WIRTSCHAFT
Experten und Politiker rätseln über die richtigen Rezepte gegen die Wirtschaftskrise
Die Rezession hat Deutschland voll im Griff. Die Stimmung bei den deutschen Unternehmen sei auf einem historischen Tiefststand angekommen, berichtet das Münchener Ifo-Institut. So fiel der Geschäftsklima-Index von 85,8 Punkten im Vormonat auf 82,6 Punkte im Dezember, den tiefsten Wert seit Beginn der gesamtdeutschen Messung nach der Wiedervereinigung. In der Nutzfahrzeugindustrie sind mindestens 5.000 Stellen weggebrochen, der Pkw-Absatz sinkt dramatisch und einige Autozulieferer haben schon Insolvenz angemeldet. Die Neuverschuldung des Bundes steigt nach offiziellen Angaben auf 21 Milliarden, nach Schätzung des Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, Otto Fricke (FDP) sogar auf über 30 Milliarden Euro.
Wie der Krise beizukommen ist, darüber haben Regierung und Oppositionsfraktionen ganz unterschiedliche Vorstellungen. Der frühere Wirtschaftsminister (1966 bis 1972), Karl Schiller (SPD), sagte einmal, als das Wachstum nachließ: "Die Pferde müssen wieder saufen." Das sollte bedeuten, dass die Nachfrage gestützt werden muss. Die Bundesregierung hat bereits ein Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht. Besonders die Wiedereinführung der degressiven Abschreibung ab 2009 soll die Wirtschaft anregen. Noch sind nicht einmal alle Maßnahmen des ersten Pakets in Kraft getreten, da kündigt Kanzlerin Angela Merkel ein zweites Konjunkturprogramm mit Schwerpunkt Westdeutschland an. Dabei soll es um Infrastrukturmaßnahmen wie Straßenbau, Ausbau der Breitbandkommunikationsanlagen, und die Sanierung von Schulgebäuden gehen. Konsumgutscheine, wie sie von Teilen der Opposition gefordert werden, lehnt Merkel ab. Der CSU gehen die Pläne der Kanzlerin nicht weit genug: "Ein weiteres Konjunkturpaket zur Stabilisierung der Wirtschaft muss erhebliche Steuerentlastungen enthalten", fordert Landesgruppenchef Peter Ramsauer.
Auch die Oppositionsfraktionen haben Pläne zur Ankurbelung der Wirtschaft im Gepäck. So fordert die Linksfraktion ( 16/10619) ein Konjunkturprogramm mit einem Volumen von 30 Milliarden Euro. In diesem Zusammenhang sollen auch die Hartz IV-Sätze erhöht werden. Der Antrag der Linksfraktion wurde vom Wirtschaftsausschuss des Bundestages am 17. Dezember mit den Stimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt. Für einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ( 16/11023), der unter anderem Milliarden-Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen und eine Umstellung der Kfz-Steuer auf Kohlendioxid-Ausstoß fordert, stimmte neben Bündnis 90/Die Grünen nur die Linksfraktion, während Union, SPD und FDP ablehnten. Auch die FDP-Fraktion hat ein Anti-Rezessionsprogramm ( 16/10867) mit einem Volumen von 26 Milliarden Euro vorgeschlagen, über das aber noch nicht abgestimmt wurde.
Überhaupt sind Prognosen, wie man sich in der Krise verhalten und vor allem wie man sie überwinden kann, schwierig. Der Chef der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), Ulrich Schröder, sagte am 17. Dezember in einer öffentlichen Sitzung des Wirtschaftsausschusses, man habe es mit einer Kombination aus Bankenkrise und Konjunkturkrise zu tun. Diese Krise habe die ganze Welt erfasst, während sich frühere Krisen nur auf Teilmärkte ausgewirkt hätten. "Wir haben alle keine Erfahrungen damit", sagte Schröder. Daher sei es schwierig, Prognosen über die Dauer der Krise abzugeben und geeignete Rezepte gegen die Auswirkungen der Krise zu nennen.
Es gebe einen regelrechten Investorenstreik bei Anleihen mit einer Laufzeit von über drei Jahren, sagte Schröder weiter. Selbst die Deutsche Bank finde keinen Investor mehr, der eine Anleihe über fünf Jahre abnehme. Es gebe andererseits einen enormen Zufluss an kurzfristiger Liquidität, so dass kleine Firmen gut mit Geld versorgt seien. In allen anderen Wirtschaftsbereichen gebe es jedoch überhaupt kein Geld mehr. Schröder sprach von einem "dramatischen Problem".
Beatrice Weder di Mauro von der Gutenberg-Universität Mainz bezeichnete den Rettungsschirm für die deutschen Banken als erfolgreich. Weder di Mauro empfahl, schlechte Elemente aus den Bank-Bilanzen herauszukaufen. Charles Blankart von der Humboldt-Universität Berlin warnte davor, dass der Staat langfristig zum Pflichtversicherer der Banken werden könnte. Das könne der Staat eventuell nicht leisten. Island habe das gezeigt.
Dierk Hirschel vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) forderte ein Ausgabenprogramm in Höhe von 60 Milliarden Euro. Eine kreditfinanzierte Erhöhung der Staatsausgaben sei wirkungsvoller als die Senkung von Steuern. Hirschel sprach sich für Konsumgutscheine, eine Verschrottungsprämie für Altautos und für höhere Sätze bei Hartz IV aus.