einzelförderung ist da nur selten möglich. Arbeitskleidung und Büchergeld, ja, das kann ich schon mal geben. Ich hab' relativ wenig Anteil an den Erfolgen, die Jugendlichen schaffen das selbst. Ich freu' mich aber darüber, wenn sie den Schritt geschafft haben", relativiert der Soziologe und macht das an einem Beispiel fest. "Da ist zum Beispiel eine dabei, die hat es nie geschafft, morgens aufzustehen und irgendwo hinzugehen, wenn sie einen Termin hatte. Sie hat immer bis zwölf Uhr gelegen. Dann hat sie in einem Ein-Euro-Job mit Behinderten gearbeitet und dadurch eine Tagesstruktur bekommen, ist anschließend in einen Hauptschulkurs gegangen und hat den Abschluss gemacht. Von mir hat sie als Förderung zur Belohnung den Führerschein finanziert bekommen, um eine Anerkennung zu schaffen. Sie hat noch ihren Realschulabschluss gemacht und hat jetzt eine Lehrstelle in einem Bremer Dentallabor. Diese Intensität der persönlichen Betreuung müsste erhöht werden, individuelles Kümmern ist nötig."
Michael Ney weiß, was er hier fordert. Schließlich hat er selbst einen schwierigen Bildungsweg hinter sich, auf dem er sich manchmal mehr Hilfestellung gewünscht hätte. Er war, sagt er, kein guter Schüler, schaffte mit Ach und Krach den Realschulabschluss. Anschließend überredeten ihn die Eltern - Mutter Buchhalterin und Vater Bergmann - eine Ausbildung in einer Bank zu absolvieren. Dort wurde er allerdings nach der Lehre nicht übernommen. Wenn er damals nicht gezwungen worden wäre, sich zu überlegen, wie es weitergeht, ist er sich heute sicher, wäre er vermutlich noch immer in diesem Job tätig. Stattdessen schafft er 1996 das, was niemand vor ihm in seiner Familie geschafft hatte: Er studiert. Der 27-Jährige besteht die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP) in Hamburg und schreibt sich für Soziologie ein. Der Student ohne Abitur wird hier gefördert, erhält ein spezielles Unterstützungsprogramm. Auch jetzt ist Michael Ney wieder eingeschrieben. Zum Wintersemester 2008/2009 hat er an der Fernuniversität Hagen angefangen, einen Master in Soziologie zu machen. Individualisierung und Sozialstruktur mit dem Schwerpunkt Bildungsbenachteiligung sind seine wissenschaftlichen Themenfelder. Er schiebt schmunzelnd hinterher: "Ich würde im Anschluss gern noch promovieren, da bin ich hemmungslos." Dafür, dass ihm in er Zwischenzeit nicht langweilig wird, sorgt auch seine neue Tätigkeit als Mentor bei der Initiative "arbeiterkind.de". "Das ist genau das, was mir damals gefehlt hat. Etwas, das mir die Angst nimmt. Weil ich mich eben durchkämpfen musste durch BAföG etc."
Der Grund, warum Katja Urbatsch die Idee zu "arbeiterkind.de" kam, war eigentlich weniger die Angst vorm Studium, sondern eher das Gefühl, etwas gegen Chancenungleichheit tun zu müssen. "Ich habe während meines Studiums verschiedene Schlüsselerlebnisse gehabt", erinnert sich die 29-jährige Gießenerin. Ihre Eltern haben keinen Hochschulabschluss, sie studiert Nordamerikastudien, Publizistik- und Kommunikationswissenschaften sowie Betriebswirtschaftslehre. "Als ich meine erste Hausarbeit geschrieben habe, da stand ich wie ein ,Ochs vorm Berg` und wusste nicht, wie ich es machen sollte. Ich hatte eine Freundin, die sagte, ja mein Vater, der hilft mir dabei und der guckt da noch einmal drüber. Das habe ich hinterher immer wieder erlebt. Auch beim DAAD-Stipendium war ich umzingelt von Studierenden, die erzählt haben, dass ihre Väter auch ein solches Stipendium hatten. Viele Eltern sind ja sogar noch bei der Magister- oder Diplomarbeit behilflich. Da habe ich gemerkt, es gibt einen Unterschied. Ich musste selber schauen, wie ich klar komme. So ist es auch schwieriger, erfolgreich zu sein."
Seit Mai 2008 ist "arbeiterkind.de" online. Katja Urbatsch und ihr Team bereiten darin wichtige Informationen für Schüler und Studierende aus Familien auf, in denen noch niemand studiert hat. "Wir möchten Schüler dazu ermutigen, zu studieren und ihnen aufzeigen, wie sie sich finanzieren können. Wir wollen sie dann auch während des Studiums begleiten, zum Beispiel bei der Studienplatzsuche, bei Klausuren, Hausarbeiten, Auslandsaufenthalten, Stipendienbewerbung, Examen und Berufseinstieg. Wir möchten kompensieren, was diejenigen von zu Hause oft nicht bekommen können. Ein Großteil unserer Arbeit besteht eigentlich auch darin, zu ermutigen und neue Perspektiven aufzuzeigen. Denn Kinder aus bildungsfernen Schichten bekommen das - im Gegensatz zu Akademikerkindern - häufig nicht vom Elternhaus." Auch auf der Internetseite der Initiative wird auf diese mißliche Lage hingewiesen: "In Deutschland lässt sich die Wahrscheinlichkeit, ob ein Kind studieren wird, am Bildungsstand der Eltern ablesen. Laut der aktuellen Sozialstudie des Deutschen Studentenwerkes nehmen von 100 Akademikerkindern 83 ein Hochschulstudium auf. Dagegen studieren von 100 Kindern nicht-akademischer Herkunft lediglich 23, obwohl doppelt so viele die Hochschule erreichen. Die hohe finanzielle Belastung ist dabei nur einer von vielen Gründen, die Abiturienten, deren Eltern nicht studiert haben, häufig von einem Studium abhalten. Wer selbst aus einer nicht akademischen Familie stammt und trotzdem studiert hat, weiß, das die eigentliche Benachteiligung in einem großen Informationsdefizit besteht."
Katja Urbatschs Initiative hat inzwischen ernormen Erfolg und sogar erste Auszeichnungen erhalten. Aus dem reinen Internetportal ist ein Netzwerk mit mehr als 500 Mentoren gewachsen. Diese engagieren sich als Ansprechpartner vor Ort, unterstützen beim "Abenteuer Studium". Häufig waren auch sie die ersten in der Familie, die studiert haben. Die Bandbreite reicht von noch derzeit Studierenden bis zu Professoren, wissenschaftlichen Mitarbeitern, Berufstätigen, die in Unternehmen tätig sind, die sich wiedererkannt haben und um die Probleme wissen." Das können zum Beispiel Anerkennungsprobleme sein, gegen die die Initiatorin von "arbeiterkind.de" selbst noch zu kämpfen hat. Ihre Eltern sind stolz auf sie und ihren Bruder, der ebenfalls Akademiker ist. Aber im größeren Familienkreis muss sie sich noch heute rechtfertigen, obwohl sie mit einem Stipendium derzeit in Gießen an einer exzellenten Graduiertenschule promoviert. Dann hört sie Bemerkungen wie diese: "Na, Du studierst ja immer noch, wo soll das denn hinführen? Verdien' lieber mal langsam Geld". In dieser Schicht, bemängelt Urbatsch, werde häufig nicht verstanden, was ein Studium bringe. Wenn man zu Hause nicht sagen könne, ich werde Arzt oder Jurist, dann führe das zu einer großen Unsicherheit und zu großem Unverständnis.
Für den Eliteforscher Michael Hartmann, Soziologie-Professor an der TU Darmstadt, sind Bildungswege wie die von Antonio Hurtado, Michael Ney und Katja Urbatsch in Deutschland die Ausnahme. Sie seien das Ergebnis von viel Fleiß, Arbeit und Engagement einzelner Personen. Wolle man dies aber in größerem Umfang gewährleisten, würde das nur gehen, wenn sich das Bildungssystem insgesamt ändere. "Solange dies nicht der Fall ist, wird sich auch nichts an den Relationen ändern." Viel Hoffnung auf baldige Veränderung macht Hartmann allerdings nicht. "Bildungspolitik steht immer unter dem Diktat der Finanzminister. Solange man diese Politik betreibt, die sich darin ausdrückt, dass Deutschland das einzige große Industrieland ist, in dem Bildungskosten in den letzten Jahren bezogen aufs Bruttoinlandsprodukt rückläufig waren, solange wird sich real auch nichts verbessern. Die Länder, die bessere Bildungssysteme haben, investieren schlicht und einfach mehr."
Dass Bund und Länder tatsächlich zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes bis zum Jahr 2015 in Bildung und Forschung stecken wollen - so wie sie es beim "Bildungsgipfel" im Oktober 2008 in Dresden angekündigt haben - glaubt Hartmann noch nicht und verweist auf viele verpuffte Versprechungen und die angespannte Lage durch die Finanzkrise. "Wenn man überhaupt soziale Ungerechtigkeit ein Stück weit beheben will, das heißt Kindern, die von ihrer Herkunft her deutlich schlechtere Chancen haben, wenigstens einen Teil dieser Chancen zurückgeben will in Form von schulischer Bildung, dann müsste man möglichst früh und umfassend ansetzen." Lehrern sollten dringend Sozialarbeiter zur Seite gestellt werden, fordert Hartmann deshalb - ebenso wie Günter Vonderau von der Werkstattschule Dillingen. Migrantenkinder mit Deutschproblemen müssten nach skandinavischem Vorbild eine zusätzliche Sprachbetreuung erhalten. "Doch all das kostet so viel Geld, dass man damit rechnen muss, die Ausgaben für Bildung um mindestens ein Drittel zu steigern, um annähernd skandinavische Verhältnisse zu erreichen. Im Grunde müssten die Ausgaben um 40, 50 Prozent erhöht werden. Das sind natürlich irreale Vorstellungen, wenn man sich die reale politische Situation ansieht. Aber es muss zumindest ein spürbares Plus geben."
Und wenn sich im öffentlichen System nichts ändert? Dann, prognostiziert der Eliteforscher, wird in Teilen der oberen Mittelschicht, gerade auch bei Akademikern der ersten Generation, der Wunsch weiter zunehmen, den eigenen Kindern eine gute Bildung zu sichern. Es wird generell den Trend geben, sich über Privatschulen oder über konfessionelle Gymnasien bessere Bildungschancen auf Kosten der anderen zu sichern." Dunkle Wolken also über der "Bildungsrepublik Deutschland"? Für die "arbeiterkind.de"-Initiatorin Katja Urbatsch ein Grund mehr, sich für Veränderungen einzusetzen. "Mein größter Wunsch wäre, dass Kinder wirklich von Anfang an - egal welchen Hintergrund sie haben - gefördert werden und dass alle gemeinsam zupacken, auch über politische Grenzen hinweg. Denn Potenziale müssen gefördert werden!"