Auslandseinsätze
Eine harsche Kritik an der deutschen Sicherheitspolitik
Mit den zunehmenden Anschlägen auf deutsche Soldaten in Afghanistan wachsen die Zweifel am Sinn der Auslandseinsätze, weil fast alle seit 1993 - von Somalia bis zum Kongo - entweder zu spät oder erst auf Drängen anderer zustande kamen. In der Regel waren sie auch zu teuer und im Ergebnis fast immer nutzlos. Zu oft fielen nach Abzug der Soldaten die betroffenen Länder wieder zurück ins Chaos. Klaus Naumann vom renommierten Hamburger Institut für Sozialforschung - nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen General a.D. - belegt eindrucksvoll seine These von der Sinn- und Ziellosigkeit der deutschen Auslandseinsätze.
Vor allem am Fall Afghanistan schildert Naumann die Versäumnisse der politischen Führung. Mangel an Verantwortung führe folglich zu einem Zusammenbruch des Primats der Politik gegenüber den Militärs. Stattdessen kollidierten heute die Ansprüche der politischen Führung mit den Vorstellungen der militärischen Spitzen. Naumann beklagt das grundlegende Desinteresse der politischen Klasse in Berlin an außenpolitischen Fragen. Sicherheitspolitisches Engagement, das ist sein niederschmetternder Befund, erscheint der Karriere der Parlamentarier geradezu abträglich. Dieser Trend zur Provinzialisierung verhindere die Entfaltung einer ansprechenden außen- und sicherheitspolitischen Kultur. Wie könne man da noch erwarten, dass in Berlin das Problem der Auslandseinsätze systematisch durchdacht werde, dass also Deutschlands Führung couragiert eigene Interessen und Strategien entwerfe und diese selbstbewusst dem Parlament und der Öffentlichkeit zur Diskussion vorstelle?
Das ineffektive Nebeneinander von politischer Führung, militärischen Spitzen, diversen Führungsstäben, ziviler Wehrverwaltung und der Truppe vor Ort ist das zentrale Thema von Naumanns Buch. Bürokratische Hemmnisse führten zu undurch- sichtigen Entscheidungsprozessen, die entweder zu langwierig oder zu improvisiert, aber selten erfolgversprechend seien.
Das Vertrauen der Öffentlichkeit und nicht zuletzt der Respekt der Verbündeten bleibt dabei vielerorts auf der Strecke, obwohl die Soldaten vor Ort ihr Bestes geben. Das ist die bittere Bilanz, die Naumann in seinem bemerkenswerten Buch über die Auslandseinsätze zieht. Nicht nur seien politische und militärische Führung aufgerufen, die organisatorischen Mängel abzustellen. Darüber hinaus müsse die gesellschaftspolitische Balance zwischen Politik, Militär und Bürgergesellschaft neu justiert werden. Diese Kritikansätze sind bedenkenswert und machen Naumanns Buch zu einer analytisch scharfsichtigen Bestandsaufnahme.
Doch bleibt Naumann dem Leser die Einordnung der Auslandseinsätze in das Gesamtspektrum der deutschen Sicherheitspolitik schuldig. Welchem sicherheitspolitischem Kalkül sind sie zuzuordnen? Welche Kriterien, welche Bedingungen müssen vor einer Entsendung erfüllt sein? In welchem Verhältnis stehen Bündnisloyalität und nationale Interessen? Wo und unter welchen Bedingungen sollte sich Deutschland bereit erklären, bei multilateralen Auslandseinsätzen Führungsfunktion zu übernehmen? Diese Aspekte verdienen eine eingehendere Erörterung als hier vorgelegt. Der Gemeinschaftsbezug der Auslandseinsätze und die Erörterung der Probleme, die sich aus der Zusammenarbeit im Rahmen von Nato, Uno und EU ergeben, wird nicht erkennbar. Erst im Vergleich und im Kontext mit den Bündnispartnern würde das gesamte Spektrum außen- und sicherheitspolitischer Überlegungen, die über das Bürokratisch- technische und über die innenpolitische Befindlichkeit hinausweisen, deutlich.
Weil Naumann die klassischen Fragen über Krieg und Frieden mit all ihren Konsequenzen für die Auslandseinsätze ausspart, bleibt die notwendige Anatomie der Sicherheitspolitik Deutschlands, die in diesem Zusammenhang zwingend gewesen wäre, unsichtbar.
Einsatz ohne Ziel? Die Politikbedürf-tigkeit des Militä-rischen.
Hamburger Edition, Hamburg 2008; 138 S., 12 ¤