Energieversorgung
Ferntrassen sollen ausgebaut werden - Konflikt um Erdkabel
Interessiert verfolgen die Abgeordneten die Kontroverse der Sachverständigen über das Für und Wider von Erdkabeln beim Ausbau von Elektrizitäts-Ferntrassen: Um wie viel teurer ist diese Variante gegenüber Freileitungen, wie steht es um Leistungsfähigkeit und Umweltverträglichkeit? Immerhin scheint bei der Anhörung des Wirtschaftsausschusses am 15. Dezember im Bundestag unstrittig, dass das 36.000 Kilometer lange und Eon, RWE, EnBW sowie Vattenfall gehörende Höchstspannungsnetz zügig erweitert werden muss.
Da setzt Lorenz Jarras einen gewissen Kontrapunkt. Der Wiesbadener Professor zieht zwar nicht den Ausbau der Strom-"Autobahnen" an sich, aber dessen Dimension in Zweifel: Er wirft den Konzernen vor, selbst in Phasen einer Spitzenproduktion von Windelektrizität konventionelle Kraftwerke "weiter voll auslasten" und deren Stromerzeugung komplett ins Leitungssystem einspeisen zu wollen. Die Leistung fossiler Kraftwerke müsse jedoch "wegen des Klimaschutzes reduziert werden".
Der Energiewissenschaftler stützt mit seiner Wortmeldung die in einem Antrag der Linksfraktion ( 16/10842) geäußerte Kritik an manchen Aspekten der von der Regierung mit einem Gesetzentwurf ( 16/10491) vorangetriebenen Ausbaupläne für Ferntrassen: Aus Sicht der Linkspartei darf der Netzanschluss fossiler Großkraftwerke nicht dazu führen, dass infolge eines großen Elektrizitätsangebots die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Quellen zeitweilig gekappt wird. Angesichts limitierter Leitungskapazitäten müssen im Osten und Norden der Republik Windräder immer mal wieder phasenweise abgeschaltet werden.
Union und SPD wollen die Installierung vordringlicher "Autobahn"-Projekte beschleunigen: Der Anteil regenerativer Energien an der Stromherstellung solle ausgeweitet werden, heißt es im Regierungsentwurf. Der internationale Elektrizitätshandel nehme zu, neue konventionelle Kraftwerke würden errichtet. Die Ausschussvorsitzende Edelgard Bulmahn (SPD) hebt vor allem hervor, dass die Ziele bei klimaverträglichen Energien nur durch "Ausbau und Modernisierung der Höchstspannungsleitungen verwirklicht werden können".
Eine zentrale Rolle spielen die für die Zukunft in der Nordsee erhofften Rotoren, deren Kilowattstunden über weite Strecken transportiert werden müssen. Neben dieser Offshore-Windenergie führt Andreas Troge, Präsident des Bundesumweltbundesamts, auch das "starke Verbrauchsgefälle" als Grund für eine rasche Erweiterung der Ferntrassen ins Feld: Im Süden mit großer Bevölkerungsdichte "werden perspektivisch Kraftwerke ab- und im dünner besiedelten Norden aufgebaut". Albrecht Tiedemann von der Deutschen Energie-Agentur mahnt, die Stärkung erneuerbarer Energien könne gefährdet werden, wenn etwa die neue Fernverbindung Halle-Schweinfurt nicht rechtzeitig fertig gestellt werde, gegen die Bürgerinitiativen und Kommunalpolitiker protestieren.
Umweltamt-Chef Troge gehörte nicht zu den Experten beim Hearing, doch er kann sich durch die Debatte unterstützt sehen. In der "Energieszene" wird eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren jedenfalls weithin befürwortet. Die Regierung will Rechtsstreitigkeiten im Falle vordringlicher Vorhaben bei Höchstspannungstrassen auf eine Instanz beim Bundesverwaltungsgericht verkürzen. Wie Eberhard Meller vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft plädiert Carsten Rolle vom Bundesverband der Industrie dafür, neben Planfeststellungsverfahren auch das Raumordnungsrecht zu vereinfachen. Als Präsident der Bundesnetzagentur unterstreicht Matthias Kurth, dass es bei Investitionen häufig nicht am Geldmangel, sondern an langen Genehmigungsprozeduren hapere.
Hochspannungsmasten in der Natur rufen indes vielerorts Widerstand hervor. Könnten "unsichtbare" Erdkabel ein Ausweg sein? Diese Technik ist freilich stark umstritten. Die Regierung will vier Pilotprojekte erlauben, eines davon am Rennsteig im Thüringer Wald, Mehraufwendungen der Kabel-Variante können auf Netzentgelte und Verbraucherpreise umgelegt werden. Gegen höhere Elektrizitätskosten wegen einer Trassen-Teilverkabelung wehren sich freilich die Wirtschaft und besonders die stromintensiven Sektoren wie die Aluminiumbranche. Wilfried Köplin vom Verband Industrieller Energie- und Kraftwirtschaft warnt vor Wettbewerbsverzerrungen. Rolle fordert, es dürfe keinen "großflächigen Einstieg in diese Technologie" geben.
Matthias Kirchner von Europacable räumt ein, dass die Herstellungsaufwendungen bei dieser Technik höher seien als bei Freileitungen. Doch zeichneten sich "Optimierungen" ab. Auch werde die Erdverkabelung wegen größerer öffentlicher Zustimmung den Netzausbau beschleunigen. Überdies ließen sich nach einer Kabelverlegung die jeweiligen Flächen weitgehend rekultivieren. Wolfgang Neldner von Vattenfall meint hingegen, die Kabel-Alternative bringe tiefe Eingriffe ins Ökosystem mit sich. Diese Technik habe zudem eine geringere Leistungsfähigkeit und eine wesentlich kürzere Lebensdauer als konventionelle Netze.
Skeptisch gegenüber einer massiven Erweiterung der Höchstspannungstrassen zeigt sich der Bundesverband WindEnergie. Ralf Bischof meint, regenerativ erzeugter Strom werde zu fast 90 Prozent in regionale Verteilnetze eingespeist. Ähnlich wie ein Antrag der Grünen-Fraktion ( 16/10590) plädiert er deshalb für Investitionen in Leitungssysteme mit niedrigerer Spannung, was problemlos mit Erdkabeln zu machen sei: Nur so könne man das angestrebte Plus bei der Windelektrizität aufnehmen. Die Installierung von Offshore-Rotoren werde noch dauern.