AUSSENPOLITIK
Eine detaillierte Studie über die rot-grünen Regierungsjahre
Viel Zeit zum Einarbeiten blieb der rot-grünen Regierung nach ihrer Wahl 1998 nicht. Noch bevor Gerhard Schröder und Joschka Fischer als Kanzler beziehungsweise Außenminister vereidigt wurden, reisten sie zu einem Treffen mit dem damaligen US-Präsidenten Bill Clinton nach Washington. Auf der außenpolitischen Agenda drängte besonders ein Thema: Der ethnische Konflikt im Kosovo, der seit dem Sommer 1998 nicht mehr nur unter der Oberfläche schwelte. Seit dem Frühjahr kämpfte die albanische UCK, die die Unabhängigkeit des Kosovo forderte, gegen jugoslawische Regierungstruppen.
An dieser Stelle beginnt Sebastian Sedlmayr die Chronologie der Außen- und Sicherheitspolitik der rot-grünen Bundesregierung. Im Mittelpunkt seiner Analyse steht die Frage, wie sich die aktive Außenpolitik unter der rot-grünen Regierung zwischen 1998 und 2005 verändert hat, welche neuen Konzepte es gab, wie sie umgesetzt wurden, "zu welchem Zweck dies geschah und ob damit den Herausforderungen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik erfolgreich begegnet wurde".
Sedlmayr, der heute als Unicef-Referent für Kinderrechte arbeitet, liefert in seiner Dissertation zunächst seine Definition von "aktiver Außenpolitik" als "planvolle Ordnungspolitik, die auf das politisch-institutionelle System und/oder das öffentliche Handeln in einem anderen Staat oder einer Region gerichtet und mit einem Führungsanspruch verbunden ist". Was mit dieser Definition von "aktiv" nicht unbedingt gemeint ist: die Umsetzung der planvollen Ordnungspolitik. Hier wären zwei zusätzliche Sätze gut gewesen, um Sedlmayrs Verständnis von "aktiv" eindeutig und den Text dadurch von Anfang an verständlicher zu machen. Am Beispiel des "erweiterten Sicherheitsbegriffs", der für Sedlmayr ein Merkmal der rot-grünen Außen- und Sicherheitspolitik ist, auch wenn er "keine rot-grüne Erfindung ist", wird dies deutlich.
Der erweiterte Sicherheitsbegriff umfasst nach Sedlmayr drei Dimensionen: Zum einen die Veränderung der Bedrohungen. Sie seien nicht mehr "rein militärischer Gestalt und nicht mehr allein von staatlichen Akteuren gesteuert". Zu den Bedrohungen zählen damit auch Hunger, Naturkatastrophen, terroristische Anschläge. Als zweite Dimension nennt der Autor die sicherheitspolitische Analyse dieser Bedrohungen inklusive der zivilen Ursachen wie zum Beispiel Armut. Zivile Prävention, wie etwa die Friedenssicherung durch zivile Kräfte vor Ort erweitert den Katalog möglicher Abwehrmaßnahmen und ist die dritte Dimension. Vor diesem Hintergrund, dass vor allem die zivile Krisenprävention erweitert werden sollte, seien auch die Aufnahme des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in den Bundessicherheitsrat zu sehen sowie die Einrichtung des Zivilen Friedensdienstes durch das BMZ. Sedlmayr schreibt dazu: "Unter Schröder und Fischer ist die zivile Krisenprävention (...) zum top issue auf der sicherheitspolitischen Agenda aufgestiegen." Gleichzeitig weist der Autor darauf hin, dass sich am Ende der Regierungszeit von rot-grün nach wie vor "ein krasses Ungleichgewicht von zivilen und militärischen Fähigkeiten feststellen" lasse. Die Umsetzung des Konzepts ist damit nicht gelungen. Dies sei den politischen Rahmenbedingungen, etwa dem 11. September 2001, geschuldet, die oft nur noch ein Reagieren als einzige Handlungsoption wie im Fall des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan zugelassen hätten.
Aufschlussreich ist auch die Darstellung der drei maßgeblich beteiligten Ministerien für Auswärtiges, Verteidigung und wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die Überschneidung der Zuständigkeiten und das daraus resultierende "Gerangel" um Kompetenzen.
Allein die definitorische Unklarheit stört beim Lesen einer ansonsten detaillierten und klar strukturierten Zusammenfassung rot-grüner Außenpolitik.
Die aktive Außen- und Sicherheitspolitik der rot-grünen Bundesregierung 1998-2005.
VS Verlag, Wiesbaden 2008; 240 S., 29,90 ¤