Die Gleichstellung von Mann und Frau ist zu einem Prüfstein für die Akzeptanz des Islam in den westlichen Gesellschaften geworden. Viele sind davon überzeugt, dass Islam und Emanzipation per se nicht vereinbar seien. Ihr Urteil scheint von vornherein fest zu stehen. Welche Funktion - so ist vor diesem Hintergrund zu fragen - haben Diskussionen über die Emanzipation "der" muslimischen Frau überhaupt, wenn sie nicht der Aufklärung und gegenseitigen Verständigung dienen? Warum gibt es trotz vielfach vorgefasster Meinungen ein so anhaltendes Interesse daran? Warum weckt das Thema so starke Emotionen?
Im Folgenden sollen anhand zentraler Kontroversen wie der zu Gleichheit und Differenz im Geschlechterverhältnis und auch der zu Freiheit und Unterdrückung einige Widersprüche und Ambivalenzen aufgezeigt werden. Anschließend werden unterschiedliche Positionen der Muslime dargestellt, und schließlich wird gefragt, welche Funktion dieser Diskurs für die Mehrheitsgesellschaft haben kann.
Das islamische Kopftuch provoziert viele Menschen allein schon deshalb, weil es ohne Umschweife die Verschiedenheit der Geschlechter markiert. Damit wird ihre Ungleichheit festgeschrieben - das jedenfalls muss man aus den Erfahrungen schließen, die man in weiten Bereichen unserer Gesellschaft macht: Je stärker diese in typisch weibliche und typisch männliche unterteilt werden, desto mehr haben die Frauen das Nachsehen; sei es, dass sie im Beruf schlechter bezahlt werden, sei es, dass ihnen im Privatbereich die Hauptlast der Haus- Erziehungs- und Pflegearbeit überantwortet wird. Es scheint also, dass sie ihre Gleichstellung nur dann durchsetzen können, wenn sie auch die Differenzen zwischen den Geschlechtern überwinden.
Das heißt jedoch wiederum nicht, dass die Aufhebung der Geschlechterdifferenz in den westlichen Gesellschaften einvernehmlich zum Programm erhoben worden wäre. Vielmehr wird nicht selten von einer unterschiedlichen Wesenheit von Mann und Frau ausgegangen, die es - etwa nach Auffassung von Konservativen und Christen - auch zu bewahren gilt. Selbst in feministischen Kreisen gibt es Strömungen, die von grundsätzlichen Unterschieden zwischen Frauen und Männern ausgehen, ohne jedoch dabei das Ziel der Gleichstellung der Geschlechter aufzugeben. Auch wenn die Mehrzahl der Feministinnen einer solchen Position wohl eher skeptisch gegenübersteht, führt das heute kaum mehr zu Diskussionen und politischen Auseinandersetzungen. Demgegenüber löst das muslimische Modell der Geschlechterdifferenz heftige Debatten aus und wird nahezu einhellig verurteilt.
Eine solche Verurteilung erzeugt Einigkeit - über alle unausgesprochenen Differenzen und eigenen Ambivalenzen hinweg. Man erspart sich selbstkritische Reflexionen und komplizierte Diskussionen und setzt sich in der Regel auch nicht mit den verschiedenen muslimischen Positionen auseinander. Vielmehr wird das eigene konservative Geschlechtermodell einfach darauf projiziert. So verbinden die meisten Menschen mit dem muslimischen Konzept ein traditionelles Geschlechterverhältnis westlichen Zuschnitts, indem sie davon ausgehen, dass sich unter dem Kopftuch eine rechtlose Hausfrau oder eine katholische Bäuerin ohne Schulbildung verberge.
Tatsächlich aber sind Muslima in Deutschland, die sich für ein Kopftuch entscheiden, in der Mehrzahl junge selbstbewusste Frauen. Das hat eine Untersuchung der Konrad Adenauer Stiftung gezeigt. 1 Diesen Frauen ist die eigene Berufstätigkeit sehr wichtig, und sie streben für sich gleichberechtigte Modelle der Partnerschaft an. Sie gleichen hierin in hohem Maße den emanzipierten Frauen der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Ein Rückschluss vom Kopftuch auf die Unterdrückung von Frauen ist also nicht zulässig, zumindest dann nicht, wenn man Berufstätigkeit und Bildungsinteresse als Maßstab nimmt.
Das gilt nicht nur für westliche Gesellschaften. Auch in Iran, wo den Frauen das Kopftuch von einem totalitären Regime aufgezwungen wird, ist seit der Revolution 1978 der Anteil der berufstätigen Frauen und Studentinnen erheblich angestiegen. Verhüllung und öffentliche Präsenz waren bereits während der Revolution Markenzeichen der rebellierenden Frauen. Auch hier wäre es kurzschlüssig, Verschleierung und Hausfrauenrolle in eins zu setzen; vielmehr scheint der Tschador den Frauen geholfen zu haben, neue Räume zu erobern. Das heißt, sie benutz(t)en dieses traditionelle Symbol von Weiblichkeit und transferierten es in andere Kontexte. Weiblichkeit wurde so mit dem öffentlichen Raum verknüpft.
Interessant ist, dass auch türkische Frauen in Deutschland die Geschlechterdifferenz stärker betonen, als ihre deutschen Geschlechtsgenossinnen, etwa indem sie die Berufstätigkeit stärker mit Weiblichkeit verbinden. 2 Während Frauen mit türkischem Hintergrund versuchen, eher durch Markierung ihrer Weiblichkeit Akzeptanz im Beruf zu finden, glauben deutsche Frauen eher, sich Männlichkeitsnormen anpassen zu müssen. Die Ursache für diese Unterschiede ist sicherlich in kulturellen Traditionen zu suchen: Während in muslimisch geprägten Gesellschaften stärker die Geschlechtersegregation betont wird und äußer(lich)e Trennlinien zwischen den Geschlechtern gezogen werden, setzen christlich geprägte Gesellschaften stärker auf die Internalisierung geschlechtsspezifischer Normen. 3
Die Indienstnahme traditioneller Symbole wie Schleier oder Kopftuch für die Eroberung neuer Räume ist jedoch auch riskant, besteht dabei doch immer die Gefahr, patriarchal vereinnahmt zu werden. Das zeigt sich besonders deutlich in Iran. Dort hat diese Strategie den Frauen nicht nur den Zugang zu Öffentlichkeit und Beruf erleichtert, sondern zugleich zur Stärkung einer männlichen Gewaltkultur geführt.
Demgegenüber scheint der Weg zur Gleichstellung durch Überwindung der Geschlechterdifferenz der einfachere zu sein. Aber auch dieser ist riskant. Unter patriarchalen Bedingungen bedeutet die Aufhebung der Geschlechterdifferenz im Zweifelsfall die Unterwerfung unter männliche Vorstellungsmuster. Das Beispiel der Berufstätigkeit zeigt dies. Insofern bedarf es auch und gerade aus feministischer Perspektive der Differenz. Diese ist notwendig, um die unterschiedlichen Erfahrungen und Perspektiven von Frauen deutlich zu machen; sie dient also als Quelle von Kritik und Widerstand. So erklärt sich auch, warum oft gerade Feministinnen die Unterschiede nicht nur betonen, sondern sie mithilfe von Räumen für Frauen und in Form spezifischer Kulturen auch immer wieder neu herstellen.
Das bedeutet, dass sowohl das Konzept der Geschlechtergleichheit wie auch das der Geschlechterdifferenz spezifische Gefahren in sich birgt - allerdings jeweils auch spezifische Chancen. Bei der Betonung der Geschlechterdifferenz besteht die Gefahr darin, traditionelle patriarchale Vorstellungsmuster zu stärken, während die Chance darin liegt, Vorstellungen von Weiblichkeit und ihre Symbole durch neue Praxen zu verändern. Die Überwindung der Geschlechterdifferenz birgt hingegen die Gefahr, dass sich die Frauen patriarchalen Normen unterwerfen müssen, während die Chance darin zu sehen ist, dass sie sich möglichst reibungslos Zugang zu Ressourcen und Machtpositionen verschaffen können. Insofern sind beide Konzepte widersprüchlich. Das gilt auch für das Konzept der Freiheit.
Die Freiheit der westlichen Frauen wird vielfach darin gesehen, dass sie im Gegensatz zu den Muslima in der Wahl ihrer Kleidung völlig frei sind. Abgesehen von den Grenzen, die ihnen das Modediktat setzt, unterliegen die Frauen jedoch gerade dann, wenn sie sich freizügig zeigen wollen, neuen Zwängen: Der Körper darf nicht zu dick oder zu dünn sein, nicht zu alt oder zu schlaff. Nacktheit bedarf der sorgfältigen Pflege. "Bevor der Westen der Frau erlaubte, sich zu entblößen, musste sie lernen, ihre Blöße wie ein Kleid zu tragen" schreiben Carola von Braun und Bettina Mathes in ihrer Publikation "Verschleierte Wirklichkeit". 4 Diese Zurichtungen des Körpers, die bis zur plastischen Chirurgie reichen, markieren den Prozess der Unterwerfung unter Schönheitsnormen, die ebenso viel mit Selbstzwängen wie mit Befreiung zu tun haben.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die westliche Kleidung auch für die türkischen Frauen keineswegs per se Befreiung bedeutete, als sie zu Beginn des letzten Jahrhunderts von Kemal Atatürk per Dekret durchgesetzt wurde. Im Orient war Schönheit Jahrhunderte lang mit weißer Haut, runden Formen, langsamen Bewegungen und langem Haar verknüpft worden. Nun trat an diese Stelle das europäische Schönheitsideal der schlanken, energischen, Korsett tragenden Frau mit kurz geschnittenem Haar. Dieser aktiven Frau mit ihrem aufrechten, dynamischen Körper wurde dabei, wie die türkische Soziologin Nilüfer Göle schreibt, ihre Geschlechtlichkeit weitgehend abgesprochen - beinahe wurde ihr eine männliche Identität oktroyiert. Die kemalistische Frau habe zwar den Gesichtsschleier abgelegt, "dafür aber ihre Geschlechtlichkeit verhüllt, in der Öffentlichkeit sich selbst eingepanzert, sich unberührbar, unerreichbar gemacht". 5 Sie musste sich also qua Selbstdizplinierung einen männlichen Habitus zulegen.
Die simple Polarisierung zwischen Freiheit und Zwang ist schließlich auch in Bezug auf die sexuelle Befreiung fragwürdig. Auch hier scheint die Freiheit neue Zwänge hervorzubringen. So hat das westliche Modell nicht nur zu einer größeren Selbstbestimmung der Frauen geführt, sondern auch zu extremen Formen der Sexualisierung der Öffentlichkeit, der Kommerzialisierung der Sexualität und zu neuen Formen von Gewalt und sexueller Ausbeutung. Der "Fortschritt" dieser Befreiung wurde folglich mit massiven "Rückschritten" erkauft.
Diese Beispiele zeigen, dass Freiheit kein absoluter Wert ist, sondern sowohl durch die Zwänge der Selbstkontrolle wie auch durch neue Formen von Gewalt relativiert wird. Entscheidend ist nicht nur die Freiheit, etwas tun oder lassen zu können, sondern auch, inwieweit frau/man auch die Konsequenzen einer solchen Wahl kontrollieren oder zumindest mitbestimmen kann. Insofern überrascht es auch nicht, dass Frauen keineswegs immer ihre "Freiheit" wählen, sondern sich oft auch gegen diese entscheiden. So ziehen es viele Frauen vor, nicht berufstätig zu sein, sondern zu Hause zu bleiben und für Mann und Kinder zu sorgen, ja sogar in ihre Familie zurückzukehren, wenn sie von Ihren Männern misshandelt wurden. Offensichtlich sind für sie die Konsequenzen der "Freiheit" schwerer zu ertragen, als sich mit den Bedingungen ihrer "Unfreiheit" zu arrangieren.
Vor diesem Hintergrund stellt sich in Bezug auf muslimische Frauen die Frage, ob von ihnen umstandslos das Ablegen des Kopftuchs gefordert werden kann, selbst wenn es ein Symbol für Unfreiheit wäre. Muss man den Frauen nicht auch die Freiheit zugestehen, ihre "Unfreiheit" wählen zu können?
Das heißt nicht, Freiheit und Unfreiheit zu relativieren, nicht, dass es letztlich gleichgültig wäre, welche Bedingungen herrschten. Natürlich sind Gewalt und Zwang anzuprangern - dies allerdings in jeder Form. Die Gegenüberstellung von "westlicher" Freiheit und "islamischer" Unterdrückung führt zu einer zu simplen Polarisierung der Welt, wodurch die Spannung der jeweils widersprüchlichen Gegenwart aufgehoben wird: Im westlichen Selbstbild wird das Risiko des Scheiterns negiert, während den Muslimen das Potential der Transformation abgesprochen wird. So sind für viele Menschen Islam und Feminismus unvereinbar. Tatsächlich gibt es jedoch innerhalb des Islam eine lange Auseinandersetzung über die Frage der Gleichstellung von Frau und Mann - auch anhand der Frage von Schleier bzw. Kopftuch.
Schleier und Kopftuch haben in den verschiedenen islamischen Frauenbewegungen selbst eine große Rolle gespielt und vielfach Kontroversen ausgelöst. So forderte bereits 1899 der Ägypter Qassim Amin in seinem Buch "Die Befreiung der Frau", das als Grundlagenwerk des arabischen Feminismus gilt, die Entschleierung der Frauen, und Huda Sha´rawi, die Gründerin der Ägyptischen Feministischen Union, legte bereits 1923 in einer spektakulären Aktion öffentlich ihren Schleier ab. Aber von Anfang an gab es in der arabischen Frauenbewegung auch andere Auffassungen, etwa jene, wonach das Ablegen des Schleiers zu neuen Formen der Unterdrückung und Missachtung führe.
Auch ist vor allem von ägyptischen und iranischen Frauenrechtlerinnen schon vor der Zeit der Kolonisierung ein gleichberechtigter Zugang zu Öffentlichkeit und Beruf gefordert worden. Mit dem Kolonialismus wurde ihre Situation jedoch komplizierter, weil die Kolonialherren diese Forderungen ebenfalls aufstellten, die nun von Seiten des heimischen Patriarchats als koloniale diskreditiert werden konnten. Das gilt auch heute noch, wenn der Feminismus generell als eine westliche Ideologie bezeichnet und muslimische Feministinnen des Loyalitätsbruchs bezichtigt werden.
Die Vorstellung, es gäbe "die" muslimische Stimme in Bezug auf das Thema Geschlechterverhältnis, ist ebenso abwegig, wie jene, es gäbe "den" Islam. Die Unterschiedlichkeit der Positionen hängt jeweils nicht nur von der unterschiedlich starken Religiosität ab, sondern hat auch mit unterschiedlichen politischen Einstellungen und ethnischen Kontexten zu tun. So gibt es beispielsweise viele Iranerinnen, die sich vehement gegen das Kopftuch aussprechen, weil sie es mit dem totalitären Regime ihrer Heimat verbinden. Andere wiederum sind von den Auseinandersetzungen zwischen Laizismus und Islamismus in der Türkei geprägt. Schließlich ändern sich auch die Einstellungen angesichts sich wandelnder Lebensverhältnisse. So hat die Religiosität für die zweite und dritte Generation der Einwanderinnen oft eine andere Bedeutung als für ihre Eltern.
Dementsprechend gehen auch die Einschätzungen über das mögliche emanzipatorische bzw. repressive Potential des Islam weit auseinander. Islamische Feministinnen wie etwa Leila Ahmed 6 sehen die Bedeutung des Islam vor allem in seinem ethischen Egalitarismus, der Frauen und Männern dieselbe Würde zuerkennt. Sie sind zwar verschieden, aber gleichwertig. Dementsprechend gibt es klare Rollenabsprachen, die den Frauen und Männern gleichermaßen Rechte und Pflichten auferlegen, die allerdings inhaltlich unterschiedlich sind. Das Prinzip der Geschlechtertrennung und der Grundsatz der Verschiedenheit muss ihrer Meinung nach nicht repressiv sein, wenn die Aufgabenteilung ausgeglichen ist. Für solche reformorientierte Feministinnen, für die Fatima Mernissi 7 ein prominentes Beispiel ist, wurde der Koran aufgrund der über Jahrhunderte vorherrschenden patriarchalen Kultur einseitig übersetzt und interpretiert. Deshalb gelte es, ihn heute neu zu lesen. Demgegenüber gehen radikale Feministinnen davon aus, dass der Koran selbst den Primat des Mannes festschreibe und es deshalb auch nicht genüge, ihn neu zu interpretieren, sondern dass er in Teilen neu formuliert werden müsse.
Dem stehen wiederum islamistische Feministinnen gegenüber, für die der Koran wesentlich auf die Gleichstellung der Geschlechter ausgerichtet ist. In den herkömmlichen Auslegungen sehen sie die Frauenrechte hinreichend berücksichtigt. Die Probleme liegen ihrer Meinung nach in erster Linie im "Westen". So sind sie davon überzeugt, dass die Unterdrückung der Frauen im Wesentlichen ein Resultat des Kapitalismus und westlicher Ideologie sei. Die Frauen würden hier ausgebeutet und zum Sexualobjekt degradiert und der öffentlichen Belästigung preisgegeben. Sie sehen die Lösung im Islam, da er eine gerechte Ordnung verspreche.
Diese verschiedenen Positionen sind unter anderem Ausdruck der vielfältigen Auseinandersetzungen zwischen Reformkräften und Traditionalisten innerhalb des Islam, die vom Westen kaum zur Kenntnis genommen werden. Für viele ist Religion und Emanzipation ohnehin per se ein Widerspruch. Das gilt für sie auch für das Christentum. In diesem Fall müssten jedoch auch die säkularen Ideologien auf den Prüfstand gestellt werden. Und hier zeigt sich, dass säkulare Positionen in Politik, Wissenschaft und Alltag keineswegs ein Garant für Geschlechtergerechtigkeit sind - im Gegenteil: In der Regel ist die Ungleichheit der Geschlechter auch in diese eingeschrieben. Insofern kann der Säkularismus als solcher nicht die Lösung sein, sondern es gilt, sich mit den patriarchalen Ideologien in all seinen Erscheinungsformen auseinanderzusetzen. Das bedeutet wiederum, dass einfache Polarisierungen unangemessen sind. Deshalb soll abschließend gefragt werden, welche Funktionen solche Polarisierungen möglicherweise haben.
Polarisierungen bieten einfache Erklärungen. Sie befreien von Widersprüchen und inneren Ambivalenzen. Allerdings geht es im Fall der Konstruktion "des" Westens gegenüber "dem" Islam nicht einfach nur um kognitive und emotionale Entlastungsstrategien, findet diese Kontroverse doch in einem eminent politischen Raum statt. Das heißt, dass hier Positionen ausgehandelt werden, welche die gesellschaftlichen Verhältnisse innerhalb der Mehrheitsgesellschaft wie auch ihre Beziehung zu den muslimischen Minderheiten mitbestimmen.
In diesen Diskursen liefert "die" muslimische Frau eine Folie, vor deren Hintergrund die Emanzipation "der" westlichen Frau umso heller erstrahlen kann. Die Schattenseiten westlicher Emanzipation mit ihren spezifischen Zwängen und neuen Formen von Gewalt können so leicht übersehen und die Risiken des Emanzipationsprozesses überspielt werden. Ausschlaggebend für die Bewertung dieser "Emanzipation" ist nun nicht mehr die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen, sondern der Abstand zwischen "der" westlichen und "der" islamischen Frau. Der Fokus der Aufmerksamkeit wird verschoben, womit der Handlungsdruck, das Geschlecherverhältnis zu ändern, geringer wird. Der Konfliktstoff wird gewissermaßen ausgelagert. Damit lässt sich zumindest teilweise erklären, warum so viele Menschen sich plötzlich für die Gleichstellung der Frau interessieren, sobald es um "die" Muslima geht: Sie können damit ihre eigene Fortschrittlichkeit unter Beweis stellen, ohne sich tatsächlich dafür engagieren zu müssen. Insofern ist die Debatte in dieser polarisierenden Form kontraproduktiv für die einheimischen deutschen Frauen, scheint sich ihr Anliegen doch nun weitgehend erledigt zu haben.
Ein solcher auf die Muslime beschränkter Diskurs blendet interne Debatten aus und nimmt kulturelle Transformationsprozesse nicht zu Kenntnis. Die pauschalisierende Zuschreibung von Rückschrittlichkeit hat dabei den Effekt, Muslima dieser Gesellschaft fremd zu machen und als nicht zugehörig zu markieren. Das hat unter anderem zur Folge, dass ihnen der Zugang zu den verschiedenen gesellschaftlichen Ressourcen erschwert wird. So hat sich im Zuge der "Gastarbeiterära" in Deutschland eine ethnische Schichtung etabliert, in der muslimische Einwanderer beiderlei Geschlechts auf die unteren Ränge verwiesen werden. Die Aufgeregtheit der heutigen Debatte weist darauf hin, dass diese Ordnung ins Wanken geraten ist. Junge Muslime fordern zunehmend selbstbewusster ihre Chancen in der Gesellschaft ein. Das irritiert. Umso vehementer müssen sie nun auf "ihren" Platz verwiesen werden. Deshalb war auch das muslimische Kopftuch so lange kein Problem, so lange es nur die Putzfrau oder die Fließbandarbeiterin trugen. Jetzt, da es auch Ärztinnen, Rechtsanwältinnen und Lehrerinnen anlegen, ruft es heftigen Widerstand hervor.
Eine grundlegende Paradoxie in der Debatte liegt darin, dass muslimische Frauen im Namen ihrer Emanzipation von attraktiven gesellschaftlichen Positionen fern gehalten werden. Insofern liegt eine wesentliche Schwierigkeit für die Mehrheitsgesellschaft darin, zu erkennen, dass ihr Konzept von Emanzipation selbst repressiv und Widerstand gegen ihre Emanzipationsvorstellungen emanzipatorisch sein kann.
1 Vgl. Frank
Jessen/Ulrich Wilamowitz-Moellendorff, Das Kopftuch - Die
Entschleierung eines Symbols?, Sankt Augustin-Berlin 2006, S.
41.
2 Vgl. Leonie Herwartz-Emden (Hrsg.),
Einwandererfamilien, Göttingen 2003.
3 Vgl. Christina Braun/Bettina Mathes,
Verschleierte Wirklichkeit. Die Frau, der Islam und der Westen,
Berlin 2007.
4 Ebd., S. 154.
5 Nilüfer Göle, Republik und
Schleier, Berlin 1995, S. 99.
6 Vgl. Leila Ahmed, Women and Gender in
Islam Historical Roots of a Modern Debate, New Haven 1992.
7 Vgl. Fatema Mernissi, Der politische
Harem. Frankfurt/M. 1989; dies., Die Angst vor der Moderne, Hamburg
1992.