EU-GIPFEL
Merkel sieht Deutschland in einer Vorreiterrolle. Die Opposition spricht von »Geisterfahrt«
Nicht eins, nein, gleich zwei Konjunkturprogramme zur Bekämpfung der schweren Wirtschaftskrise standen am 4. Dezember direkt und indirekt auf der Tagesordnung des Bundestages. Doch auch wenn zwischen den Debatten mehrere Stunden lagen - zu trennen waren beide nicht voneinander, wie die Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zum Europäischen Rat in Brüssel und die anschließende Aussprache deutlich zeigte.
Das eine, nationale Konjunkturprogramm der Bundesregierung, wurde am Nachmittag vom Parlament gegen die Stimmen einer ganz und gar nicht zufriedenen Opposition verabschiedet und sieht in den kommenden zwei Jahren ein Investitionsvolumen von 32 Milliarden Euro vor. Das andere, das 200-Milliarden-Euro-Konjunkturpaket der EU, soll noch in dieser Woche, am 11./12. Dezember, auf dem EU-Gipfel in Brüssel verabschiedet werden. Unter anderem werden sich auch darin die Mitgliedstaaten verpflichten, nationale Konjunkturprogramme aufzulegen. Gedacht ist das Paket, erklärte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bei seiner Vorstellung Ende November, als "Instrumentenkasten". Sprich: Die 27 EU-Länder sollen je nach nationaler Ausgangslage selbst entscheiden, was sie mit den Maßnahmen und Mitteln anfangen. Wichtig ist aber, dass sie ihr Vorgehen koordinieren.
Was also macht die deutsche Bundesregierung, um die kriselnde Konjunktur wieder anzukurbeln? Und, die Frage aller Fragen in der Debatte am Donnerstagmorgen: Kann sich die Kanzlerin mit ihrem nationalen Konjunkturpaket überhaupt in Europa blicken lassen? Die Opposition hatte darauf eine recht klare und recht einheitliche Antwort: Nein. Die jedoch parierte Merkel bereits zu Beginn ihrer Regierungserklärung entschlossen: Mit dem Maßnahmenpaket der Bundesregierung, das der Bundestag auf den Weg gebracht habe, gehöre Deutschland "zu den führenden Ländern Europas, was die Reaktion auf die Finanzkrise anbelangt", erklärte sie und betonte, dass "wir in Deutschland, bei aller Dringlichkeit, die besteht, den Wettlauf um Subventionen und Milliarden, einfach nur um den Eindruck zu erwecken, man habe etwas getan, nicht mitmachen". Diese Ankündigung und Merkels Aufruf zu besonnenem Handeln brachte die Opposition richtig auf die Palme. "Sie sind in Europa der Geisterfahrer", entgegnete der FDP-Fraktionsvorsitzende Guido Westerwelle und forderte die Kanzlerin auf, jetzt in Steuersenkungen zu investieren. Andere EU-Länder würden sich nicht verweigern, wie die Kanzlerin es mit ihren "mutlosen Kleinstpaketen" tue, sondern handeln. Großbritannien: senke die Mehrwertsteuer. Spanien: reduziere die Steuern oder schaffe sie sogar ab. Österreich: erhöhe die Freibeträge und entlaste Familien. Aber "die deutsche Bundesregierung richtet sich in Europa gegen ein mutiges und entschiedenes Handeln", rief Westerwelle. Einen entsprechenden Entschließungsantrag ( 16/11176) der FDP lehnte der Bundestag jedoch ab.
Die SPD-Abgeordnete Angelica Schwall-Düren erwiderte Westerwelle, Steuersenkungen seien ein unpräzises und ungerechtes Instrument mit zweifelhafter Wirkung. "Wir können keinen Steuersenkungswettbewerb gebrauchen", betonte sie. Im Gegensatz zu dem, was Westerwelle versuche, ihnen einzureden, bringe die Bundesregierung eine ganze Reihe von richtigen Maßnahmen auf den Weg.
Doch auch nach Auffassung der Linksfraktion sind die Konjunkturprogramme von Bundesregierung und Kommission zu gering ausgestattet, um die aktuelle Krise wirksam zu bekämpfen. Man brauche auf diese Krise komplexe Antworten, betonte Fraktionschef Lothar Bisky, und bekräftigte nochmals das Nein seiner Fraktion zum Vertrag von Lissabon. Er zementiere nur die neoliberale Ausrichtung der europäischen Wirtschaftspolitik, die Ursache der Krise sei.
Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte insbesondere "den Kotau" der Bundesregierung gegenüber der Autoindustrie in Sachen EU-Klimapaket, das ebenfalls auf dem EU-Gipfel verabschiedet werden soll. Die von Merkel geforderten Ausnahmen aus dem Emmissionshandelssystem und die vereinbarten Grenzwerte beim CO2-Ausstoß seien "ein Anschlag auf den internationalen Klimaschutz" und "ein Skandal".
Merkel verteidigte die gefundenen Lösungen indes als "vernünftig" und erneuerte ihre Forderung, für energieintensive Branchen wie Eisen, Chemie oder Stahl Ausnahmen vom geplanten Zertifikatehandel zu schaffen. Deutschland als industriestärkstem Land der EU dürften aus den Plänen keine Nachteile entstehen. Diese Position wolle die Bundesregierung in Brüssel auch deutlich vortragen. Außerdem wolle man darauf drängen, dass die EU das deutsche Bankenrettungspaket zügig genehmigt. Deutschland habe schnell gehandelt, sagte Merkel. Nun könne Brüssel nicht einfach "business as usual" betreiben. "Uns werden harte Verhandlungen bevorstehen", kündigte die Kanzlerin an.
Guido Westerwelle machte keinen Hehl daraus, wem er in Brüssel mehr die Daumen drückt: "Es ist das erste Mal, dass ich in meiner Antwort auf eine Regierungserklärung der Bundeskanzlerin aufgrund Ihrer zögerlichen Verhandlungstaktik nicht Ihnen Erfolg wünsche, sondern den restlichen europäischen Staaten."