TSCHECHIEN
Das Parlament hat dem Lissabon-Vertrag zugestimmt. Doch das letzte Wort haben der Senat und Tschechiens europaskeptischer Präsident Václav Klaus
Bei seiner Rede vor dem EU-Parlament hat der tschechische Staatspräsident Václav Klaus am 19. Februar die Zustimmung des Prager Abgeordnetenhauses zum Lissabon-Vertrag indirekt kritisiert. "Ich befürchte, dass die Versuche, die Integration immer weiter zu beschleunigen und zu vertiefen (...) in der Folge alles Positive gefährden könnten, was in den letzten 50 Jahren in Europa erreicht worden ist", sagte Klaus. Einen Tag zuvor hatten die Parlamentarier im tschechischen Abgeordnetenhaus dem Lissabon-Vertrag nach monatelangen Streitereien mit großer Mehrheit zugestimmt.
In Brüssel wird dieses Ergebnis vor allem als symbolischer Erfolg gewertet. Denn noch muss das Vertragswerk zwei entscheidende Hürden nehmen: Im April will sich der Senat, die zweite Kammer des tschechischen Parlaments, mit Lissabon befassen, danach muss Präsident Klaus das Dokument unterschreiben. Bislang hat er sich offiziell nicht festgelegt, ob er diese Unterschrift leisten würde. "Schachspieler kündigen ihre Züge nicht vorher an", sagte er im Anschluss an seine Brüsseler Rede vor Journalisten. Dass er seine Vorbehalte gegenüber dem Lissabon-Vertrag nicht aufgegeben hatte, machte er schon kurz nach dem Votum der Prager Abgeordneten deutlich: Er hoffe, ließ er seinen Sprecher verkünden, dass sich der tschechische Senat die Entscheidung gründlicher überlege als das Abgeordnetenhaus.
Mit großer Spannung wurde daher Klaus' Rede in Brüssel vor dem Hintergrund der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft erwartet. Von seiner kritischen Haltung zur EU ist er auch gegenüber den europäischen Parlamentariern nicht abgewichen. Er betonte, dass es für sein Land der richtige Schritt gewesen sei, der Union beizutreten. Dennoch könne das nicht bedeuten, dass es zur gegenwärtigen Struktur der EU keine Alternative geben dürfe. "Den Status quo, das heißt, die gegenwärtig vorhandene institutionelle Anordnung der EU, als ein für alle Male nicht kritisierbares Dogma zu betrachten, ist ein Irrtum, der sich leider immer mehr verbreitet", sagte Klaus. Einige der EU-Parlamentarier quittierten seine Rede mit heftigen Missfallensbekundungen.
Kommentatoren der tschechischen Zeitungen hatten ein heftiges Aufeinanderprallen zwischen Klaus und den EU-Parlamentariern erwartet. In seiner Heimat haftet ihm der Ruf an, dass er solche Gelegenheiten wie seinen Auftritt in Brüssel gerne zu Provokationen nutzt. Weniger überrascht zeigten sie sich hingegen von der Rede: Klaus wiederholte darin vor allem die Thesen, die er schon seit langem auch in Prag vertritt.
Auf die politische Entscheidung zum Lissabon-Vertrag hat Klaus in Tschechien einen großen Einfluss. Die konservativ-bürgerliche Regierungspartei ODS, die er zu Beginn der 1990er Jahre mitbegründet hatte, ist innerlich gespalten zwischen Klaus-Anhängern und Befürwortern des moderaten pro-europäischen Kurses von Premierminister Mirek Topolánek. In den vergangenen Wochen haben sich unter dem Eindruck der Diskussionen über den Lissabon-Vertrag gleich mehrere antieuropäische Parteien gegründet; einer von ihnen steht ein enger Klaus-Vertrauter vor.
In den tschechischen Entscheidungsgremien sind die Europaskeptiker dennoch in einer Minderheit. Dass sich die Entscheidung über den Lissabon-Vertrag über Monate hingezogen hat, liegt vor allem an innenpolitischen Konfliktlinien: Die oppositionellen Sozialdemokraten, die sehr pro-europäisch eingestellt sind, wollten im Gegenzug zu ihrer Lissabon-Zustimmung deutliche Kompromisse auf anderen Gebieten heraushandeln und hofften zudem, dass Premierminister Topolánek wegen seiner schwachen Regierungsmehrheit über den Lissabon-Vertrag ins Straucheln gerät.
Aus dem Senat, der im April über das Vertragswerk entscheiden soll, sind bereits ähnliche Tauschgeschäfte bekannt geworden. Dem Vernehmen nach geht es dabei vor allem um die geplante Stationierung des amerikanischen Raketen-Abwehrsystems in Tschechien. Erst nach einer Zustimmung der Regierung werde man für Lissabon die Hand heben, heißt es aus konservativen Senatskreisen. Als wahrscheinlich gilt das Szenario, dass die Senatoren den Lissabon-Vertrag erneut ans Verfassungsgericht überweisen, um die Konformität mit der Landesverfassung endgültig prüfen zu lassen - beim letzten Verfahren hatten sich die Richter nur mit sechs strittigen Punkten beschäftigt.
Unklar ist noch, was passieren würde, wenn Präsident Václav Klaus sich weigerte, den ratifizierten Vertrag zu unterschreiben. Bereits jetzt hat er angekündigt, dass er seine Entscheidung vom irischen Votum Ende des Jahres abhängig machen werde. Sollte Tschechien danach das einzige Land sein, das dem Lissabon-Vertrag noch nicht zugestimmt hat, wird der Präsident nach Ansicht von Beobachtern seine Blockadehaltung aufgeben.