Nach Dr. Motte - bürgerlich Matthias Roeingh -, "Vater der Love Parade" und einer der erfahrensten DJs, ist die Arbeit am DJ-Pult ausgesprochen simpel: "Also, das mit dem Auflegen ist ganz einfach: Da nimmst Du zwei Platten, legst sie auf die Plattenteller, lässt die erste laufen, mischst die zweite rein, nimmst die erste runter und legst 'ne neue auf. Und so geht's dann immer weiter." Der Rest` ist für den kompetenten DJ offenbar ein mehr oder weniger fraglos inkorporiertes Routine- und Rezeptwissen. Allerdings begreift sich Dr. Motte auch - ähnlich wie Felix Kröcher, der "DJ des Jahres 2007" (wenn auch mit einem deutlich anderen "body style") - ausdrücklich als "interaktiver DJ". Für ihn ist ohnehin ganz selbstverständlich, woran ein anderer seiner weltberühmten Kollegen, DJ Westbam - bürgerlich Maximilian Lenz -, alle Plattenleger einmal vehement erinnert hat: "Vergesst die Party nicht!"
In diesem Beitrag wollen wir zu zeigen versuchen, dass der "Fame" eines DJs, das heißt seine Wertschätzung in der Techno-Szene, wesentlich aus seinem - von einer zumindest zu wesentlichen Teilen einschlägig urteilsfähigen Party-Gemeinschaft als solchem kompetent wahrgenommenen - (szene-)typischen Tun erwächst. Damit nähern wir uns dem Phänomen des DJ-Kults vom banalen Arbeitsalltag her und somit gleichsam von der Gegenseite dessen, wovon Ulf Poschardt in seiner 1995 unter dem Titel "DJ Culture" erschienenen Dissertation ausgegangen ist: 1 Während Poschardt eine lange Ästhetik-Geschichte des DJs als einer sich über viele Stationen hinweg entwickelnden Kultfigur des 20. Jahrhunderts schreibt, die irgendwann dann auch in der Techno-Szene ankommt, diese aber - intellektuell und ästhetisch - eigentlich stets transzendiert, versuchen wir im Folgenden nachzuvollziehen, wie die Idol-Funktion des DJs aus seiner situativen Praxis am Plattenteller heraus - ständig neu - entsteht.
Wir achten also weniger auf die mediensymptomatische Frage, wie viel "Fame" dem DJ-Auftritt bereits vorausläuft und die Party-Teilnehmer dadurch zu Fans im ganz konventionellen Sinne macht, dass sie einen bestimmten DJ deshalb wichtig nehmen, weil er bereits als wichtig gilt bzw. weil er bereits berühmt ist. Wir achten vielmehr auf das, was der DJ typischerweise tut, wenn er als DJ auf einer Techno-Party kompetent handelt, weil wir eben diese Qualität als conditio sine qua non seines "Fames" betrachten. Das heißt, wir unternehmen eine Strukturbeschreibung der normalen` Bühnen-Bedingungen, unter denen der DJ arbeitet und die er als Rollenspieler situativ handelnd bewältigt. 2
Die unseres Erachtens für den "Lifestyle Techno" symptomatische Veranstaltung, der so genannte Rave, impliziert ein Tanz-Vergnügen, das so lange dauert, dass - tendenziell - jeder Teilnehmer an einem beliebigen Zeitpunkt in das Geschehen ein- und auch wieder aussteigen kann, ohne ein essentielles Ereignis zu versäumen. Eine solche Party dauert oft zwölf Stunden und länger (mitunter auch mehrere Tage). Wesentlich dafür, dass dieses sozialzeitliche Andauern über viele Stunden hinweg für den Party-Teilnehmer, also für den "Raver", zu einem Kontinuum von vielfältig ineinander verwobenen Auf- und Abregungen wird, ist das, was diese Stunden (er-)füllt und - was beim Raver typischerweise starke körperliche Empfindungen auslöst - physisch-psychisches Wohlbefinden evoziert: das Tanzen in einem ver-rückten Zeit-Raum aus Musik und Licht, in dem dem Raver Hören und Sehen keineswegs vergeht, sondern in dem es ihm im Gegenteil zum Ohrenschmaus und zur Augenweide wird: Er tanzt idealerweise nicht zur, er tanzt vielmehr sozusagen in der Techno-Musik, die den Körper zu überfluten und zu durchströmen und die Welt ringsumher vergessen zu machen scheint. Um diesen Effekt hervorzurufen, scheint die Erzeugung eines Klang-Raumes, in dem und durch den man sich überall gleich gut bewegen kann, unverzichtbar zu sein. Und im Zentrum dieses ganzen Spektakels steht (unbeschadet allen sonstigen organisatorischen, logistischen und technischen Aufwandes) funktional unersetzbar bekanntlich jener Akteur, der zwar nicht alles`, ohne den alles (andere) jedoch nichts ist: der Meister des Mischpultes, der Herr der Plattenteller: der DJ - Priester, Schamane, Psychotherapeut, Führer, Hirte und so manches andere mehr, jedenfalls in der Wahrnehmung seiner Bewunderer.
Eines jedenfalls ist der Techno-DJ sicher nicht: Er ist kein Discjockey; das heißt, er spielt nicht einfach Schallplatten ab (und gibt dazu womöglich noch irgendwelche mehr oder minder launigen Kommentare von sich). Vielmehr kreiert der DJ die Musik zum Tanzen in der Partysituation selber - nur eben nicht mit herkömmlichen Instrumenten, sondern mittels Tonträgern, Plattenspielern, Mischpulten und anderen elektronischen Geräten. Im Wesentlichen werden dabei Sound-Sequenzen ("loops") vom DJ am "turn table" eingefügt in eine situative Soundkomposition - sozusagen in Akten der spontanen Neuschöpfung durch Durchmischung, Rekombination und Modifizierung der nach wie vor vorwiegend auf Vinylscheiben gepressten "tracks". Der DJ führt dabei Tracks sozusagen zusammen, lagert sie aufeinander, schiebt sie ineinander und achtet dabei darauf, interessante bzw. technisch anspruchsvolle, verblüffende und von virtuoser Fingerfertigkeit zeugende "Übergänge" zu schaffen. Hierbei zählt die Kunst, Bass-Frequenz-Differenzen zwischen den einzelnen Tracks auszugleichen und dadurch Unterbrechungen im Rhythmus des Beats zu vermeiden, zwar zu den geläufigsten, aber sicher nicht zu den schwierigsten Übungen.
Durch das mit multiplen Techniken durchgeführte "Verweben" des vorhandenen Soundmaterials zu oft stundenlang dauernden, komplexen Klangteppichen entsteht - idealerweise - der Eindruck eines durchgehenden Stückes, eines Tracks, auf dem, wenn schon nicht die gesamte Party, dann doch zumindest die Party tanzt, die dieser DJ - in der Regel ein bis zwei Stunden, im Extrem aber auch einmal bis zu zwölf Stunden lang - macht`, indem er eben in der Situation seinen Sound für diese eine Situation kreiert.
Der Arbeitsplatz des DJs befindet sich auf der so genannten "DJ-Bühne", einer im Verhältnis zur Tanzfläche zumeist leicht erhöhten Plattform am Rande derselben, die dem DJ und den Tanzenden eine relativ gute Sicht auf einander ermöglicht. Die DJ-Bühne wird dominiert vom so genannten "DJ-Pult", einem in der Regel tischhohen Gestell mit einer ebenen Arbeitsfläche. Darauf ist, normalerweise mittig, ein Mischpult mit zahlreichen Drehknöpfen und Schiebereglern ("faders") angeordnet, mittels derer beim Mischen das Klangbild und die Lautstärke zweier Musikstücke ("tracks") angeglichen bzw. abgestimmt, das heißt klanglich gefiltert, werden kann. Links und rechts vom Mischpult befindet sich normalerweise jeweils (mindestens) ein Plattenspieler mit einem "Pitchregler" (oder "pitcher") zum Beschleunigen und Verlangsamen der Laufgeschwindigkeit der jeweiligen Platte.
Zur Grundausstattung des Arbeitsplatzes (Mischer und zwei Plattenspieler) gehören außerdem ein bis zwei zum DJ hin ausgerichtete Lautsprecher (Monitorboxen). Während der DJ über seinen an die Mischkonsole angeschlossenen Kopfhörer eine Platte vorhören kann, schallt ihm aus den möglichst kopfnah` installierten Monitoren - ohne Zeitverzögerung ("delay") - die Musik der anderen Platte entgegen, die auch auf der Tanzfläche zu hören ist. Diese Doppelbeschallung ist für ein beatsynchrones Einmischen ("Eintunen") der Platten unerlässlich, weshalb der DJ den Kopfhörer eher selten bzw. jeweils nur für kurze Zeit über beiden Ohren trägt.
Die Wünsche des DJs, die technischen Geräte und ihre Anordnung auf dem DJ-Pult bereffend, sind in einem "technical rider" aufgeführt, den der Partyveranstalter vom DJ bzw. von dessen Agenten ("booker") erhält, wenn er einen DJ engagiert. Die Einhaltung dieser Anweisungen wird dem DJ, zusätzlich zu anderen Leistungen (Anfahrt bzw. Transport, Unterbringung, Versorgung usw. des DJs betreffend), in der Regel vertraglich zugesichert, was ihm bei offensichtlicher Nichterfüllung auch ohne Verdienstausfall den Rücktritt vom Engagement ermöglicht.
Sieht man von relativ neuen, quasi-sakralen Star-Inszenierungen 3 ab, dann fällt auf, dass der DJ sich so gut wie nie allein auf der Bühne aufhält, sondern typischerweise von einer mehr oder weniger großen Anzahl von Personen umgeben ist. Dabei handelt es sich zum einen um ablauftechnisch funktionale Personen am Pult (Stage-Manager, Ton-Techniker, Licht-Techniker, Reparaturdienstleistende, logistisches Personal), zum anderen um ablauftechnisch nicht-funktionale Personen ("Freunde", Freunde von "Freunden", andere DJs, Freunde anderer DJs; Leute, die niemand kennt, die aber nicht weiter stören; Personen, die einfach unbedingt einmal auf die Bühne wollen usw.), und schließlich um ablauftechnisch dysfunktionale Personen am Pult (motorisch unkontrollierte Personen, aggressive Personen, belästigende Personen - kurz und mit den Worten von DJ Hardy Hard - bürgerlich Kay Lippert -: "Nerver und Frager").
Hinter bzw. neben dem DJ-Pult findet sich eine mitunter erhöhte Ablage bzw. Stellfläche für Plattenkoffer. Oft stehen die Plattenkoffer aber auch auf dem Boden neben oder hinter dem DJ. Um das DJ-Pult herum verlaufen Kabel, stehen sonstige technische Geräte, Spots, Plattenkoffer anderer DJs, die vor ihm oder nach ihm an der Reihe waren bzw. sind, Getränke (eventuell in einer Kühlbox oder in Kartons oder Kisten), liegen Kleidungsstücke und Mäntel, seine eigenen und die aller möglichen Freunde. Außerdem sammelt sich im Laufe der Party zusehends Müll an: Getränkeflaschen, -dosen, -becher, Flyer, Zigarettenkippen, -schachteln und -asche, verschüttete Flüssigkeiten, usw.
Darüber hinaus ist der Arbeitsplatz des DJs in der Partysituation strukturell durch eine andauernd (sehr) hohe Lautstärke, durch mäßige bis schlechte Beleuchtung, durch eine eher minder gute Belüftung, durch begrenzten Raum bzw. Enge und durch aufbautechnische und gerätetechnische Instabilitäten geprägt. Je nach Höhe der Arbeits- und der vorgesehenen Stellfläche für die Plattenkoffer wird dem DJ nicht selten eine ständig gebückte Haltung abverlangt, die sich über die Dauer des Sets als körperlich ausgesprochen strapaziös erweisen und chronische Rückenerkrankungen zu Folge haben kann.
Bei unserer Strukturbeschreibung dessen, was ein DJ an einem solchen Arbeitsplatz tut, folgen wir nun mehr oder weniger chronologisch dem Ablauf eines DJ-Sets, das genau genommen bereits mit den Vorbereitungen des DJs im Vorfeld seines Engagements beginnt:
Vorbereitungen: Beim Partyveranstalter oder bei anderen mit den jeweiligen Umständen besser vertrauten Personen (zum Beispiel seinem Manager bzw. Booker oder auch dem jeweiligen Stage-Manager) informiert sich der DJ über die Art und den Ort ("location") der Veranstaltung, über deren (musikalischen) Ruf`, die anderen für die Veranstaltung gebuchten DJs ("line-up"), die Uhrzeit bzw. den relativen Zeitpunkt seines Auftritts (relativ zum Beginn und zum Ende der Party), über die zu erwartenden Gäste usw. Auf die durch diese Informationen antizipierte Partysituation hin stellt er (in groben Zügen`) das ihm hierfür geeignet erscheinende Sortiment in seinem Plattenkoffer zusammen. Damit der DJ während des Sets jede Platte auf einen Blick und in Sekundenschnelle identifizieren kann, muss sie möglichst in ihrer ursprünglichen bzw. in einer für ihn markanten Schutzhülle (wieder-)verpackt sein.
Der derart aufgeräumte und sortierte Plattenkoffer muss entweder vom DJ selber oder durch Helfer ("hands") zum Veranstaltungsort und - eventuell über eine Zwischenlagerung im Produktionsbereich - zur Bühne, also möglichst nahe ans DJ-Pult transportiert werden. 4 Während noch ein anderer DJ auflegt, begibt sich der DJ, den wir jetzt sozusagen begleiten, in die Nähe der Turntables. In der verbleibenden Zeit bis zu seinem Set unterhält er sich vor allem mit Freunden, die ihn begleitet oder an der Bühne bereits erwartet haben. Er bespricht sich aber auch mit dem DJ, der noch auflegt, mit dem Stage-Manager, der ihn - zumindest dann, wenn er nicht ortskundig ist - zur Bühne geführt hat, und mit den Technikern (vor allem mit den gerätekundigen "locals").
Sein Set bereitet der DJ vor, indem er den oder die mitgebrachten Plattenkoffer für sich möglichst gut erreichbar hinter dem Pult platziert, den oder die Koffer öffnet, die Platten rasch durchblättert, einige Platten herauszieht und auf Eck` stellt, mitunter die eine oder andere Platte umsortiert und seinen Kopfhörer bereitlegt. (Jeder DJ hat einen eigenen Kopfhörer dabei, und wenn dieser nicht funktioniert, führt dies in der Regel zu mehr oder weniger panikartigen Reaktionen.)
Übergabe/Übernahme: Die Übergabe des Sets wird in der Regel dadurch eingeleitet, dass der DJ, der abgibt`, dem übernehmenden` mittels Verständigungszeichen oder auch verbal zu verstehen gibt, dass er seine letzte Platte aufgelegt hat, und dabei zumeist den Stöpsel seines Kopfhörers aus der Buchse am Pult zieht. Der übernehmende` DJ stöpselt seinen Kopfhörer ein, legt eine Platte aus seinem Sortiment auf den freien bzw. leeren Plattenspieler und hört über Kopfhörer in diese erste Platte hinein, während auf der Tanzfläche die letzte Platte des abgebenden DJs zu hören ist. Nicht selten tauscht der übernehmende` DJ seine zuerst ausgesuchte Platte wieder gegen eine andere aus und wartet dann, nebenher mit dem anderen DJ oder anderen Menschen auf der Bühne kommunizierend und interagierend oder auch die Tanzenden beobachtend, bis er an der Reihe ist.
Der eigentliche Moment der Übergabe wird zwischen den beiden DJs in der Regel nonverbal vereinbart. Wir haben immer wieder folgendes symptomatische Übergabe- bzw. Übernahme-Verhalten beobachtet:
a) der (für die Tanzenden) unmerkliche Übergang: Dieser wird dadurch bewerkstelligt, dass der übernehmende DJ die erste Platte seines Sets auswählt und so in die laufende Platte einmischt`, dass sie in Tempo und Klangbild mit der letzten Platte des abgebenden` DJs möglichst deckungsgleich ist, so dass die Tanzenden idealerweise nicht sogleich bemerken, dass nun ein anderer DJ die Musik zur Party macht. In diesem Fall führt der übernehmende` DJ die Raver ganz allmählich (das heißt über mehrere Platten hinweg) in die Stimmung hinein, die er mit seinem Set erzeugen will;
b) der "break" durch den abgebenden` DJ: Dieser erfolgt meist dadurch, dass der abgebende` DJ entweder eine letzte Platte mit einem markanten Ende auswählt, oder dass er die Platte unvermittelt bzw. abrupt herunterfährt`;
c) der "crash" durch den übernehmenden` DJ: Dieser wird in der Regel dadurch erreicht, dass der übernehmende` DJ sein Set mit einem kakophonischen Intro eröffnet, also mit unharmonischen, unrhythmischen Geräuschen, die das Tanzen vollständig zum Erliegen bringen, um dann die Stimmung auf der Party gleichsam ganz neu aufzubauen. Wenn die Party schon sehr lange, eventuell ein paar Tage dauert, und es infolgedessen schwierig ist, noch eigene Akzente zu setzen, kann die Strategie des DJs durchaus darin bestehen, sein Publikum mit dem von ihm gewählten Intro hinzuhalten`. Hierfür zögert er das Einsetzen der "bass drum" für eine Weile - und durchaus nicht zur ungeteilten Freude der Tanzenden - hinaus, um dadurch einen besonders markanten Einstieg zu bekommen.
Auflegen: Die Kunstfertigkeit des Techno-DJs erweist sich wesentlich darin - zwar auf eine Gesamtidee zu seinem Set hin, zugleich aber hochgradig situations- bzw. partystimmungsflexibel -, zunächst einmal die richtigen` Platten auszusuchen (das heißt meist die gesamte mitgebrachte Auswahl - wie den Zettelkasten einer Bücherei - immer wieder durchzublättern, eine Platte bzw. einen darauf enthaltenen Track vor-zuhören, und die Platte dann anzuspielen oder eventuell gegen eine andere auszutauschen); dann darin, mit den Platten zu arbeiten (das heißt zu mixen, zu scratchen usw.), vor allem aber: Tracks virtuos aneinanderzureihen (das heißt nicht nur keine Lücken oder gar Pausen zwischen den verschiedenen Sound-Sequenzen entstehen, sondern diese ohne die Tanzenden bzw. die Zuhörer irritierende Brüche ineinander übergehen zu lassen). Dazu ist es in der Regel erforderlich, die Tempi der beiden aufeinanderfolgenden Stücke anzugleichen und unter Einsatz diverser Filtertechniken (Halleffekte, Echoeffekte, Ausfiltern usw.) ihr Klangbild aufeinander abzustimmen.
Dem Musikwissenschaftler Ansgar Jerrentrup zufolge haben Techno-DJs eigene Techniken zum Einmischen entwickelt: erstens das "kontinuierliche Crossfading", das heißt das unmerkliche Ineinanderverweben bzw. Überlagern zweier Stücke; zweitens das "sanfte Fading", d.h. das unmerkliche Ablösen durch sanftes Ausregeln der einen und Einregeln der anderen Platte, und drittens das "ruckartig einsetzende Crossfading", d.h. durch schnelles Herausziehen der einen und schnelles Hineinziehen der anderen Platte harte Schnitte und Einschübe zu erzeugen.
Der DJ in Interaktion: Wie bereits erwähnt, hört der DJ über Kopfhörer immer schon auch in die Platte hinein, die auf die aktuell laufende folgen soll: Je nach Beanspruchung bzw. Konzentration hört er dabei fast beiläufig in eine, lediglich auf seiner Schulter liegende Ohrmuschel seiner Kopfhörer, er setzt die Kopfhörer halb auf, so dass ein Ohr von einer Ohrmuschel bedeckt ist, oder er zieht - eher selten - die Kopfhörer über beide Ohren. Die Platzierung der Kopfhörer signalisiert auch hinlänglich verlässlich Personen, die den DJ relativ gut kennen, ob er angesprochen oder anderweitig behelligt werden darf oder nicht, denn prinzipiell ist die Kommunikation bzw. Interaktion von auf der Bühne befindlichen Personen mit dem DJ während seinem Set eine diffizile Angelegenheit: Oberste Priorität für alles, was auf der Bühne geschieht, ist, dass der DJ "eine gute Party macht", was in der Regel eben einige Konzentration erfordert. Deshalb erbringen, auf verbale oder gestische Anforderung des DJs hin, verschiedene Personen (teils Freunde, teils Staff-Mitglieder) immer wieder diverse Dienstleistungen (etwa Getränke holen und reichen, Zigaretten geben und anzünden, usw.).
Nicht selten werden dem DJ auch von Tanzenden Getränke und vor allem Zigaretten (und mitunter auch ein Joint) zum Pult gereicht. Von den Tanzenden aus werden aber auch (direkt oder indirekt über am Pult stehende Freunde) Wünsche an den DJ gerichtet (Autogramme, ein gemeinsames Foto, im schlimmsten Fall auch Plattenwünsche).
Intensität und Qualität der Freundschaft prägen bzw. bestimmen zum einen, inwieweit und in welcher Form (vom Blickkontakt suchen, über Ansprechen bis zum Berühren bzw. "Antatschen") um den Pult herum lagernde Freunde auch ohne entsprechende Aufforderung durch den DJ mit ihm kommunizieren bzw. interagieren dürfen bzw. können und zum anderen, inwieweit sie vom DJ selber oder von dessen Freunden daran gehindert werden, ihn zu behelligen. Jederzeit dazu berechtigt, mit dem DJ zu kommunizieren, ist der Stage-Manager und sind in der Regel auch Techniker, die ablaufrelevante Dinge zu erledigen haben.
Je nach Charakter und Tagesform des DJs zeigt sich dieser in der Interaktion mit den Tanzenden eher extrovertiert oder eher introvertiert, eher priesterlich oder eher kumpelhaft, auf die gesamte "party crowd" oder auf einzelne Tanzende hin orientiert, kommuniziert er eher non-verbal (indem er etwa "hands ups" provoziert) oder verbal (indem er beispielsweise die Lautstärke zurückfährt und das Publikum durch lautes Zurufen ermuntert, anheizt, lobt oder auch beschimpft). In der Regel versucht er allerdings - abhängig davon, ob sich die Gesamt-Party im Auftakt-Stadium, in der Hoch-Zeit oder in einer fortgeschrittenen oder gar in der finalen Stunde befindet und welche Akzente ("warming up", "peak experiences" evozieren oder "cooling down") er in bzw. mit seinem Set setzen möchte -, die Stimmung auf der Tanzfläche über die Musikauswahl und Soundmischung zu beeinflussen.
Die Dauer des Sets ist vor dem Auftritt zwischen DJ und Veranstalter genau vereinbart und verbindlich festgelegt worden: in der Regel auf ein bis zwei Stunden, in Einzelfällen aber auch auf bis zu zwölf Stunden. Das nahende Ende seines Sets wird dem DJ nicht nur vom Stage-Manager direkt, sondern indirekt auch dadurch angezeigt, dass der nächste DJ die Bühne betritt und sich mehr oder weniger auffällig neben den Turntables postiert. Nun kann der abgebende` DJ zwischen verschiedenen Abgangs-Varianten wählen: Entweder beendet er sein Set mit einer Art Crescendo, versucht den Stimmungshöhepunkt also genau ans Ende seines Auftritts zu setzen, oder er bringt die Tanzenden wie von einer Art Flugreise sozusagen wieder sanft herunter`; in einem anderen Fall animiert er die Tanzenden dazu, ihn zu feiern, oder er präsentiert den Tanzenden (gestisch) den nach ihm auflegenden DJ, oder aber er übergibt das Set nachgerade unmerklich.
Nach der Übergabe, also nach der Beendigung seines Sets, beginnt der DJ, seine(n) Plattenkoffer einzuräumen und seine sonstigen Utensilien zusammenzusammeln. Eventuell kommuniziert oder interagiert er mit dem nach ihm auflegenden DJ, soweit sich dieser dadurch nicht (übermäßig) gestört bzw. irritiert zeigt. Vor allem aber wendet er sich typischerweise seinen um das Pult lagernden Freunden zu und erwartet nicht selten - positive - Kommentare zur Qualität seines Auftritts. Über kurz oder lang verlässt er dann - meist in Begleitung seines Freundeskreises (seiner "posse") - die DJ-Bühne.
In der Feststellung, dass Interaktionen keineswegs nur Beiwerk seiner Arbeit sind, begründet sich unsere hier forcierte Konzentration auf das, was der DJ - jenseits aller publikationsnotorischen Euphemisierungen, Mystifizierungen und Mythisierungen - "on stage" unter welchen Bedingungen tatsächlich tut. Denn durch das, was er tut, wenn er seine Arbeit so macht, wie er sie nach den in der Szene geltenden Kriterien machen sollte, unterscheidet sich der Techno-DJ zum Beispiel signifikant von den - auch für Nicht-Hiphopper höchst beeindruckenden - "l'art-pour-l'art"-Virtuositäten, wie sie speziell Hiphop-DJs in ihren bekannten "battles" demonstrieren: Allen Widrigkeiten seiner Arbeitssituation trotzend, ist der kompetente Techno-DJ eben vor allem anderen an der Party, das heißt an der sich selber als Gemeinschaft ertanzenden "raving community" orientiert - genauer: an deren diffusem, kaum kalkulierbarem Kollektiv-Bedarf nach eben der Musik, die in der jeweiligen Situation die Stimmung der Tänzer (paradoxerweise) zugleich aufnimmt, ausdrückt, befördert, transformiert und evoziert: Dieses interagierende Agieren und Agitieren, das gleichsam den Funken überspringen lässt, ist wesentlich dafür, dass aus jemandem, der auf einer Party eben Platten abspielt, ein Hingucker wird (wie er insbesondere von Rainald Goetz immer wieder facettenreich authentifiziert 5 und wie er auch in dem Film "Berlin Calling" von Hannes Stöhr inszeniert wird 6).
Der kompetente Techno-DJ legt zwar tatsächlich vor allem Platten auf die Plattenteller. So gesehen ist er ein (vorzugsweise nachts tätiger) Handwerker. Er legt diese Platten aber so auf, dass sie eine sichere Grundlage, einen festen Boden bilden für das, wozu Raver sich gemeinhin versammeln: für den hordenförmigen Individual-Tanz in einem wesentlich durch die Musik, durch eine von ihnen als die ihre begriffene Musik entstehenden, ver-rückten Zeit-Raum. Dies zu vermögen, also eben nicht nur Musik zu mischen, sondern, wie DJ Westbam betont, "Musik mit Leuten" zu mischen, das macht den Techno-DJ dann eben auch zum Künstler - und zur Kultfigur (in) seiner Szene.
1 Ulf Poschardt,
DJ-Culture, Hamburg 1995.
2 Diese Beschreibung der
Arbeitssituation des Techno-DJs ist ein Mosaiksteinchen` in der
Darstellung unserer langjährigen ethnografischen Erkundungen
der Techno-Party-Szene. Mit einem dabei allmählich erworbenen
Vertrauensvorschuss` haben wir DJs durch die Nacht bzw. durch viele
Nächte (und auch Tage) begleitet und sie bei ihrer Arbeit an
unterschiedlichen Orten - auf Großveranstaltungen ebenso wie
bei vielerlei mittelgroßen und kleinen Clubveranstaltungen -
(teilnehmend) beobachtet. Diese Beobachtungen (die natürlich
oft auch Besprechungen` waren) haben wir ergänzt durch einige
Hintergrundgespräche mit DJs, mit Techno-Event-Veranstaltern
sowie mit Stage-Managern und Künstler-Betreuern.
3 Die Inszenierung, die zum Beispiel um
den niederländischen DJ Tiesto betrieben wird, sieht vor, dass
dieser sich inmitten einer Menge von oft mehreren tausend
Tänzern völlig allein auf einer erhöhten,
kreisrunden Bühne aufhält und dort von den Raver-Massen
um ihn herum bejubelt wird.
4 Als Faustregel benennen DJs den
Zeitraum von einer Stunde, die sie vor Beginn ihres Sets am
Veranstaltungsort eintreffen sollten, um die Atmosphäre der
Veranstaltung aufnehmen und sich hinsichtlich der Soundanlage bzw.
der Gestaltung ihres Sets darauf einstellen zu können - wobei
dies keineswegs implizieren muss, die wahrgenommene Stimmung
musikstilistisch fortführen zu wollen oder zu müssen.
Ganz im Gegenteil kann der (Selbst-)Anspruch auch gerade darin
bestehen, die Veranstaltung durch den je eigenen Stil
umzuprägen.
5 Vgl. Rainald Goetz, Rave, Frankfurt/M.
1998; Dekonspiratione, Frankfurt/M. 2000; Westbam/Rainald Goetz,
Mix, Cuts & Scratches, Berlin 1997 sowie zahlreiche Artikel und
Interviews.
6 Im Film "Berlin Calling" des in Berlin
lebenden Regisseurs Hannes Stöhr wird die Rolle des DJ
Ickarus, der von Auftritt zu Auftritt durch die Clubs der Welt
tourt, bis er eines Nachts im Drogenrausch in eine Nervenklinik
eingeliefert wird, vom international erfolgreichen DJ Paul
Kalkbrenner gespielt.