AUSLANDSSENDER
Ihre Zahl steigt, ihre journalistische Unabhängigkeit ist fraglich
Es war eines der üblichen Katz- und Mausspiele in Gaza: Am Nachmittag des 6. Februar stoppte die Hamas einen UN-Konvoi mit Hilfsgütern. Zehn Lastwagen einer US-Hilfsorganisation mit Nahrung wurden "abgezweigt", nachdem in der gleichen Woche schon Zelte und Decken aus UN-Besitz verschwunden und als Liebesgaben der radikal
islamischen Partei an Hamas-eigenen Versorgungsstationen wieder
aufgetaucht waren. Die UN setzte vorübergehend alle
Hilfslieferungen in den Gaza-Streifen aus, UN-Repräsentanten
empörten sich in den Bulletins der internationalen
Nachrichtensender wie CNN und BBC World und forderten "umgehende
Konsequenzen". Die "Schuldfrage" jedenfalls war hier eindeutig
geklärt - die Verantwortlichen sitzen in den
Kommandostäben der Hamas.
Ganz anders beim seit 2006 sendenden Al Jazeera Englisch, dem englischsprachigen Ableger des gleichnamigen arabischen Nachrichtenkanals aus dem Emirat Katar: Alles nur ein Missverständnis, zitierte der englische Korrespondent von Al Jazeera in Gaza Hamas-Quellen. Eigene Transporte der Hamas seien versehentlich mit den US-Hilfsgütern durcheinander geraten. Alles halb so wild also, die US-Organisatoren hätten zudem verlässliche Zusicherungen erhalten, dass dies nicht noch einmal geschehen werde. Der erst anschließend ins Bild gerückte UN-Verantwortliche sah das erwartungsgemäß anders - und der Zuschauer blieb ratlos zurück, auch wenn er zwischen den Zeilen heraushören konnte, dass der AlJazeera-Korrespondent in Gaza dem Ganzen auch nicht wirklich traute.
Dem Sender Press TV, der seit Juli 2007 in englischer Sprache berichtende Nachrichtensender des Iran, war der Vorfall ohnehin nur eine Kurzmeldung wert: "Die Hamas wird die US-Nahrungslieferungen, die versehentlich beschlagnahmt wurden, zurückgeben", lautete diese lapidar, um sich anschließend kritisch über die Ankündigungen der Regierung Obama zu äußern, wie dieser mit dem Dauerbrenner iranisches Atomprogramm umzugehen gedenkt.
Wenn es um Nahost geht, reicht eine Meldung, um die um weltweite Aufmerksamkeit buhlenden englischsprachigen Nachrichtensender nach den dahinter stehenden Strategien und Ideologien zu sortieren: BBC World und CNN bemühen sich in erster Linie um klassisch-journalistische Aufklärung, wie es auch das mehrsprachige Fernsehen der Deutschen Welle, DW-TV, tut.
Alle Sender dieser Kategorie sind immer auch eine "Visitenkarte" ihres Landes, ohne direkt dessen politischen Interessen zu dienen. Al Jazeera English fühlt sich - bei aller spürbaren Abgrenzung zum arabischsprachigen Hauptprogramm - den Interessen der Region und der Palästinenser verpflichtet. Das bedeutet auch, dass der Sender die schwierige Abgrenzung zwischen den verfeindeten Lagern des arabischen Spektrums hinbekommen muss. Press TV ist wiederum mit einer eindeutigen Mission gesegnet: dem offiziellen Iran weltweit mit einem eigenen Kanal Geltung und Aufmerksamkeit zu verschaffen und gegen die Feinde der Islamischen Republik - allen voran die USA - auf dem Feld der Propaganda in die Schlacht zu ziehen.
Dazu bietet das auch im Internet gestreamte Press TV (www.presstv.ir) Formate wie "The American Dream", einer Talkrunde, die in der Manier des "Schwarzen Kanals" aus dem DDR-Fernsehen die vermeintlich realen Zustände im "Land of the Free" zu enthüllen vorgibt.
Wenn auch die Unterschiede der Sender mit Blick auf Nahost besonders ins Auge fallen, die grundsätzliche Motivation ist bei allen internationalen Nachrichtensendern - die bis auf wenige Ausnahmen teure Zuschussbetriebe sind - gleich: Es geht um "die Deutungsmacht über die Bilder und Nachrichten, eine Art moderne Kriegsführung, bei der Massenkommunikation als Waffe eingesetzt wird", so die Medienwissenschaftlerin Sabine Sasse 2007 im Jahrbuch Fernsehen des Adolf-Grimme-Instituts.
Nachdem - nicht zuletzt als Reaktion auf den enormen Erfolg des arabischsprachigen Hauptprogramms von Al Jazeera - in den vergangenen Jahren vor allem die Einführung und Expansion auf den Nahen und Mittleren Osten ausgerichteter Kanäle wie BBC Arabia oder der RTV-Tochter Rusiya Al-Yuam zu verzeichnen war, rückt seit diesem Jahr Fernost verstärkt in den Blick: 45 Milliarden Yuan (rund fünf Milliarden Euro) will die chinesische Führung investieren, um ihre staatlichen Medien auch international schlagkräftiger zu machen und, wie die "Frankfurter Rundschau" formulierte, "Chinas Image in der Welt aufzupolieren". Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua soll einen eigenen internationalen Nachrichtenkanal einrichten. Der Staatssender CCTV will seine internationalen TV-Programme massiv ausbauen, ausländische Journalisten werden mit für China astronomischen Monatsgehältern von umgerechnet mehreren tausend Euro zur Mitarbeit gelockt.
Nicht nur wegen dieser Ankündigungen des großen Nachbarn will nun auch die zweitgrößte Wirtschaftsnation der Welt rasch handeln: Japan, so analysierte Anfang Februar treffend die Financial Times Deutschland, war bislang "in den globalen Medien ein Niemand". Nun sendet auch das öffentlich-rechtliche NHK 24 Stunden am Tag auf Englisch - aber "mit japanischem Geschmack", wie NHK-Vizechef Yoshinori Imai versichert: "Japan ist eine Art unsichtbare Nation. Ich denke, dass dies geändert werden kann." 30 Minuten klassische Nachrichten pro Stunde, gemischt mit Programmen über Technik, Comics, Jugendkultur und Mode, will NHK World senden - und das als erster internationaler News-Channel komplett im hochauflösenden HD-Standard. Schließlich ist man das dem Hightechland Japan schuldig. Auch das Auslandsfernsehen der Deutschen Welle, das seit 2007 schon täglich acht Stunden auf Arabisch sendet, expandiert im nächsten Schritt nun in Asien: DW-TV testet vonMärz an ein Zweikanal-Angebot für die Region: Auf dem ersten Kanal sollen 18 Stunden Englisch und sechs Stunden Deutsch ausgestrahlt werden, der zweite sendet 16 Stunden auf Deutsch, acht Stunden auf Englisch.
Wegen der Visitenkarte für das Zielpublikum - die internationalen, englischsprachigen Polit-, Wirtschafts- und Bildungseliten - ließ sogar Frankreich seine üblichen sprachlichen Vorbehalte fallen. Seit Dezember 2006 sendet France 24 rund drei Viertel seines Programms auf Englisch, nur die Langfassung des Sendernamens "France Vingt-quatre" verweist noch auf die Sprache der "Grande Nation". Doch das "CNN à la Française", ein Gemeinschaftsprojekt des öffentlichen-rechtlichen Fernsehens mit dem größten Privatsender TF 1, kann in Sachen Budget und personeller Ausstattung längst nicht mit dem US-Vorbild oder der BBC mithalten. Die Folge sind ewige Programmschleifen, auch die Nachrichtenblöcke werden alle 20 Minuten wiederholt. Was andernorts den Abschaltreflex aktiviert, lässt der Zuschauer den internationalen Nachrichtenkanälen aber durchgehen: "Es ist doch egal, ob da eine Sendung 19 Mal am Tag läuft", sagt ein Zuschauer, "schließlich guckt das kein Mensch mehrere Stunden am Stück".
Wo France 24 der Sicht auf die Welt behutsam, aber deutlich den gallischen Stempel verpasst, klotzt Russia Today (RTV) anstatt zu kleckern: Beim dem seit Ende 2005 sendenden Informationskanal der staatlichen Nachrichtenagentur RIA Nowosti scheinen sich zwar die Moderatoren nicht immer zu kennen - oft ringt bei den à la CNN betont cool inszenierten Übergaben vom Studio zum Korrespondenten der News-Anchor um den entsprechenden Namen. Doch RTV zeigt mit jedem Satz seine Mission, die Weltläufe wie die Vorgänge im eigenen Land aus russischer Perspektive darzustellen. Der im eigenen Land so oft als ungerecht-kritisch empfundenen Berichterstattung im Ausland soll damit die eigene Sicht entgegengesetzt werden. So beginnen alle Nachrichtenabteilungen fast immer mit einer russischen Meldung, der Rest der Welt kommt später. Sender-Chefredakteurin Margarita Simonyan unterhält beste Kontakte zu Regierungschef Wladimir Putin.
Geld sei für den laut einer Studie der Deutschen Welle 2007 mit rund 70 Millionen US-Dollar ausgestatteten Kanal kein Problem, soll Simonyan bei Sendestart erklärt habe: Wenn sie welches brauche, gehe sie mit Putin frühstücken. Schließlich wird RTV zur Hälfte aus Steuermitteln direkt vom Staat finanziert, der Rest kommt von einem Konsortium unter Führung russischer Banken.
Zwar kann man RTV nicht nachsagen, sich an den Prinzipien des angelsächsischen Journalismus wie Unparteilichkeit und Objektivität zu orientieren. Doch mit einer Meldung aus den Hauptnachrichten schien der offiziöse Kanal am 6. Februar dann doch den Relevanz-Kriterien der Briten zu entsprechen, für die bekanntlich gekrönte Häupter, Kinder, Tiere und Tote ein Ereignis zur Nachricht machen: An der Grenze zur Ukraine säße jetzt bereits seit mehreren Tagen eine ganze Ladung Kamele fest, denen die ukrainischen Behörden die Transit-Genehmigung für den Transport verweigere. Die Tiere drohten zu verdursten, las die Moderatorin vom Teleprompter und blickte mit großen Augen in die Kamera. Ein Schelm, wer dabei nicht auch ein wenig an russisches Erdgas denkt.
Steffen Grimberg ist Medienredakteur der "tageszeitung".